Bedrohte Insekten Wie geht es den Wildbienen?
Während die Honigbiene so gut dasteht wie lange nicht mehr, hat es die artverwandte Wildbiene schwer. Denn Flächenversiegelungen und Klimawandel machen ihr zu schaffen. Eine Möglichkeit, ihr zu helfen: Faulheit und Unordnung.
Wenn Kirsten Traynor und Manuel Treder "ihre" Bienen besuchen wollen, muss zuerst der "Smoker" her. Der Rauch aus dem "Smoker", einer Art Kanne, macht die Bienen friedlich und schützt die Forscher der Universität Hohenheim vor Stichen. Ein Dutzend Bienenvölker stehen direkt neben der Landesanstalt für Bienenkunde, idyllisch neben einem kleinen See, umgeben von Wiesen und Feldern.
Die Bienen, die im Anflug auf einen der Kästen sind, tragen dicke, dunkelrote Pollenbündel an den Beinen. "Rosskastanie, ganz klar", sagt Treder. Und Traynor ergänzt: "Das sind Honigbienen, denen geht es gut, die sind auch nicht vom Aussterben bedroht."
Tatsächlich ist der Bestand an Honigbienenvölkern in den vergangenen Jahren sogar gewachsen. 1990 gab es laut Schätzungen der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) 22,5 Millionen Bienenvölker in Europa. Bis zur Jahrtausendwende sank ihre Zahl, dann begannen die Bestände langsam, sich zu erholen. Für 2021 schätzt die FAO die Zahl der Bienenvölker europaweit auf rund 25,1 Millionen.
Viele Wildbienen vom Aussterben bedroht
Ist die Rede vom Bienensterben also nur Panikmache? Keinesfalls, denn um die Artverwandten der Honigbienen, die Wildbienen, ist es schlecht bestellt. Fast 590 Arten gibt es von ihnen in Deutschland - die Hälfte davon steht jedoch seit dem Jahr 2011 auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Arten. "Die Wildbiene hat nicht das Glück wie die Honigbiene, dass sie einen Imker hat, der sie in schlechten Zeiten füttert oder bei Krankheiten behandelt", erklärt Treder.
Die Insekten leben nicht in Völkern, wie Honigbienen, sondern sind Einzelgänger - was den Überblick über ihre Anzahl und Verbreitung erschwert. Aber auch wenn es keinen aktuellen deutschlandweiten Überblick über den Zustand der Wildbienen gibt, gehen Forscher davon aus, dass sich die Bedingungen für Insekten in den vergangenen Jahren eher verschlechtert haben. Flächenversiegelung, der Einsatz von Pestiziden, der Klimawandel: All diese Faktoren tragen dazu bei, dass Bestäuber wie Bienen, Hummeln oder Schmetterlinge immer weniger Lebensraum finden.
"Wildbienen brauchen eine ganze Anzahl von speziellen Nistmöglichkeiten", erklärt der Zoologe und Insektenforscher Jürgen Tautz gegenüber tagesschau24. "Sie brauchen leere Schneckengehäuse, hohle Pflanzenstengel oder sandige Böden. Und wenn das alles verschwindet, haben diese Bienen große Schwierigkeiten."
Keine Bienen, keine Nahrung?
Das sind Schwierigkeiten, die sich auch direkt auf unsere Lebensmittelproduktion auswirken können. So hat die Europäische Kommission errechnet, dass Agrarprodukte im Wert von 15 Milliarden Euro jährlich direkt auf die Leistung von Bestäubern zurückzuführen sind. Die Welternährungsorganisation FAO schätzt, dass 71 der 100 Nutzpflanzenarten, aus denen 90 Prozent der Lebensmittel weltweit gewonnen werden, von Bienen bestäubt werden.
Oder ganz konkret: Ohne bestäubende Insekten werden die Blüten von Apfelbäumen oder Zucchinipflanzen nicht befruchtet, trägt der Raps keine Samen. Die Leistung von Bestäubern hängt also direkt zusammen mit der Produktion unserer Nahrungsmittel, aber auch mit der Herstellung etwa von Biokraftstoffen.
Und wer nun fragt, was so ein kleines Tier schon ausrichten kann: "Eine Biene besucht pro Tag etwa 3000 einzelne Blüten", so Insektenforscher Tautz. Ein ganzes Bienenvolk komme so schnell mal auf sieben Millionen Blüten pro Tag.
"Künstliche Befruchtung" in Kalifornien
Was geschieht, wenn es an Bestäubern fehlt, lässt sich jedes Jahr zur Mandelblüte im US-Staat Kalifornien beobachten. Bis zum Horizont erstrecken sich dort die Mandelbaumplantagen. Etwa 80 Prozent des weltweiten Bedarfs an Mandeln kommen aus Kalifornien. Um die Blüten zu befruchten, braucht es jedoch Bienen - und so werden, in Ermangelung wilder Insekten, Honigbienen aus dem ganzen Land von ihren Imkern nach Kalifornien gekarrt. Für gutes Geld.
"Wenn man für die Bestäubung Prämien bezahlen muss, wird das Produkt teurer", so Traynor von der Landesanstalt für Bienenkunde. "In Deutschland machen das die Imker noch umsonst, aber wenn es irgendwann zu wenig wilde Bestäuber gibt, könnte es sein, dass beispielsweise die Erdbeerproduktion Honigbienenvölker benötigt. Und dann muss der Bauer dafür bezahlen." So weit sei es in Deutschland noch nicht.
Konkurrenz zwischen Honig- und Wildbienen
Doch die Tendenz, dass vermehrt Honigbienen zur "Arbeit" herangezogen werden, weil es an wilden Bestäubern fehlt, ist auch hier erkennbar. Und sie birgt ein weiteres Problem, nämlich das der Konkurrenz zwischen Honig- und Wildbienen. "Das ist eine Debatte, die momentan sehr intensiv geführt wird", weiß Treder von der Landesanstalt. Aber er warnt davor, die Lage zu dramatisieren: "Wir wissen, dass Bestäuber immer interagieren, und so kann es unter schlechten Bedingungen immer zu Konkurrenzsituationen kommen."
Insektenforscher Tautz wird konkreter: "Wenn zu viele Honigbienenvölker in einer speziellen Region sind, dann verdrängen sie allein durch ihre Masse und durch ihre körperliche Überlegenheit die kleineren Wildbienen." Private Honigbienen im eigenen Garten zu züchten, sei deswegen sicherlich ein schönes Hobby, meint auch Traynor. Wichtiger sei es jedoch, generell mehr Lebensraum für Insekten und insbesondere für Bestäuber zu schaffen: "Je mehr Flächen wir versiegeln, desto mehr schrumpfen die Habitate der Bestäuber."
Die Lösung: Faulheit und Unordnung: Die Wiese nicht zum Rasen stutzen, Schnittreste auch mal liegen lassen, wilde Ecken im Garten zulassen. Dann finden Wildbienen Rückzugsräume und Nistplätze - und im Garten summt es wieder.