Agroforstwirtschaft Wie Bäume und Hecken auf dem Acker helfen
Baumreihen auf dem Feld schützen vor Bodenerosion und Verdunstung - und sichern den Landwirten dadurch wichtige Erträge. Von der sogenannten Agroforstwirtschaft profitiert aber auch die Gesellschaft.
So multifunktional wie ein Schweizer Taschenmesser: Das Miteinander von Bäumen und Ackerbau oder Hecken und Wiese auf einer Fläche bringt vielfältigen Nutzen für die Umwelt und die Gesellschaft. So profitieren zum Beispiel der Wasserhaushalt, die Artenvielfalt und das Klima. Doch es fehlen entscheidende Anreize für die Bauern, Bäume und Hecken auf die Felder zu pflanzen. Stattdessen gibt es einige Hürden.
Von den bekanntesten Agroforst-Systemen wissen die meisten nicht einmal, dass sie Agroforst-Systeme sind: Streuobst-Wiesen und Knicks. Knicks sind Wildgehölzhecken auf Erdwällen, typische Landschaftsbestandteile in Schleswig-Holstein, die früher Eigentumsgrenzen markiert haben und heute immer noch den Wind abbremsen. Zwischen Streuobst-Baumreihen waren früher auch Ackerstreifen. Und die Bäume wurden als Hochstämme gezogen, damit man unter den Baumkronen arbeiten und mit dem Traktor durchfahren konnte.
Neu angelegte Agroforst-Systeme erkennt man in der Regel an regelmäßig angeordneten Baumreihen oder Heckenstreifen auf einem Acker oder einer Wiese. Die Abstände zwischen den Reihen sind auf die Arbeitsbreiten der Landmaschinen abgestimmt.
Viele Vorteile für Umwelt und Gesellschaft
Die Gehölze fixieren in jedem Fall Kohlenstoff in ihren Wurzeln. Und wenn die Baumreihen zum Beispiel aus Wildkirschen oder anderem Wertholz bestehen, dann ist das Kohlendioxid im Holz auch über Jahrzehnte gespeichert. Wenn das Holz für den Bau oder bei der Möbelherstellung eingesetzt wird, noch deutlich länger. Bäume kühlen durch ihre Verdunstungsleistung im Sommer und haben allgemein eine mäßigende Wirkung auf das Mikro-Klima. Weitere Vorteile: Sie bremsen Winde, stabilisieren den Wasserhaushalt und verbessern die Wasserqualität. Agroforst-Systeme bringen auch mehr Artenvielfalt, obwohl die Erträge nach den bisherigen Erfahrungen nicht sinken. Eine Besonderheit, denn normalerweise ist eine steigende Artenvielfalt in der Landwirtschaft immer mit sinkenden Erträgen gekoppelt.
Isabelle Frenzel vom Deutschen Fachverband für Agroforstwirtschaft, kurz DeFAF, nennt als Beispiel eine Untersuchung, bei der die Regenwurmdichte verglichen wurde. Dort wurden auf der Agroforstfläche zwölfmal mehr Regenwürmer gefunden als auf einem konventionellen Acker "und auch teilweise Tiefengräber". Also Regenwürmer, die bis in Tiefen von zwei Meter und mehr senkrechte Gänge graben und so vorbeugenden Hochwasserschutz betreiben. Ein weiterer Pluspunkt: Baumreihen und Hecken steigern vor allem in ausgeräumten Fluren die Attraktivität der Landschaft.
Eine Agroforst-Anlage im Anfangsstadium. Die Abstände zwischen den Reihen sind auf die Arbeitsbreiten der Landmaschinen abgestimmt.
Mehrwert für die Landwirte: Bodenfruchtbarkeit und Krisenfestigkeit
Auch für die Bäuerinnen und Bauern bringt Agroforstwirtschaft vielfältigen Nutzen. Der Betrieb wird krisensicherer, unter anderem, weil er mehr Produkte erzeugt. Im einfachsten Fall Energieholz zusätzlich zu den Ackerkulturen. Doch da geht noch viel mehr: Nüsse, Obst und Wildobst wie Holunder, Wertholz wie Schiffsmastrobinien und das Laub von Weiden, Maulbeersträuchern oder Haselnüssen als Viehfutter. Das fressen die meisten Rinder, Schafe und Ziegen lieber als Gras.
Und: Agroforst-Systeme sichern die Bodenfruchtbarkeit. So reduzieren Baumreihen auf dem Acker einer wissenschaftlichen Untersuchung aus Brandenburg zufolge Winde, die Bodenerosionen verursachen, um über 90 Prozent. Indem die Gehölzstreifen den Wind abbremsen, können sie auch die Verdunstung senken. In einem Versuch in Mecklenburg-Vorpommern war die Verdunstung auf dem Agroforst-Acker um rund ein Drittel niedriger als auf einem Acker ohne Gehölzstreifen. Bäume dämpfen darüber hinaus die Temperaturspitzen.
Großer Gewinn für die Tiere auf der Weide: Ein Platz im Schatten
Stehen die Bäume auf der Wiese, profitieren die Weidetiere vom Schatten - ein wesentlicher Aspekt für das Tierwohl. Landwirt Jürgen Speinle aus Weisingen im bayerischen Landkreis Dillingen ist zum Beispiel durch seine Kühe zur Agroforstwirtschaft gekommen. "Weil unser Vieh im Stall geblieben ist. Weil's da kühler war." In den heißen Sommern der vergangenen Jahre sind die Kühe einfach nicht auf die Weide hinausgegangen, auf der keine Bäume standen. Auf der Weidefläche, die bereits Streuobstbäume hatte, haben sie sich im Schatten dagegen gerne aufgehalten.
Zuerst kommen die mageren Jahre
Familie Speinle hat im Dezember 2023 weitere 28 Obstbäume auf ihre Weideflächen gepflanzt. Walnüsse, Esskastanien, Elsbeeren, Birnen und Pflaumen. Und auch wenn die Elsbeeren bereits drei Meter hoch waren, so wird es doch einige Jahre dauern, bis sie dem Milchvieh und den Hühnern Schatten spenden. Das ist nur ein Beispiel von vielen, das deutlich macht: "Der beste Zeitpunkt einen Baum zu pflanzen wäre vor 15 Jahren gewesen." Ein geläufiger Satz unter Agroforst-Fachleuten.
Denn Agroforst-Bauern brauchen einen langen Atem. Die Bäume und Hecken anzuschaffen, kostet viel Geld. Sie zu pflanzen und zu pflegen, macht in den ersten Jahren viel Arbeit. So sollten die Baumscheiben, also die direkte Umgebung des Stammes, unkrautfrei sein, damit die Bäume am Anfang gut anwachsen und an Höhe gewinnen. Dazu kommt: Die Arbeit fängt bereits lang vor dem Baumkauf an, im Kopf. "Einfach bloß die Baumreihe oder die Hecke hinsetzen, ist es ja nicht", so Landwirt Jürgen Speinle. Denn die Anlage muss sich zum Beispiel an der Haupt-Windrichtung orientieren und zur Bewirtschaftung passen.
"Der beste Zeitpunkt einen Baum zu pflanzen wäre vor 15 Jahren gewesen." Ein geläufiger Satz unter Agroforst-Fachleuten.
Lohnt sich Agroforst für die Landwirte?
Agroforstwirtschaft steigert die Flächenproduktivität. Liefert also mehr vom Hektar, sagt Isabelle Frenzel vom DeFAF. "Wenn wir Gehölze und Kulturpflanze gemischt anbauen, haben wir viel mehr Biomasse-Produktion, als wenn wir die Systeme einzeln voneinander getrennt anbauen würden." Praktiker Thomas Domin aus Senftenberg in Brandenburg bestätigt diese Aussage.
Der Landwirt gehört zu den Agroforstpionieren. Auf seinen Flächen laufen etliche wissenschaftliche Untersuchungen. Sie haben ergeben, dass zum Beispiel der Getreideertrag gleich geblieben ist, obwohl die Getreideanbaufläche zugunsten der Gehölzreihen reduziert wurde. Denn die Bäume würden helfen, Wasser zu sparen und die Erosion zu bremsen. Thomas Domin: "Wir hatten hier früher Sandstürme. Gerade wenn Reihenkulturen wie Mais angebaut wurden. Da ist uns hier regelmäßig der Acker durch die Gegend geflogen, und das haben wir geschafft, zurückzufahren." Unterm Strich bringt ihm die Agroforstwirtschaft nach einigen Jahren also den Zuwachs der Bäume und ihre Früchte als zusätzlichen Ertrag.
Volle Kraft für Agroforst?
Anfang Januar 2024 hat der DeFAF zusammen mit rund zwanzig verbündeten Initiativen ein Positionspapier veröffentlicht. Die zentrale Botschaft: 2024 muss ein Jahr der Agroforstwirtschaft werden. Die staatliche Förderung für Agroforstwirtschaft sei zu niedrig. Im Vergleich zu dem Nutzen, den sie der Gesellschaft liefert. Denn Agroforst bringe viel mehr Vorteile unter anderem für den Erosionsschutz, den Wasserhaushalt und das Klima als viele andere Maßnahmen, die stärker gefördert werden, zum Beispiel die Flächenbrache.
Die konkreten Forderungen des Verbands: Die Behörden sollten interessierte Landwirte mehr ermutigen und unterstützen. Und hinderliche Vorschriften sollten abgeschafft werden. Warum müssen die Baumreihen mindestens zwanzig Meter Abstand zur Grundstücksgrenze einhalten? Wenn die Gehölze direkt an der Grenze stehen, helfen sie besonders effizient gegen Winderosion. Deswegen plädiert der DeFAF für einen vorgeschriebenen Mindestabstand von null Meter. Und das ist nur ein Beispiel, so Frenzel vom DeFAF: "Wir appellieren an die Entscheidungsträger, dass Agroforst ein Schlüsselelement der Agrar- und Umweltpolitik sein soll, und es dürfen nicht nur Lippenbekenntnisse von den Regierenden bleiben, dass Agroforstwirtschaft sehr positiv ist."
Immerhin hat die Bundesregierung eine Agroforst-Zielmarke: 200.000 Hektar Gehölzanteil in Agroforstanlagen bis 2026. So steht es im Strategiepapier der Bundesregierung zur Gemeinsamen Agrarpolitik. Würde das Realität, wären mehr als ein Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche eine Gehölzfläche.