Mekong-Region in Asien Hunderte neue Arten dokumentiert
Rund um den Mekong-Fluss sind zuletzt 380 neue Arten entdeckt worden. Für Experten keine Überraschung: Vor allem in Tropenregionen gibt es noch Millionen unentdeckter Tiere und Pflanzen. Doch ein großer Teil ist vom Aussterben bedroht.
In der südostasiatischen Mekong-Region haben Wissenschaftler in nur zwei Jahren 380 Tier- und Pflanzenarten dokumentiert, die zuvor noch nie beschrieben wurden. Die meisten Spezies wurden in Vietnam und Thailand entdeckt, gefolgt von Myanmar, Laos und Kambodscha, heißt es in einem Bericht der Umweltorganisation WWF.
Zu den bislang unbekannten Arten gehören die Blaukopf-Schönechse (Calotes goetzi) aus Kambodscha, die zur Verteidigung ihre Farbe wechselt, sowie eine Froschart (Theloderma khoii) aus dem Norden Vietnams, die sich mit einer Moos-ähnlichen Hautstruktur tarnt. Zudem konnte eine äußerst giftige Schlange (Bungarus suzhenae) dokumentiert werden, die nach einer Schlangengöttin aus einer chinesischen Legende benannt wurde.
Einziges Säugetier auf der Liste ist eine Mausohrfledermaus (Myotis hayesi) aus Kambodscha. Dazu kommen zahlreiche Blumen und Pflanzen, wie die leuchtend rosa-gelbe Mini-Orchidee Dendrobium fuscifaucium (Laos) oder neue Arten von Begonien und Rhododendren.
Tausende Arten in Region dokumentiert
Seit 1997 seien rund um den mächtigen Fluss Mekong damit bereits 3389 zuvor unbekannte Pflanzen, Fische, Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere dokumentiert worden, teilte WWF Deutschland mit. Dabei würden modernste Technologien helfen, wie Bioakustik-Methoden zur Analyse der von Tieren erzeugten Geräusche oder Fortschritte bei der genetischen Sequenzierung, heißt es in dem Bericht.
"In der Mekong-Region gibt es vermutlich noch unzählige Arten, die die Wissenschaft nicht kennt. Es könnten Tier- und Pflanzenarten für immer ausgelöscht werden, bevor wir überhaupt von deren Existenz erfahren", warnte Stefan Ziegler vom WWF Deutschland. Unter anderem stellen riesige Wasserkraftwerke und massive Wilderei eine Bedrohung dar. Ziel müsse es sein, die biologisch wertvollen Gebiete am Mekong grenzüberschreitend und dauerhaft zu schützen, betonte Ziegler.
Ein Hotspot der Artenvielfalt
Für den Biologen und Agrarökologen Josef Settele kommen solche Meldungen nicht überraschend: "Solche feucht-warmen Gebiete in den Tropen sind Hotspots der Artenvielfalt. Dort werden regelmäßig neue Arten entdeckt." Zudem gebe es seit einigen Jahren viel Forschung zu unbekannten Arten, sogenannter "Dark Taxa". Das führe dazu, dass auch mehr neue Arten erfasst werden.
Vor allem aber gibt es weltweit mehrere Millionen Tiere und Pflanzen, die noch nicht wissenschaftlich beschrieben sind. "Derzeit kennen wir knapp zwei Millionen verschiedene Tiere, Pflanzen und Pilze", erklärt Settele. "Doch laut unseren Schätzungen gibt es etwa acht Millionen Arten auf diesem Planeten. Das bedeutet, dass noch rund sechs Millionen darauf warten, entdeckt zu werden." Die Zahl der Pflanzen sei mit einigen Hunderttausend eher gering; den größten Teil der Arten machen Insekten aus. Auf der Seite des Bundesamts für Naturschutz gibt es eine detaillierte Übersicht, wie viele Arten aus welchen Bereichen wo existieren.
Erfassung - keine triviale Aufgabe
Auch in Deutschland gibt es noch Tausende unbekannte Arten. In einer Studie aus dem Jahr 2022 schätzen Wissenschaftler, dass hierzulande mindestens 2000 Insektenarten unentdeckt sind. Zuletzt wurde Anfang des Jahres beispielsweise eine neue Wespenart in Süddeutschland beschrieben. Die Aphanogmus kretschmanni war bis dato unbekannt - mit ihren Namen soll der amtierende Ministerpräsident Baden-Württembergs geehrt werden, so die Entdeckerin.
Die Erfassung einer neuen Art ist jedoch nicht trivial, sagt Settele. "Es braucht zum einen große Expertise, um eine neue Art als solche überhaupt zu erkennen. Denn oft sind die morphologischen Unterschiede nur sehr gering. Dann muss die neue Art sehr präzise und wissenschaftlich korrekt beschrieben werden und einer kritischen Überprüfung durch andere Experten standhalten. Und idealerweise gibt es dann noch DNA-Untersuchungen, um die Unterschiede auch auf molekularer Ebene abzusichern", so der Biodiversitäts-Experte.
Dramatisches Artensterben
Settele weist jedoch darauf hin, dass solche Meldungen wie die des WWF nicht darüber hinwegtäuschen dürften, dass es insgesamt nicht gut steht um die Artenvielfalt - in Deutschland und weltweit. "Wir gehen davon aus, dass etwa eine Million Arten - also jede achte - im Laufe der nächsten Jahrzehnte verloren geht, wenn wir nicht gegensteuern. Das Artensterben geht derzeit mit einer enormen Geschwindigkeit vonstatten", so Settele, der mehrere Jahre beim Weltbiodiversitätsrat IPBES für das sogenannte Globale Assessment zuständig war.
Auch Deutschland ist davon betroffen: Zahlreiche Arten stehen hierzulande auf der Roten Liste der bedrohten Arten. So sind etwa die Hälfte aller Wildbienen gefährdet. Die fünf Hauptgründe für das Artensterben sind laut Settele die Änderung der Landnutzung, die direkte Ausbeutung, also etwa die Überfischung der Weltmeere, der Klimawandel, die Umweltverschmutzung und invasive Arten, die andere verdrängen.
Das Problem dabei: Ökosysteme sind sehr fragil und bauen aufeinander auf. Wenn zu viele Arten aus einem System ausfallen, kann irgendwann das gesamte System aus dem Gleichgewicht geraten und Schaden nehmen. Zudem kann Artensterben handfeste wirtschaftliche Folgen für Menschen haben. So sind etwa 75 Prozent aller Nutzpflanzen auf Bestäuber angewiesen. Wenn diese ausfallen, muss der Mensch diese aufwendige und kostspielige Arbeit übernehmen - und es kann zu Nahrungsmittelknappheiten kommen. Den gesamten Wert dieser und weiterer sogenannter "Ökosystemleistungen" der Natur - also etwa fruchtbare Böden oder die Regulierung des Klimas - schätzen Experten auf etwa 150 Billionen Dollar pro Jahr.
Mehr Engagement von der Politik gefordert
Nicht zuletzt deshalb fordert der WWF anlässlich des heutigen Internationalen Tages der Artenvielfalt von der Bundesregierung mehr Engagement zum Schutz der weltweiten Biodiversität. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte im September 2022 im Rahmen der UN-Generalversammlung verkündet, die internationale Biodiversitätsfinanzierung bis 2025 auf 1,5 Milliarden Euro pro Jahr zu erhöhen. Deutschland müsse angesichts des Artensterbens endlich "das Gaspedal durchdrücken" und den Zusagen nachkommen.