Biodiversitätsziel Wie weit ist die EU beim Naturschutz?
30 Prozent Schutzgebiete, Renaturierung, weniger Umweltverschmutzung - die EU-Staaten müssen jetzt umsetzen, was sie beim Weltnaturgipfel beschlossen haben. Viel Arbeit - doch der zuständige Kommissar ist optimistisch.
Der EU-Kommissar für Umwelt, Ozeane und Fischerei, Virginijus Sinkevičius, hat nicht nur bei der UN-Biodiversitätskonferenz in Montreal für die EU-Staaten federführend verhandelt. Er hat auch einiges an Hausaufgaben mitgenommen. Denn auch die EU muss die in Kanada vereinbarten Ziele jetzt auf ihrem Gebiet umsetzen.
Eines der wichtigsten ist das sogenannte 30-x-30-Ziel: 30 Prozent der Fläche an Land und in den Meeren soll weltweit unter Schutz gestellt werden. So sollen bedrohte Arten und Ökosysteme geschützt, aber auch die noch intakten Naturräume erhalten werden. Die EU hatte sich dieses Ziel im Rahmen des "Green Deal" schon vor dem Weltnaturgipfel selbst gesteckt. Und die EU geht sogar noch weiter und will ein Drittel davon unter strengen Schutz stellen.
30 Prozent Schutzgebiete: So viel fehlt noch
Laut EU-Kommissar Sinkevičius ist die EU bei Schutzgebieten schon recht gut aufgestellt. Zum Beispiel mit den sogenannten Natura2000-Flächen. "Es ist schon jetzt das größte zusammenhängende Netzwerk von koordinierten Schutzgebieten weltweit", sagt er.
In Deutschland umfassen diese Schutzgebiete 15,5 Prozent der Fläche an Land und rund 45 Prozent der Meeresfläche (Stand: 2019). Schwerpunkte liegen in Deutschland unter anderem beim Wattenmeer, der Mecklenburgischen Seenplatte, der Schwäbischen Alb und den bayerischen Alpen. Trotzdem fehlen der EU noch Flächen zum Erreichen des Ziels bis 2030.
Laut dem EU-Umweltkommissar stehen in der EU insgesamt bereits 26 Prozent der Flächen an Land unter Schutz. Es fehlen also nur noch vier Prozent zum Erreichen des Ziels. In den Meeresgebieten ist die Lücke größer: Elf Prozent der Flächen seien dort bisher geschützt, 19 Prozent fehlen noch. Zum Vergleich: Weltweit müsste sich zum Erreichen des 30-x-30-Ziels die geschützte Fläche an Land verdoppeln und auf dem Meer vervierfachen.
Verschiedene Interessen zusammenbringen
Bei den europäischen Meeresflächen werde es eine größere Herausforderung als an Land, sagt der EU-Kommissar, da dort der Naturschutz besonders mit anderen Interessen konkurriert. "Dort ist der Raum sehr begrenzt. Da müssen alle Aktivitäten unter einen Hut gebracht werden: Nachhaltiger Tourismus, nachhaltige Fischerei, Projekte für erneuerbare Energien", sagt Sinkevičius, der als Kommissar auch für die Fischerei in der EU zuständig ist.
Mehrere Punkte des Abkommens von Montreal betreffen auch die Fischerei: "Diese fordern uns auf, die Fischgründe und Aquakulturen nachhaltig zu managen, um Überfischung zu verhindern, damit wilde Arten nachhaltig genutzt werden. Trotzdem wird das globale Ziel von 30 Prozent Schutzgebieten natürlich nicht machbar sein, ohne ein ambitioniertes Abkommen für die hohe See", sagt Sinkevičius und verweist auf die ab Ende Februar in New York anstehenden UN-Verhandlungen zur Biodiversität außerhalb nationaler Hoheitsgebiete (BBNJ).
Sinkevičius: Wir werden 30 Prozent schaffen
Dennoch ist Sinkevičius sicher: "Wir werden definitiv das 30-x-30-Ziel erreichen, vor allem an Land. Wir werden es sogar früher schaffen." Das hieße also noch vor 2030. Auf die Frage, wo die zusätzlichen Schutzgebiete entstehen sollen, will er keine konkreten Orte oder Mitgliedsstaaten nennen: "Ich würde mich auf große Ökosysteme konzentrieren, die den Schutz dringend brauchen. Ökosysteme, die besonders effektiv für den Klimaschutz CO2 speichern."
Wälder und Moore im Fokus
So ließen sich quasi gleich zwei Krisen mit einer Maßnahme angehen: Ökosysteme schützen, um Lebensraum für seltene und bedrohte Arten zu erhalten - und gleichzeitig wird CO2 gebunden und dem Klimawandel entgegengewirkt. Für Sinkevičius haben neben den Meeren vor allem Wälder und Moore dieses Potential. Beide Lebensräume sind auch in Deutschland stark beeinträchtigt. Viele Wälder sind artenarm und geschwächt durch Dürren oder Schädlinge wie den Borkenkäfer.
Ähnlich sieht es bei den Mooren aus. Viele wurden von Beginn der Industrialisierung an trockengelegt, um sie für die Land- oder Forstwirtschaft zu nutzen. Die verbliebenen Moore sind stark gefährdet, jedoch wichtige Lebensräume für hochspezialisierte Arten - und sie binden langfristig CO2. Oder andersherum betrachtet: In entwässerten Mooren zersetzt sich der Torf im Boden und CO2 wird frei. Das kann den Klimawandel weiter anheizen.
Laut Bundesamt für Naturschutz (BfN) passiert das in über 95 Prozent der Moore in Deutschland. Diese finden sich vor allem in der norddeutschen Tiefebene, aber auch im Alpenvorland. In Deutschland sind laut BfN nahezu alle sogenannten Hochmoore, die durch Regenwasser gespeist werden und keine Verbindung zum Grundwasser haben, bereits geschützt. Bei den sogenannten Niedermooren, welche entstehen, wenn sich nährstoffreiches oberflächennahes Grundwasser in Senken sammelt, ist es dagegen nur ein geringer Teil. Hier wäre also auch in Deutschland noch Potential für zusätzliche Schutzgebiete.
Erfolg wird von der Umsetzung abhängen
Darüber hinaus sollen aber auch kaputte oder geschädigte Ökosysteme aktiv wiederhergestellt werden. Zielvorgabe aus Montreal: 20 Prozent der zerstörten Ökosysteme renaturieren, sodass Tier- und Pflanzenarten sich in den Lebensräumen wieder ansiedeln können. Auch hier nennt der EU-Kommissar vor allem die Moore und Feuchtgebiete. Für Deutschland hat Bundesumweltministerin Steffi Lemke während des Weltnaturgipfels in Kanada bereits durchblicken lassen, dass vor allem die Wiedervernässung von Mooren beim Erreichen des Ziels eine wichtige Rolle spielen wird.
Ob das Abkommen von Montreal den weltweiten Verlust von Biodiversität stoppen kann, wird letztlich nicht nur von den Zielvorgaben abhängen, sondern vor allem davon, wie konsequent diese von den Regierungen der Staaten umgesetzt werden. So lautet auch das Fazit von Sinkevičius zur Wirksamkeit des Abkommens von Montreal: "Wenn es vollständig umgesetzt wird - dann geht es weit genug. Aber die Umsetzung wird der zentrale Knackpunkt sein."