NABU-Studie zu Insektenvielfalt Der einsame Flug der Biene
Die Insektenvielfalt in Deutschland nimmt ab - auch in Naturschutzgebieten. Das zeigen Daten eines großen Forschungsprojekts. Für die biologischen Kreisläufe droht ernste Gefahr. Wie lässt sich der Trend umkehren?
Die Wildbiene hat keine Chance. Tief fliegt sie über die Wiese - und verfängt sich nichtsahnend in einer Zeltkonstruktion, einer sogenannten Malaise-Falle. So erging es zuletzt Tausenden Insekten, ausgerechnet in Naturschutzgebieten. Doch der Tod dieser Einzelexemplare ist gewollt und soll dem Überleben der Insekten insgesamt dienen. Was paradox klingt, ist die wissenschaftliche Grundlage des sogenannten DINA-Projektes.
DINA steht für "Diversität von Insekten in Naturschutz-Arealen", wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert und ist ein Zusammenschluss aus acht wissenschaftlichen Einrichtungen, darunter Hochschulen, Leibniz-Institute und der federführende Naturschutzbund Deutschland (NABU).
Vier Jahre Arbeit
Projektleiterin Gerlind Lehmann ist stolz auf die Ergebnisse von vier Jahren harter Arbeit: "Das ist die erste großflächige Datenerhebung zum Insektensterben in Naturschutzgebieten. Die eingefangenen Tiere geben wichtige Hinweise darauf, warum Insektenvielfalt abnimmt und was wir dagegen tun können."
In insgesamt 21 Naturschutzgebieten, von der Ostsee bis in den Schwarzwald, hatten die Wissenschaftler seit 2019 Zeltfallen aufgestellt. Hineinfliegende Insekten wurden in einem Gefäß mit Alkohol konserviert und regelmäßig zur Untersuchung erfasst. So konnten die Labore etwa Pollen an den Beinen der Insekten bestimmen oder Schadstoffe feststellen. Ebenso wurden Boden- und Vegetationsproben in der Umgebung analysiert.
Es wird eng für Fliege, Käfer und Co.
Die Ergebnisse des großangelegten Projekts sind vielfältig und bestätigen in weiten Teilen den Trend, dass die Gesamtmasse an Insekten abnimmt. Außerdem kommen die DINA-Studien zu dem Schluss, dass sich angrenzende Ackerflächen negativ auf die Artenvielfalt an Rändern von Naturschutzgebieten auswirken.
Schutzgebiete seien oft von konventioneller Landwirtschaft umgeben, von wo immer stärkere Pestizide eingetragen würden. Da Fluginsekten einen größeren Aktionsradius haben als bisher angenommen, schrumpft die eigentliche Schutzfläche für Pflanzen und Tiere.
Äcker in vielen Naturschutzgebieten
"Was uns wirklich überrascht hat: Inmitten jedes vierten Naturschutzgebiets in Deutschland befinden sich große Ackerflächen, die meist konventionell genutzt werden. Das war bisher nicht wissenschaftlich publiziert", stellt Biologin Lehmann fest. Dieser direkte Kontakt zur intensiven Landwirtschaft sei für Insekten gefährlich, so die Biologin.
In allen untersuchten Schutzflächen konnte die Forschungsgruppe Pestizide an Insekten nachweisen. Die Anzahl der Pestizide stieg nahe intensiv landwirtschaftlich genutzten Gebieten an. Von den derzeit meistverwendeten 92 Pestiziden wurden im Schnitt knapp 17 Chemikalien an den Tieren gefunden - erstaunlicherweise auch ein Wirkstoff, der in Deutschland bereits verboten sind.
Landwirtschaft vs. Insektenschutz?
Doch der Forschungsverbund DINA beschränkt sich nicht auf naturwissenschaftliche Ansätze. Auch sozialwissenschaftliche Fragen spielten bei dem Projekt eine Rolle. Das Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE) untersuchte die Einstellung lokaler Akteure zum Thema Biodiversität und Insektenschutz.
In den Dialogen wurde klar: Lokale Landwirte erkennen zwar die Auswirkung von Pestiziden auf Insekten, nehmen diese aber überwiegend als abstrakt wahr. Eine konkrete Gefährdung der lokalen Insektenbestände würden viele nicht sehen.
Dialog fördern für mehr Akzeptanz
ISOE-Forscher Florian Dirk Schneider leitet daraus ab: "Mit pauschal verordneten Maßnahmen ist den Akteuren vor Ort nicht geholfen. Vielmehr ist es notwendig, dass die unterschiedlichen Akteure gemeinsam zu Insektenschutz-Lösungen kommen."
Heißt konkret: Um Konflikte zwischen Bauern, Umweltschützern und anderen Interessengruppen zu lösen, braucht es mehr Dialog. Der solle staatlich gefördert werden, um Akzeptanz zu schaffen. Das ist auch eine der Empfehlungen der DINA-Forschungsgruppe.
Noch immer fehlen Daten
In der wissenschaftlichen Community dürften die DINA-Ergebnisse Beachtung finden. Thomas Schmitt, leitender Insektenforscher der Senckenberg-Gesellschaft, spricht von einem wegweisenden Projekt: "Die Ergebnisse bestätigen, was wir andernorts in kleineren Studien festgestellt haben. Insekten sind auch in Naturschutzgebieten bedroht."
Deshalb müsse ein klares Signal an die Politik gehen. "Es reicht nicht - wie lange Zeit angenommen -, hier und da kleine Rückzugsräume für Biodiversität einzurichten. Wir müssen Naturschutz auf der Landschaftsebene denken und durchführen", fordert der Wissenschaftler. Das DINA-Konsortium kommt zu ähnlichen politischen Empfehlungen. Der Forschungsverbund fordert Anpassungen am Bundesnaturschutzgesetz. Besonders die Ränder von Schutzgebieten müssten besser vor Eintrag von Schadstoffen abgeschirmt werden, etwa durch eine bis zu zwei Kilometer breite "Pufferzone" um die Gebiete herum.
Doch obwohl DINA bisher zehn eigenständige Studien veröffentlicht hat und weitere wissenschaftlichen Publikationen folgen, stößt auch dieses Großprojekt an Grenzen. Denn noch immer fehlen Datenreihen, um den Verlust von Insektenvielfalt und -biomasse genauer zu bestimmen. Deshalb empfehlen die Forscher ein bundesweites Monitoring. Nur so könnten Risiken erkannt und minimiert werden. Auch künftig dürften also einzelne Tiere Insektenfallen zum Opfer fallen - um dem Überleben der Insekten als Ganzes zu helfen.