Dürre in Italien und Frankreich "Wesentlich trockener als in normalen Jahren"
Frankreich und Italien leiden aktuell unter großer Dürre. Im Interview erklärt Klimaforscher Marx, was die Gründe sind, warum ein paar Tage Regen nicht reichen - und was vor dem Sommer getan werden sollte.
tagesschau.de: Was ist da im Moment im Süden Europas los? Zu wenig Regen, zu wenig Schnee. Was ist passiert?
Andreas Marx: Eigentlich ist es im Winterhalbjahr ja so, dass es relativ nass sein sollte. Das heißt, wir haben eigentlich das Niederschlagsmaximum in den Wintermonaten im Winterhalbjahr. Der Schneespeicher baut sich auf und kann dann im nächsten Jahr ins Frühjahr bis in den Sommer hinein vor allem den Flüssen Wasser zur Verfügung stellen.
Gleichzeitig sorgt der Regen aber eben auch großflächig dafür, dass die Grundwasserstände sich in Europa wieder erholen und wieder ansteigen. Die Situation aktuell ist aber so, dass es durch die ausbleibenden Niederschläge der letzten Wochen ein Defizit gibt. Gleichzeitig stellen aber nicht nur die letzten Wochen ein Problem dar, sondern auch die Tatsache, dass die Niederschlagsdefizite und die Hitze der letzten Jahre dazu geführt haben, dass sich langsam ein großes Wasserdefizit aufgebaut hat.
Ein paar Tage Regen reichen nicht
tagesschau.de: Wenn es jetzt zwei oder drei Tage mal so richtig heftig regnen würde, wäre dann alles wieder in Ordnung?
Marx: Das wäre sehr schön. Die Dürre baut sich aber sehr langsam auf, also über Monate, kann über Jahre bleiben und braucht aber dann auch bis zu einem halben Jahr mit überdurchschnittlichem Niederschlag, bis sie sich wieder abbauen kann.
Das hängt damit zusammen, dass das Bodenwasserdefizit so groß werden kann, dass in der Größenordnung bis 150 Millimeter - also 150 Liter pro Quadratmeter - zu wenig Wasser im Boden ist. Und das kann eben durch Niederschläge in ein paar Tagen und auch in ein paar Wochen nicht aufgelöst werden.
"Wesentlich trockener als in normalen Jahren"
tagesschau.de: In was für einem Zustand ist denn dann der Boden?
Marx: Die Normalsituation für den Winter ist eigentlich, dass die Böden sehr nass sind. Es gibt einen Jahresgang der Bodenfeuchte. Das ist genauso, wie wir das von der Lufttemperatur kennen, dass es im Winter relativ kalt ist und im Sommer sehr heiß werden kann. Genauso sind die Böden in Deutschland im Sommer sehr trocken und im Winter sind sie an der Oberfläche, also auf dem obersten halben Meter, in der Regel sehr nass.
Es ist auch normal, dass wir im Winterhalbjahr Pfützen an der Oberfläche stehen sehen. Aktuell ist die Situation aber eben so, dass da ein Wasserdefizit ist, wenn sie tiefer in den Boden reinkommen - obwohl wir an der Oberfläche Pfützen sehen. Das heißt, der Boden ist im Moment wesentlich trockener, als wir das in normalen Jahren eigentlich hätten.
tagesschau.de: Wenn dieser Boden so trocken ist in diesen oberen Schichten, welche Aufgaben kann er dann nicht mehr erfüllen?
Marx: Im Winterhalbjahr ist es generell nicht ganz so schlimm. Relevant ist es vor allem für das Thema Grundwasseraufhöhung und für die Wasserwirtschaft insgesamt. Denn wenn die Böden im Winterhalbjahr nass sind, läuft auch ein größerer Teil des Niederschlags bis ins Grundwasser durch und führt dazu, dass die Grundwasserstände wieder steigen.
Für die Vegetation ist es nicht so relevant, weil wir Vegetationsruhe haben. Das heißt, Pflanzen sind eher ab April wieder stärker auf Wasser angewiesen und ziehen dann ab April Wasser stärker über die Wurzeln aus dem Boden raus. Und das ist einer der Faktoren, die dazu führen, dass über das Sommerhalbjahr die Böden von oben nach unten in der Regel relativ stark austrocknen
Wald empfindlicher bei Dürre
tagesschau.de: Wenn es bei diesen trockenen Böden bleiben würde, was würde das bedeuten fürs Frühjahr? Würden die Pflanzen dann stark darunter leiden?
Marx: Das ist ganz schwierig zu sagen, weil Pflanze nicht gleich Pflanze ist. Wenn man die Landwirtschaft betrachtet, dann muss man sehr deutlich sagen, dass man im Frühjahr noch nicht schließen kann, ob es ein Dürrejahr wird oder nicht. Wir haben es 2021 sehr eindrucksvoll gesehen, da war es im April sehr trocken. Und trotzdem hat die Landwirtschaft 2021 überdurchschnittliche Erträge auf den Feldern erzielt. Das hängt damit zusammen, dass über den Sommer normaler Niederschlag gefallen ist. Und das hat den landwirtschaftlichen Kulturen, die nicht so tief wurzeln, die nicht so einen großen Wasserverbrauch haben, gereicht.
Anders ist das bei Wald, Forst, bei natürlichen Ökosystemen. Wälder und Bäume verbrauchen sehr viel mehr Wasser. Und da kann man ganz sicher sagen, dass, wenn Anfang Mai der Boden bis in eine Tiefe von zwei Metern wesentlich zu trocken ist, dieser Dürrestatus über den Sommer erhalten bleibt und dass es dann ein Stressjahr für den Wald wird.
Wie das aber jetzt 2023 sein wird, das kann man jetzt noch nicht mit Sicherheit sagen. Da muss man abwarten, ob in den nächsten acht Wochen der Bodenwasserspeicher noch weiter aufgefüllt wird oder eben auch nicht.
Industrie muss auch Wasser sparen
tagesschau.de: Trotzdem ist es so, dass in Teilen Italiens und in Teilen Frankreichs jetzt schon über Notpläne nachgedacht wird. Wie kann man jetzt das Wasser sparen? Was könnte jetzt in diesen Regionen passieren, um dieser Dürre entgegenzuwirken?
Marx: Grundsätzlich haben wir ja die Diskussion um Wassersparen auch in Deutschland erlebt in den letzten Jahren. Das hängt damit zusammen, dass wir in vielen Ländern Europas seit 2018 erlebt haben, dass Trockenheit und Dürre zu großen Schäden in ganz unterschiedlichen Sektoren führen können.
Im letzten Jahr war ja auch eine Situation in Frankreich, wo die Trockenheit der Böden dazu geführt hat, dass zu wenig Wasser in den Flüssen war und im Sommer in Hitzeperioden dann das Wasser in den Flüssen sehr heiß war mit der Folge, dass die Atomkraftwerke nicht mehr effektiv gekühlt werden konnten. Das hat dazu geführt, dass wir in Deutschland Gas verstromt und diesen Strom dann exportiert haben. Das heißt, wir haben sehr weitreichende Auswirkungen, die gesellschaftliche und monetäre Konsequenzen nach sich gezogen haben.
Was man tun kann, ist Wassersparen. Das wird jetzt in Frankreich gerade auch aktiv in die Hand genommen. Die Bevölkerung ist aufgerufen worden, Wasser zu sparen. Das an sich greift aber aus meiner Sicht relativ kurz. Es ist nämlich nicht mehr der private Wasserkonsum, den man hier ins Auge fassen sollte, sondern man muss eigentlich dafür sorgen, dass alle großen Wasserverbraucher - dazu zählt insbesondere auch die Industrie - hier mit in die Pflicht genommen werden, wenn es darum geht, Wasser einzusparen.
Einsparungen und Grundwassermanagement
tagesschau.de: Aber wie kann das gelingen, Wasser einzusparen?
Marx: Zum einen hat man im privaten Bereich die Wasserentnahme-Verbote, die ausgesprochen werden. Das Wassersparen wird dann eigentlich relevanter, wenn es ins Frühjahr und dann in den Sommer geht, wenn der Wasserverbrauch stark steigt. Also im Privaten ist im Winterhalbjahr der Wasserverbrauch sehr viel niedriger als im Sommerhalbjahr. Das heißt, das Einsparpotenzial ist da gar nicht so hoch. Im industriellen Bereich werden Kühlungsprozesse oft mit Wasser durchgeführt. Da könnte man Einsparungen vornehmen.
Neben der Seite der Einsparung kann man auch den anderen Weg gehen und dafür sorgen, dass mehr Wasser zur Verfügung gestellt werden kann. Und das bedeutet eigentlich, dass man die Wasserressourcen anders managt. Das eine ist, dass wir dafür sorgen, dass da, wo Talsperren sind, so viel Wasser wie möglich in den Talsperren zurückgehalten wird und eben nicht über die Flüsse aus den Einzugsgebieten abgelassen wird.
Ein zweiter Punkt ist das Grundwassermanagement. Das heißt, man kann aus den Oberflächengewässern Wasser wegpumpen und kontrolliert dem Grundwasser zuführen, im Winterhalbjahr, wo wir das nicht brauchen. Und dann kann man im Sommerhalbjahr das Wasser wieder aus dem Grundwasser rauspumpen. Das ist etwas, womit wir in Deutschland seit vielen Jahren Erfahrung haben. Wenn Sie das Rhein-Main-Gebiet angucken: Frankfurt wird zum Teil durch dieses angereicherte Grundwasser versorgt.
Größte Dürre seit 1766
tagesschau.de: Wenn Sie jetzt auf die Jahre schauen, in denen Sie diesen Dürre-Monitor an Ihrem Institut mit betreiben, sind das Dinge, die ausreichen am Ende, um den Wasserhaushalt wirklich zu regulieren?
Marx: Ja, für Deutschland kann man das mit großer Sicherheit sagen, weil wir ja auch eine Einschätzung gemacht haben, wie die letzten fünf Jahre einzuordnen sind in lange Zeitreihen. Man kann heute Klimarekonstruktionen zurück bis ins Jahr 1766 nutzen. Und wir haben hier gesehen, dass eine ähnlich große Dürre wie 2018 bis 2020 eigentlich in keinem Zeitraum zurück bis 1766 in Mitteleuropa zu finden war.
Gleichzeitig haben wir aber auch gesehen, dass in Deutschland die Wasserversorgung nicht zusammengebrochen ist. Und das ist ganz zentral darauf zurückzuführen, dass wir nach dem Zweiten Weltkrieg Fernwasserleitungen in Deutschland etabliert haben und dass wir regionale Leitungsnetze haben. Das heißt, wir können Wasser effektiv transportieren. Das ist ein Faktor.
Ein zweiter Faktor ist, dass wir sehr viele unterschiedliche Wasserquellen nutzen können. Also wir nutzen Grundwasser, wir nutzen Talsperrenwasser und wir nutzen Wasser an den Flüssen, das sogenannte Uferfiltrat. Und diese Mischung hat dazu geführt, dass wir in der Wasserversorgung heute sehr gut aufgestellt sind.
Das heißt nicht, dass wir uns nicht an diese Veränderungen und zukünftige Dürren anpassen müssen. Aber man muss gleichzeitig auch sagen, dass dadurch, dass zukünftig zu erwarten ist, dass der Niederschlag mit der globalen Erwärmung über Deutschland leicht steigt, das Wasser insgesamt da ist. Es muss eben aus dem Winterhalbjahr in den Sommer gebracht werden.
Das Gespräch führte Anja Martini, Wissenschaftsredakteurin tagesschau. Es wurde für die schriftliche Fassung redigiert.