Eine Heuschrecke sitzt auf einem Blatt.

Verhaltensbiologie Wie sich Heuschrecken vor Kannibalismus schützen

Stand: 29.05.2023 09:11 Uhr

Heuschreckenschwärme können die Ernte von ganzen Landstrichen vernichten. Eine neue Studie zeigt, wie sich die Tiere vor kannibalistischen Artgenossen schützen. Ein Ansatzpunkt zur Bekämpfung der Heuschreckenplagen?

Von Veronika Simon, SWR

Abertausende von Tieren, die sich zu einer schwirrenden Wolke formieren - die Bilder von Schwärmen der Wanderheuschrecken sind beeindruckend. Doch diese Insekten sind eigentlich die meiste Zeit eher Einzelgänger und meiden die Nähe zu ihren Artgenossen.

Ein Faktor, der dazu beiträgt, dass die Tiere ihr Verhalten ändern und aus vielen Individuen ein Schwarm wird, ist schon länger bekannt:  Kannibalismus.

Wüstenheuschrecken im Shaba-Nationalreservat in Isiolo (Kenia)

Heuschreckenplagen können in Regionen wie Ostafrika oder Südasien gravierende Folgen für die Nahrungsmittelversorgung der Menschen haben.

Kannibalismus gegen Überbevölkerung

Dass Tiere Eier, Nachkommen oder auch erwachsene Artgenossen ihrer eigenen Art fressen, ist nichts Ungewöhnliches. Das kann zum Beispiel bei einer Überbevölkerung eine ökologische Funktion haben: Wenn es nicht genug Futter gibt, löst Kannibalismus zwei Probleme auf einmal - es gibt weniger Konkurrenten und mehr Futterquellen.

Auch bei Wanderheuschrecken hat man erkannt: Die gigantischen Schwärme bilden sich vor allem, wenn nach Wetteränderungen plötzlich besonders gute Bedingungen für Nachkommen herrschen. Dann kann es schnell zu wenig Futter für alle Tiere geben. So steigt die Gefahr, von anderen, hungrigen Artgenossen attackiert und gefressen zu werden.

Wanderheuschrecken vermeiden dann gefressen zu werden, indem sie sich bemühen, sich parallel in die gleiche Richtung wie die anderen zu bewegen. So reduzieren sie direkte Kontakte. Wenn das alle tun - nach vorne laufen, um der Gefahr auszuweichen, die vom Hintermann ausgeht - dann entsteht eine kollektive Bewegung, ein Schwarm.

Duft schreckt kannibalistische Artgenossen ab

Forschende vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena haben gemeinsam mit chinesischen Kolleginnen und Kollegen nun einen Mechanismus entdeckt, wie sich die Europäische Wanderheuschrecken vor ihren kannibalistischen Nachbarn schützen. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie in der Fachzeitschrift Science.

Dafür analysierten sie alle Duftstoffe, die Heuschrecken von der Art "Locusta migratoria" ausschließlich dann aussondern, wenn sie sich im Schwarm bewegen. Die 17 Düfte, die so in Frage kamen, wurden den Insekten in Verhaltenstest präsentiert. Das Ergebnis: Einer davon wirkt abschreckend auf die Tiere - Phenylacetonitril oder kurz PAN.

Das ist ein Gift, das Forscher schon früher im Körper von verschiedenen Wanderheuschrecken entdeckt hatte. Bisher war bekannt, dass die Insekten es nutzten, um sich gegen Konkurrenten bei der Paarung durchzusetzen oder gegen Fressfeinde wie Vögel zu wehren.

Entdeckung eventuell nützlich zur Bekämpfung

Mit genetisch veränderten Heuschrecken konnten die Forschenden jetzt zeigen: Tiere, die PAN nicht mehr produzieren konnten, wurden häufiger von ihren Artgenossen gefressen als normale Tiere. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten sogar noch zeigen, mit welchem Geruchsrezeptor die Artgenossen PAN detektieren können. Damit wiesen sie nach, dass es einen Duftstoff gibt, der steuert, wie viel Kannibalismus in einem Schwarm Heuschrecken vorkommt. Das war bislang unbekannt.

Für die Bekämpfung der Heuschreckenplagen könnten diese Erkenntnisse möglicherweise interessant werden: Da man nun die Ökologie der Wanderheuschrecke und deren Schwarmgefüge besser versteht, könnte die Entdeckung Ansatzpunkte liefern, um ihr Verhalten zu beeinflussen. "Wenn man die Produktion von Phenylacetonitril oder die Funktion des Rezeptors hemmt, könnte man die Heuschrecken dazu bringen, sich kannibalistischer zu verhalten und sich auf diese Weise möglicherweise selbst zu bekämpfen", meint Bill Hansson, einer der Autoren der Studie.

Veronika Simon, SWR, tagesschau, 29.05.2023 09:44 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 05. Mai 2023 um 16:36 Uhr.