UN-Klimagipfel "Riesige Aufgaben für die nächsten Jahrzehnte"
CO2-, Methan- und Stickoxid-Emissionen müssen runter, um dem Klimaschutz eine Chance zu geben. Aber auch an Schulen sollte das Thema wichtiger werden, sagt der Klimaforscher Pörtner. Er ist für den Weltklimarat auf der COP27.
tagesschau.de: Herr Pörtner, wie nehmen Sie im Moment die Stimmung auf der Klimakonferenz wahr?
Hans-Otto Pörtner: Also, ich würde sagen, die Stimmung ist abwartend. Es gibt verschiedene Strömungen, die in den Diskussionen eine Rolle spielen. Diese Strömungen sind an sich nicht neu. Es gibt Entwicklungsländer, die eine besonders hohe Verwundbarkeit haben, die natürlich auch auf Aktionen dringen. Und diese Konferenz steht ja unter dem Thema Implementierung. Man will die Implementierungslücke im Bereich Anpassung und Minderung des Klimawandels schließen.
tagesschau.de: Wenn Sie Erfolg sagen, was meinen Sie damit?
Pörtner: Erfolg meint natürlich Erfolg für alle, denn wir Wissenschaftler sind ja letztendlich auch Bürger dieser Erde. Erfolg muss bedeuten, dass wir die Klimaziele halten und dass wir die Klimapfade, die von der Wissenschaft vorgegeben sind, auch wirklich treffen und genau einhalten. Das ist eine existenzielle Herausforderung für die Menschheit. Und da gibt es eigentlich keine Alternativen. Und jeder, der glaubt, durch das Festhalten an alten Wirtschaftsmodellen Alternativen zu haben, der vertut sich. Der wird letztendlich im Endeffekt mit allen anderen zusammen auch Wohlstand und Lebensfähigkeit verlieren.
1,5-Grad-Ziel für moderate Risiken
tagesschau.de: Was müssen wir denn erreichen, um irgendwie das Ruder noch rumzureißen und dieses 1,5 Grad Ziel wirklich zu schaffen?
Pörtner: Nun, erstmal müssen die Emissionswerte eingehalten werden, das heißt, die CO2-, Methan- und Stickoxid-Emissionen müssen runter und dafür müssen die Systeme, die beteiligt sind an diesen Emissionen, in eine Transformation gehen. Und die Gesellschaft muss letztendlich mit mit Blick auf die Lebensweise, auf den Konsum in eine Transformation gehen, wo in der vollen Breite alle mitgenommen werden. Das hört sich jetzt natürlich ziemlich unrealistisch an, aber das muss das Ziel der nächsten Jahrzehnte sein. Und wir müssen auf diesem Weg dorthin bis 2030 einen gehörigen Schritt gemacht haben, um eben dieses Ziel einzuhalten.
Wir haben ja in der Arbeitsgruppe II des IPCC eine Risikobewertung gemacht über viele Systeme und Sektoren hinweg. Und die Botschaft ist eigentlich sehr eindeutig, dass wir bei 1,5 Grad Erwärmung noch in der Lage sind, die Risiko-Niveaus für viele Bereiche auf moderat zu halten. Allerdings nicht für alle: Wir werden Schäden haben, wir werden auch Gesundheitsschäden haben. Es wird nicht eine bessere Welt sein, in die wir mit dem Klimawandel gehen. Aber wir haben dann viele Optionen noch zur Verfügung, uns anzupassen und neue Wirtschaftsmodelle auszuprobieren. Nur wir müssen ganzheitlich vorgehen.
Wir brauchen eine gesellschaftliche Mobilisierung, die es in sich hat. Wir haben so lange gewartet, dass wir jetzt keine Zeit mehr haben, irgendwo Kompromisse in die falsche Richtung zu machen. Die aktuelle Krise zeigt uns ja wieder, dass es passieren kann, dass man Kompromisse in die falsche Richtung machen muss, wenn man in eine Notsituation kommt. Und das müssen wir für die Zukunft absolut vermeiden, indem wir planerisch von der Mobilisierung her und in der Umsetzung uns wirklich überzeugt auf den Weg begeben.
"Manches wird ungemütlich werden"
tagesschau.de: Im Februar gab es den letzten IPCC-Bericht aus Ihrer Arbeitsgruppe, wo viele Risiken einer heißeren Welt benannt wurden. War diese Warnung nicht laut genug? Ist die Dringlichkeit nicht zu erkennen?
Pörtner: Der Effekt in der Politik liegt oft in der Wiederholung von diesen deutlichen Aussagen, wo die Handlungsnotwendigkeiten liegen, wo die Zeitnot besonders groß ist. Und ich meine mit dem Bemühen, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu halten, ist die Aussicht verbunden, dass wir uns in vielen Bereichen werden anpassen können. Manches wird ungemütlich werden und manche Umstellungen werden ungemütlich werden. Aber es ist eine positive Perspektive. Die schlechteste Perspektive ist die, so weiterzumachen wie bisher und nicht genug zu tun.
tagesschau.de: Sind Sie als Klimawissenschaftler irgendwann an einem Punkt, wo Sie sagen: "Ich bin jetzt ein bisschen frustriert oder enttäuscht?"
Pörtner: Bei der Umsetzung bin ich zwar ungeduldig, frustriert bin ich aber eigentlich nicht, denn ich denke, aus der Wissenschaft ist es gelungen, ein sehr klares Bild für die Zukunft und für die Notwendigkeiten zu entwickeln. Und wir sehen jetzt die Schwierigkeiten in der Umsetzung. Tatsächlich sind diese Schwierigkeiten auch mit gesellschaftswissenschaftlichen Fragen verbunden. Ich habe aus diesem Prozess selber so viel mitgenommen und so viel gelernt, dass das als Wissenschaftler zunächst einmal befriedigend ist. Natürlich möchte man aber dann auch, dass diese klaren Einsichten sich auch in der Politik niederschlagen.
Bildungsinitiative für den Kampf gegen den Klimawandel
tagesschau.de: Wie kann das denn gelingen?
Pörtner: Wir werden nicht aufhören, die Botschaften in die Gesellschaft und in die Politik hineinzutragen. Vor allen Dingen das, was jetzt neu hinzugekommen ist an Erkenntnissen und Lösungswegen. Ich denke da zum Beispiel an unser Konzept der Klimaresilienz, wo wir Minderung, Anpassung und nachhaltige Entwicklung zusammengeführt haben. Wir werden nicht aufhören, dieses in die Gesellschaft zu tragen und Politik sollte dieses aufnehmen und letztendlich auch in eine Bildungsinitiative umsetzen, mit der alle gesellschaftlichen Schichten in der Breite erreicht werden.
In den Schulen muss dies ein Leitthema werden, an den Universitäten muss dieses ein Leitthema werden. Wenn ich sage dies, dann bedeutet das die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, der Schutz der Artenvielfalt und die Lösung der Klimaproblematik. Denn all diese Dinge gehören zusammen und keines von diesen Dingen kann alleine für sich gelöst werden.
Systemübergänge in Richtung Nachhaltigkeit
tagesschau.de: Wenn Sie jetzt einen Katalog aufstellen könnten mit Forderungen an die Politik, was wäre an grundlegenden Zielen jetzt sofort umsetzbar?
Pörtner: Diese Frage kommt sehr oft und diese Frage ist nicht einfach zu beantworten, denn wir brauchen eine ganzheitliche Umstellung. Wir haben fünf Systemübergänge definiert, die die Gesellschaft betreffen, die den Umgang mit den Ökosystemen betreffen, die die Industrie betreffen und die Infrastruktur betreffen. Und in all diesen Bereichen muss es Übergänge geben, die uns in Richtung Nachhaltigkeit führen.
Und die übermäßige Ressourcennutzung muss auf eine nachhaltige Ressourcennutzung umgestellt werden. All dies sind riesige Aufgaben für die nächsten Jahrzehnte. Und ich denke, ich habe den Bildungs- und Wissenschaftsbereich deswegen betont, weil dafür eine breite gesellschaftliche Willensbildung erforderlich ist, die auch die Politik erfasst und in der die Politik sich autorisiert fühlt, entsprechend vorzugehen. Das ist meiner Ansicht nach das ganzheitliche Bild.
Natürlich gibt es kurzfristige Maßnahmen. Die niedrig hängenden Früchte wie Geschwindigkeitsbegrenzung und so weiter sollte man ernten und man sollte aber auch aufhören, die Nutzung fossiler Energien zu subventionieren. Alle Subventionen sollten umgeleitet werden in Richtung Erneuerbare. All das ist leichter gesagt als getan. Dessen bin ich mir bewusst. Aber ich sage es noch mal deutlich: Es gibt für eine nachhaltige und lebenswerte Zukunft der Menschheit eigentlich keine Alternative dazu.
Das Interview führte Anja Martini, Wissenschaftsredaktion tagesschau