UN-Biodiversitätskonferenz Wie invasive Arten die Vielfalt gefährden
Mit der Globalisierung erobern sich viele Tier- und Pflanzenarten neue Lebensräume. Einige dieser invasiven Arten können massive ökologische und wirtschaftliche Probleme verursachen.
Sie ist nur etwa vier Zentimeter groß und unscheinbar grau-schwarz gemustert. Und doch wirbelt sie das Leben am und im Bodensee ordentlich durcheinander: Badegäste verletzen sich an ihren scharfen Kanten die Füße. Unterwasser-Bewohner leiden unter ihrer Konkurrenz. Und die Wasserversorger kostet sie Millionen von Euro. Die Quaggamuschel.
Ursprünglich im Schwarzmeerraum heimisch, wurde sie 2016 zum ersten Mal im Bodensee nachgewiesen, eingeschleppt vermutlich durch Sportboote. Seitdem vermehrt sich die invasive Art explosionsartig, mit gravierenden Folgen: "Der Bodensee wird nicht kaputt gehen. Aber es wird nicht mehr derselbe See sein", sagt Silvan Rossbacher vom Schweizer Wasserforschungsinstitut Eawag im SWR.
Invasive Arten - Triebkraft des Artensterbens
Die Quaggamuschel-Invasion zeigt es: Tierische oder pflanzliche Eindringlinge können Ökosysteme aus dem Gleichgewicht bringen, und dabei heimische Arten gefährden. Der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) bezeichnet die "Invasion fremder Arten" sogar als eine von fünf "direkten Triebkräften" des weltweiten Artensterbens.
Allerdings sind nicht alle neu eingewanderten Pflanzen (Neophyten) oder Tiere (Neozoen) generell problematisch. "Von den meisten gebietsfremden Arten, die sich bei uns ansiedeln konnten, gehen keine Gefahren für unsere Natur oder Gesundheit aus", stellt das Bundesamt für Naturschutz (BfN). Doch etwa zehn Prozent, so das BfN, "bereiten naturschutzfachliche Probleme".
Von Natur aus bei uns vorkommende Arten werden als einheimische oder indigene Arten bezeichnet. Gebietsfremde Arten sind durch den Einfluss des Menschen zu uns gekommen, entweder beabsichtigt (z.B. als Nutzpflanze), oder unbeabsichtigt (z. B. als "blinder Passagier" im Ballastwasser von Schiffen).
Zur zeitlichen Abgrenzung dient das Jahr der Entdeckung Amerikas, 1492. Alle Arten, die danach zu uns gekommen sind, heißen Neobiota. Alleine in Deutschland konnten sich seitdem rund 930 Neobiota-Arten etablieren, darunter viele Nutzpflanzen wie die Kartoffel, der Mais und die Tomate. Zusätzlich gibt es aktuell knapp 2000 gebietsfremde Tier-, Pflanzen- und Pilzarten, die als "unbeständig auftretend" gelten, wobei von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen wird.
Verdrängung von einheimischen Arten
Zum Beispiel dann, wenn sie, wie der Kalikokrebs, in Teichen die Eier der dort lebenden Amphibien restlos auffressen, wie eine SWR-Reportage zeigt. Oder wenn sie, wie die eingewanderte Bisamratte, die einheimische Bachmuschel dezimieren. Oder wenn sie, wie der Waschbär, Träger von Krankheitserregern sind.
Zudem können invasive Arten ganze Ökosysteme verändern. Wo heute zum Beispiel die Quaggamuschel massenhaft den Grund des Bodensees bedeckt, haben andere, hochspezialisierte Arten, die auf unbedeckte Fels- oder Sandböden angewiesen sind, das Nachsehen: Ihr Lebensraum ist verloren.
Wirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe
Die Ausbreitung der Quaggamuschel verschlingt aber auch Geld. Zum Beispiel, weil die Nutzung des Bodenseewassers als Trinkwasser aufwändiger wird. "Die Larven der Quaggamuscheln schwimmen in die Leitungen und setzen sich als Muscheln auf und in den Entnahmeleitungen und Förderanlagen fest", heißt es beim Zweckverband "Bodensee Wasserversorgung". Das macht regelmäßige Reinigungsarbeiten und Millionen-Investitionen in Filter-Anlagen notwendig.
Und dies ist nur eines von unzähligen Beispielen dafür, dass die Ausbreitung einer invasiven Art wirtschaftliche Folgen hat. Laut einer kürzlich erschienenen Studie der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung summieren sich die weltweiten Folgeschäden durch invasive Arten, unter anderem durch Ernteverluste und Belastungen des Gesundheitssystems, seit 1960 auf fast eine Billion Euro.
Bekämpfung fast aussichtslos
Das Problem also ist bekannt - und wird doch immer größer. Vor allem durch die weltweiten Warenströme, die es Pflanzen und Tieren ermöglichen, als "blinde Passagiere" in immer neue Regionen vorzustoßen. "Die Rate, mit der neue invasive Arten eingeführt werden, scheint höher zu sein als je zuvor und es gibt keine Anzeichen für eine Verlangsamung," so der IPBES-Bericht von 2019. Und der Klimawandel dürfte das Problem zusätzlich verschärfen, denn er macht es wärmeliebenden Arten leichter, ihren Lebensraum auszudehnen.
Auf einer Liste der "Invasive Species Specialist Group" (ISSG) der "Internationalen Union zur Bewahrung der Natur" (IUCN) finden sich die "100 of the World's Worst Invasive Alien Species", darunter die Chinesische Wollhandkrabbe oder die Asiatische Tigermücke.
Die Europäische Union führt eine Liste ("Unionsliste") mit derzeit 88 invasiven Tier- und Pflanzenarten, für die gewisse Mindeststandards unter anderem zur Vorbeugung, Früherkennung und Monitoring gelten, darunter Nilgans, Marderhund oder Drüsiges Springkraut. Kritiker sagen, auf der Liste befände sich nur ein Bruchteil der in Europa problematischen invasiven Arten.
Doch die Möglichkeiten, invasive Arten in Schach zu halten, wenn sie sich erst mal verbreitet haben, sind begrenzt. Prävention und gegebenenfalls Sofortmaßnahmen in einem sehr frühen Stadium - mehr ist kaum machbar. "Viele problematische Neobiota-Arten, die weiträumig etabliert sind, werden nicht mehr ausrottbar sein", heißt es dann auch beim BfN. Eine Bekämpfung sollte "nur in begründeten Einzelfällen" erfolgen, um eine Art "unter Kontrolle zu halten oder lokal zu beseitigen".
Nicht mehr ausrottbar - das gilt wohl auch für die kleine, unscheinbar grau-schwarz gemusterte Muschel im Bodensee: "Wenn wir entsprechendes Glück bei den Quaggamuscheln haben", so der Leiter des Instituts für Seenfoschung Langenargen im SWR, "wird sich das irgendwo auf einem gewissen Niveau einpendeln. Aber los werden wir sie definitiv nicht mehr."