Ein Schild mit COP27 in Scharm el Scheich
Interview

UN-Klimakonferenz "Es kann nicht das einzige Forum sein"

Stand: 23.11.2022 14:20 Uhr

Das Ergebnis der UN-Klimakonferenz ist aus Sicht der Wissenschaft ein Minimalkonsens. Klimaforscher Rahmstorf fordert deshalb im Interview mit tagesschau.de mehr politischen Willen für das Einhalten des 1,5-Grad-Ziels.

tagesschau.de: Sind Klimakonferenzen wie jetzt zuletzt in Sharm el-Sheik dieser Art überhaupt noch zielführend?

Stefan Rahmstorf: Das Ergebnis ist natürlich sehr enttäuschend, weil es wirklich schlimme Folgen für die Menschheit insgesamt haben wird, wenn wir nicht deutlich schneller die Emissionen mindern. Und das ist ja eben leider nicht beschlossen worden. Und es ist nicht beschlossen worden wegen eines Geburtsfehlers dieser UN- Klimagipfel: Es können nur einstimmig Beschlüsse gefasst werden, sodass jeder Staat - auch ein einzelner Ölstaat zum Beispiel - immer eine Einigung verhindern kann. Und dadurch gibt es zwangsläufig immer nur einen Minimalkonsens. Es ist ein Wunder, dass dabei so etwas wie das Pariser Abkommen herausgekommen ist, was ja schon ein Riesenerfolg war. Aber jetzt kommt es eben wirklich auf die Umsetzung der Pariser Ziele an.

Stefan Rahmstorf
Zur Person

Stefan Rahmstorf leitet die Abteilung Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und ist Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam.
In seinen Forschungsarbeiten beschäftigt sich der Physiker und physikalische Ozeanograph mit den Auswirkungen der Klimaveränderung auf die Meereströmungen, den Meeresspiegel und auf Extremwetterereignisse sowie mit der Modellierung des Erdsystems.

"Es kann nicht das einzige Forum sein"

tagesschau.de: Aber da sieht es im Moment nach Stillstand aus - sind Beschlüsse überhaupt möglich in einer Zeit wie dieser?

Rahmstorf: Das ist fast unmöglich, würde ich sagen. Ich denke, es ist einerseits wichtig, diese Art von globalen Konferenzen, bei denen alle Länder eine Stimme haben, auch weiter fortzuführen, denn auch betroffene Länder sind dabei, die armen Entwicklungsländer, kleinen Inselstaaten und so weiter und sie haben eine Stimme. Aber es kann eben nicht das einzige Forum sein, wo man Klimaschutz betreibt, sondern man muss sich zusätzlich unter den führenden Industrienationen oder G7, oder auch G20, bei den großen Emittenten auf sehr rasche Reduktion der Emissionen einigen, weil das, was bei diesen globalen Gipfeln herauskommt, einfach zu wenig ist.

Stefan Rahmstorf, Universität Potsdam, Sind Klimakonferenzen noch zielführend?

tagesschau24

tagesschau.de: Bestimmte Länder müssten also vorangehen - Europa zum Beispiel. Wäre das sinnvoll?

Rahmstorf: Absolut. Das ist sehr sinnvoll. Und es ist ja auch vollkommen gerechtfertigt, weil Europa zu den Hauptemittenten von Treibhausgasen gehört. Es gibt natürlich auch andere wie China, die in der letzten Zeit mit den Emissionen sehr stark gewachsen sind. Da muss man aber zwei Dinge berücksichtigen: Für die Klimawirkung kommt es auf die Gesamtemissionen seit Beginn der Industrialisierung an, und da hat Europa einfach noch ein Vielfaches von China, wenn man es auf die Bevölkerungsgröße bezieht. Und außerdem entsteht natürlich ein Teil der chinesischen Emissionen bei der Produktion von Waren, die wir hier dann kaufen - sie sind insofern einfach ausgelagert.

"Emissionen müssen jetzt in einen Sinkflug übergehen"

tagesschau.de: Was müsste denn aus Ihrer Sicht jetzt passieren?

Rahmstorf: Was passieren muss, ist ganz klar schon im Bericht des Weltklimarats aufgezeigt: Wir müssen die Emissionen bis 2030 etwa halbieren, weltweit. Und bis jetzt sinken sie ja nicht mal! Man kann sagen, sie sehen so aus, als stagnieren sie so in den letzten zehn Jahren, was ja schon durchaus ein Fortschritt ist. Das liegt zum Beispiel an dem exponentiellen Wachstum der Erneuerbaren Energien. Aber die Emissionen müssen jetzt in einen steilen Sinkflug übergehen und bis 2030 halbiert werden.

"Der politische Wille ist einfach nicht da"

tagesschau.de: Fast hätte es ja das 1,5 Grad Ziel nicht einmal mehr in das Abschlusspapier des Klimagipfels geschafft. Sind die 1,5 Grad aus Ihrer Sicht noch erreichbar?

Rahmstorf: Aus naturwissenschaftlicher Sicht und technologisch sind die 1,5 Grad noch erreichbar. Aber wie man in Sharm el-Sheikh sieht: Der politische Wille dafür ist einfach nicht da. Meine Prognose ist, dass wir das 1,5-Grad-Ziel höchstwahrscheinlich reißen werden. Aber nicht, weil es unmöglich wäre, sondern weil die Politik es nicht mit der entsprechenden notwendigen Priorität verfolgt. Man müsste es zu der Nummer eins Priorität machen, wie in einem Verteidigungsfall zum Beispiel, wo einfach andere Dinge zurückstehen müssen, weil uns sonst eine Katastrophe von planetarem Ausmaß droht.

Die Milliarden-Dollar-Frage

tagesschau.de: Wenn Sie sagen, dass die politische Einsicht noch ein bisschen fehlt, wie könnte man das ändern?

Rahmstorf: Ja, das ist vielleicht die Milliarden-Dollar-Frage. Wie kann man das schaffen? Wir Wissenschaftler klären ja schon über die Fakten auf, spätestens seit 1990, als der erste Bericht des Weltklimarats IPCC erschienen ist. Aber ja, das reicht offensichtlich nicht aus. Es braucht offensichtlich mehr politischen Druck. Und deswegen bin ich auch sehr dankbar für "Fridays for Future", dass die jungen Menschen wirklich jetzt protestieren, auf die Straße gehen und sagen: "Unsere Zukunft wird hier zerstört. Die Politik muss jetzt handeln." Da sind einfach zu stark verflochtene Interessen: Die fossile Energielobby, die hier eine Rolle spielt und Klimaschutz seit Jahrzehnten bekämpft und immer weiter hinauszögert, und damit muss jetzt einfach Schluss sein.

"Die Ursache der Erderwärmung ist zweifelsfrei aufgeklärt"

tagesschau.de: Braucht es noch mehr Fakten, noch mehr Ergebnisse aus der Wissenschaft oder noch eine klarere Kommunikation?

Rahmstorf: Es braucht nicht mehr Fakten. Die Ursache der Erderwärmung ist zweifelsfrei aufgeklärt und auch die Folgen, die wir seit Jahrzehnten vorhergesagt haben, wie eine Zunahme von extremer Hitze, von extremen Niederschlägen, Eisschmelze, Meeresspiegelanstieg, stärkere Wirbelstürme. Die Sachen treten ja alle ein. Die Wissenschaft hat einfach ihren Job gut gemacht. Sie hat recht gehabt. Sie hat das sehr sorgfältig in den IPCC-Berichten kommuniziert. Daran kann man vielleicht kritisieren, dass diese Berichte relativ technisch geschrieben sind. Das ist aber jetzt bei den letzten Berichten auch schon deutlich verbessert worden, dass sie leichter verständlich sind. Und jeder Politiker sollte in der Lage sein, zumindest die Zusammenfassung für Entscheidungsträger der IPCC-Berichte zu lesen und zu verstehen.

tagesschau.de: Klingen einige Berichte vielleicht doch zu vage? Muss deutlicher formuliert werden? Wenn es dann heißt, ob nun das Aussterben bestimmter Tierarten durch die Versauerung der Meere zustande kommt, ist noch nicht ganz klar.

Rahmstorf: Das meiste ist nicht so vage. Sie haben recht, es gibt Dinge, die sind noch nicht so gut verstanden, wie die Auswirkungen der Meeresversauerung, aber die meisten Grundfakten, das Ausmaß der Erwärmung, die Folgen für Extremwetterereignisse sind eigentlich ziemlich klar und auch in den IPCC-Berichten klar ausformuliert. Und das, obwohl auch diese Berichte ein Konsensdokument von vielen beteiligten Wissenschaftlern sind. Das ist fast so ähnlich wie bei den Klimaverhandlungen, es muss auch im Konsens beschlossen werden, was in dem Bericht steht. Und trotzdem sind sie, glaube ich, von großer Klarheit und Deutlichkeit. Sie werden aber, nach meiner Erfahrung, von vielen Politikern nicht einmal gelesen, sondern die nehmen dann ihre Informationen zum Klimawandel aus den Medien. Und da wird seriöse Klimainformation nach wie vor stark vermischt mit Pseudoexpertisen, die von sogenannten "Think Tanks" kommen - finanziert von der fossilen Industrielobby -, die immer wieder versuchen, Nebelkerzen zu werfen und so zu tun, als sei alles unsicher, um die Öffentlichkeit zu verwirren.

Es braucht mehr Tempo in der Energiewende

tagesschau.de: Die nächste UN-Klimakonferenz findet in einem Jahr statt. Was müssten wir in diesem Jahr schaffen, damit diese Klimakonferenz dann vielleicht eine Chance hat?

Rahmstorf: Ja, ich denke tatsächlich, dass es sehr sinnvoll ist, wenn sich die Hauptemittenten Europa, USA, China, Kanada zum Beispiel zusammentun und einfach sagen: "Wir können jetzt nicht länger warten auf den Konsens in den globalen Klimagipfeln, wir gehen jetzt voran." Es gibt ja auch durchaus gute Zeichen, die USA haben unter Präsident Biden den "Inflation Reduction Act" beschlossen, was trotz des Namens zum großen Teil ein Klimaschutzprogramm ist mit sehr großen Investitionen in mehr Klimaschutz. Europa hat den "European Green Deal" und die Chinesen haben sich zumindest auch ein Klimaneutralitätsziel gesetzt und erreichen neue Rekorde beim Ausbau der Solarenergie. Ich glaube, die Energiewende läuft ja schon, und es kommt jetzt hauptsächlich darauf an, da einfach noch mehr Tempo dahinter zu legen.

tagesschau.de: Schauen Sie trotz dieser Ergebnisse positiv in die Zukunft oder sagen Sie vielleicht, dass Sie ein bisschen enttäuscht sind?

Rahmstorf: Ich bin auf jeden Fall enttäuscht. Aber ich bin ein Mensch, der nie die Hoffnung aufgibt, dass wir vielleicht in letzter Minute noch die Kurve kriegen und eine Katastrophe noch verhindern können.

Das Interview führte Anja Martini, tagesschau.de und tagesschau24. Es wurde für die schriftliche Fassung redigiert.