Invasive Art Können die Kalikokrebse noch gestoppt werden?
Die eingewanderten Kalikokrebse vermehren sich im Rekordtempo. Als Allesfresser zerstören sie ganze Biotope und bedrohen am Oberrhein die Artenvielfalt: Lassen sich die Krebse noch stoppen?
"Wir haben einen völlig neuen Typ von Wasserbewohner", sagt Andreas Martens. Zehntausende Kalikokrebse hat der Biologe südlich von Karlsruhe am Oberrhein schon gefangen. Mehrfach musste er mitansehen, wie die eingewanderten Kalikokrebse ganze Biotope leer fressen, bis sie sich am Ende sogar gegenseitig verschlingen.
"Die Kalikokrebse dringen in Bereiche vor, wo es natürlicherweise überhaupt keine Krebse gab", sagt Christoph Chucholl von der Fischereiforschungsstelle am Landwirtschaftlichen Zentrum Baden-Württemberg. Die Krebse schwimmen und krabbeln vor allem in kleine Tümpel, eigentlich krebsfreie Paradiese für Amphibien. Die Kalikokrebse haben hier fast keine Feinde und sind in den kleinen Gewässern völlig überlegen. Vor allem die Eier und Larven von Amphibien, Insekten und Libellen haben keine Chance. Der Krebs frisst alles.
Teilweise finden sich Zehntausende Krebse in einem Gewässer.
Warum die Krebse so überlegen sind
Mit nur drei Monaten ist der Kalikokrebs-Nachwuchs geschlechtsreif - kein Krebs in Europa kann sich so schnell vermehren. Ein Weibchen trägt 150 bis 500 Eier. Die nordamerikanischen Kalikokrebse sorgen für viel Nachwuchs, damit zumindest einige Eier überleben. Denn in ihrer eigentlichen Heimat in Nordamerika haben sie viele Feinde und Konkurrenten. Hier besetzen sie in den kleinen Tümpeln nur eine kleine Nische. In Deutschland sind sie dagegen die einzigen Krebse, die tiefe Höhlen bauen und auch in flachen Gewässern überleben. "Hier sind sie völlig überlegen", sagt Martens von der Pädagogischen Hochschule (PH) Karlsruhe.
Vor allem Amphibien und Libellen leiden unter dem Kalikokrebs, beobachtet eine Studie der PH Karlsruhe. In einem nur 40 Meter langen Tümpel lebten über 60.000 Krebse. "Da war nur noch eine braune Suppe übrig", sagt Martens. Immer wieder zerstören die Krebse Zufluchtsorte für Amphibien, Libellen und Insekten. "Die hohen Bestandsdichten der Krebse führen dann zu diesem gravierenden ökologischen Problem", erklärt Chucholl.
Ein Krebsweibchen kann Hunderte Eier tragen - eine enorme Bedrohung für einheimische Arten.
Teures Naturschutzprojekt zerstört
In Berg in der Pfalz haben die Kalikokrebse nicht nur ein Biotop zerstört, sondern gefährden auch ein Wiederansiedlungsprojekt der am Rhein ausgestorbenen Sumpfschildkröten, sagt Kathrin Theissinger vom Senckenberg Forschungsinstitut: "Wir haben vor vielen Jahren angefangen, hier die einheimische Schildkröte wieder anzusiedeln und sehen uns jetzt mit der Tatsache konfrontiert, dass wir es mehr mit invasiven Arten zu tun haben als mit den Sumpfschildkröten", sagt die Biologin. "Das ist natürlich extrem frustrierend als Naturschützer."
Über eine Million Euro hat das EU-Projekt gekostet. Ein Beispiel, wie die Krebse Schutzprojekte für heimische Tierarten zerstören können. Sie können die Schildkröten zwar nicht fressen, zerstören aber ein Teil der wichtigen Lebensräume: "Man hat das Gefühl, man kämpft gegen Windmühlen", so Theissinger.
Wie sind die Tiere nach Deutschland gekommen?
An einem Baggersee in der Nähe vom Flughafen Baden-Baden-Karlsruhe begann alles. Bis 1993 waren am Flughafen kanadische Soldaten stationiert und die kennen aus ihrer Heimat den Kalikokrebs als Angelköder. Möglicherweise konnten sich gleich mehrere Krebse von der Angel befreien oder einige Krebse waren nach dem Angeln noch übrig.
"Dann ist die Frage: Nehme ich diesen Eimer mit Krebsen mit nach Hause?", so Biologe Chucholl. Wahrscheinlich habe der Angler die Krebse dann einfach zurück ins Gewässer geschüttet. Klar ist: Der Mensch hat den Kalikokrebs hier nach Deutschland eingeschleppt, mittlerweile haben sich die Krebse bis nach Düsseldorf ausgebreitet.
Können die Krebse noch gestoppt werden?
Bei Gilbert Zwick landen die Kalikokrebse regelmäßig auf seinem Teller. Der Angler aus Berg in der Pfalz versucht, möglichst viele Krebse zu fangen und zu essen. Die Zubereitung ist aber sehr aufwendig: "Von satt werden ist hier nicht die Rede", sagt Zwick. Doch lassen sich die Krebse so bekämpfen oder zumindest nachhaltig schwächen?
Nein, sagt Chucholl: Verdrängen oder gar ausrotten lassen sich die Krebse so nicht: "Das hat noch nie bei anderen Krebsarten funktioniert. Im Gegenteil." Es bestehe immer die Gefahr, dass die Händler und Jäger sich gar nicht mehr wünschen, dass die invasive Krebsart überhaupt verschwindet.
Mit Bioziden bekämpfen?
In kleinen Testgebieten haben Forschungsteams in Schweden, Großbritannien und Norwegen Krebse mit Bioziden verdrängt. Dort gibt es zwar noch keine Kalikokrebse, aber hier wird der Einsatz von Bioziden mit dem ebenfalls eingewanderten Signalkrebs getestet. Ein, zwei, manchmal drei gezielte Behandlungen reichten, wenn um das befallene Gewässer noch keine anderen Krebse leben.
Die Forschenden sprechen von einer chemischen Notfallmaßnahme. Denn nicht nur die Krebse sterben, auch Fische, Eier und Larven können sterben. Doch die Experimente zeigen: Nach ein oder zwei Jahren kommen die Fische zurück, Amphibien legen wieder ihren Laich in die Gewässer. Nur die Krebse sind dauerhaft verschwunden.
Vom Menschen verschleppt
Könnten Biozide auch in Deutschland eingesetzt werden? Theoretisch ja, sagt Chucholl: Am Oberrhein sei es dafür viel zu spät, aber in anderen Regionen könnte ein Biozid-Einsatz sinnvoll werden: "Angenommen drumherum sind wertvolle Auenhabitate und sonst kein Vorkommen des Kalikokrebses. In solchen Situationen würde ich immer noch ernsthaft über Biozide nachdenken, zumindest aus fachlicher Sicht."
Dafür müssten die Krebse aber früh entdeckt werden, wenn sie in andere Regionen verschleppt werden. Immer wieder werden Kalikokrebse von Menschen verschleppt. "So sind die Krebse schon im Schwarzwald entdeckt worden", sagt Chucholl. Hier können sie unmöglich hingewandert sein.
Kleine Biotope können geschützt werden
Im Schwarzwald haben sich die Krebse schon etabliert, aber kleine Biotope können mit einem Ring von Baumstämmen und aufgeschüttetem Kies geschützt werden. Das zeigen erste Tests der PH Karlsruhe. Durch die 30 Zentimeter hohen Baumstämme werden die Krebse ausgesperrt. Die Biotope müssen regelmäßig gepflegt werden, zum Beispiel Mäuselöcher gestopft werden. Denn schon eine einzige Lücke bringt das ganze Projekt in Gefahr, sagt Martens: "Wenn ein einziges Weibchen ein Gewässer erreicht, mit so vielen Eiern, dann sind gleich 350 Krebse drin."
Die Schutzmaßnahmen sind aufwendig, aber eine Lösung für einzelne kleine Tümpel, damit zumindest die Amphibien hier ihre Rückzugsgebiete nicht verlieren. Denn klar ist: Rund um den Oberrhein lassen sich die Krebse jetzt nicht mehr verdrängen.