"Frankfurter Erklärung" Artenschutz durch neues Wirtschaften
Unser Wirtschaftssystem hängt an vielen Stellen von der Artenvielfalt ab. Experten fordern deshalb einen grundlegenden Wandel. Das Motto: "Wirtschaft braucht Natur".
Wirtschaften mit der Natur, und nicht gegen sie - das fordern zahlreiche Wissenschaftler und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen eine Woche vor Beginn der UN-Biodiversitätskonferenz in Montreal. Sie rufen dazu auf, das Wirtschaftssystem von Grund auf zu ändern.
Wirtschaftssystem hängt auch an der Artenvielfalt
Nötig sei eine entschiedene Trendwende, heißt es in der "Frankfurter Erklärung", die das Bündnis heute vorstellte. Am Ende müsse eine Wirtschaftsordnung stehen, "die für die Nutzung der Natur einen angemessenen Preis aufruft". Das bedeutet: Es müsse eine Wirtschaft her, die auch die Kosten abbildet, die durch den Verlust der Artenvielfalt entstehen. Dabei geht es nicht nur ums Geld, sondern darum, Naturräume im großen Stil zu schützen.
An vielen Stellen hängt das Wirtschaftssystem von der Artenvielfalt ab. Ein Beispiel: Kakao. Die Pflanzen werden nur von zwei Insektenarten bestäubt. Das seien Arten, die sich in Tropenwäldern ziemlich wohl fühlen, erklärt die Tropenbiologin Frauke Fischer gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio. Allerdings werde der meiste Kakao in Monokulturen in der Sonne angebaut - für die Mücken seien das schlechte Lebensbedingungen. Würden diese zwei Arten aussterben, gäbe es am Ende sehr viel weniger Kakao.
Artensterben verursacht weltweiten Hunger
Aber es geht längst nicht nur um Kakao und die Schokoladenindustrie, wie die Initiatoren der "Frankfurter Erklärung" deutlich machen. Christof Schenck, Träger des Deutschen Umweltpreises 2022 und Geschäftsführer der Frankfurter Zoologischen Gesellschaft, schildert die Lage als dramatisch. Derzeit gebe es ein Massensterben, sagt er.
Jeden Tag sterben demnach etwa 150 Arten aus - sowohl Tiere als auch Pflanzen. Werde nicht gegengesteuert, könne das fatale Folgen haben, beschreibt der Forscher: "Dreiviertel aller Nutzpflanzen werden von Insekten bestäubt. Wenn wir Insekten nicht mehr haben, müssen wir - und zwar weltweit - massiv hungern."
Wertschöpfungsketten tragen zur Zerstörung bei
Deshalb sei es im Interesse aller Unternehmen, sich für den Erhalt der Artenvielfalt einzusetzen, was aktuell kaum passiere. "Die globalen Wertschöpfungsketten deutscher Unternehmen beeinflussen die Natur erheblich und tragen vielfach zur Zerstörung bei", heißt es in der Erklärung. Die Gruppe sieht aber auch einen Willen zum Umsteuern, um naturverträglicher zu wirtschaften. Immer mehr Betriebe seien bereit, Verantwortung zu übernehmen.
Damit Unternehmen nachhaltiger wirtschaften, müssten laut den Forschern Anreize geschaffen werden. Jörg Rocholl, Präsident der internationalen Wirtschaftsuniversität ESMT in Berlin, betont, es fehle "ein konkreter Preis für das, was wir an Verlust von Natur erleben".
Die Initiatoren fordern, ein System für einen messbaren Artenschutz zu schaffen. Eine Idee: Wie beim CO2-Preis soll auch die Zerstörung von Artenvielfalt ein Preisschild bekommen. Grundsätzlich würden die Folgen des Artenschwundes noch immer unterschätzt, gerade im Vergleich zur Klimakrise.
Schulterschluss der gesellschaftlichen Gruppen gefordert
Um die Voraussetzungen zu schaffen, dass Unternehmen umsteuern, ruft die Gruppe zu einem "Schulterschluss von Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft" auf. Gemeinsam sollen sie erarbeiten, wie Unternehmen Geld verdienen und trotzdem die Natur schützen können. Die Politik müsse entsprechende Rahmenbedingungen schaffen. Die Forderung: "einheitliche Wettbewerbsbedingungen" mit dem Ziel, "natur-positives Wirtschaften zum Standard zu machen".
Auch müssten Unternehmen dazu verpflichtet werden, regelmäßig einen entsprechenden Bericht darüber abzuliefern, wie sie natürliche Ressourcen nutzen. Themen, um die es auch auf der Weltnaturkonferenz gehen wird, die in der kommenden Woche in Montreal startet. Eines der großen Ziele wird dort sein, mindestens 30 Prozent der weltweiten Flächen an Land und im Meer 2030 unter Schutz zu stellen.