Landwirtschaft Kleine Bauernhöfe, große Visionen
Nicht alle Bauern sind auf der Seite des Deutschen Bauernverbands. Es gibt kleinere Betriebe, die für mehr Tierwohl und Klimaschutz eintreten - und Subventionen anders verteilen wollen.
Ein Bauernhof wie aus dem Bilderbuch. Zwischen sanften schneeverzuckerten Hügeln duckt sich ein großes Gehöft, in der Scheune thront ein stattlicher Hahn auf einem großen Heuballen. Auf einer Wiese neben dem Weiher gackern flauschige, weiße Hühner in der Wintersonne.
Gerade hat Marlene Herzog mit ihren Töchtern die frischgelegten Eier aus dem Nest des Hühnerwagens gesammelt, jetzt mischt sie das Futter für ihre Legehennen. Seit zehn Jahren bewirtschaftet die studierte Agrarwirtin den Wahlbacherhof in der Südwestpfalz zusammen mit ihrem Mann. Ein klassischer kleinbäuerlicher Mischbetrieb: Neben Hühnern und Schafen gibt es eine kleine Herde Glanrinder, eine alte Rasse. Zusätzlich zum Futter für die Tiere baut das Paar Kartoffeln, Getreide und Gemüse an.
Bäuerin Marlene Herzog bei der Arbeit
Dass ihre Kollegen gerade massenhaft auf die Straße gehen - für sie eine Folge verfehlter Agrarpolitik. "Viele Menschen wissen einfach gar nicht, wie es in der Landwirtschaft läuft", sagt Herzog. "Weil uns die Politik und der Bauernverband jahrzehntelang darauf getrimmt haben, viel zu produzieren, billig zu produzieren. Tierfabriken wurden gefördert, das Ziel war, billige Lebensmittel ins Ausland zu exportieren. Da stehen wir jetzt. Aber da wurden wir hingetrieben."
Kleinbetriebe statt großer Agrarfabriken
Der Wahlbacherhof ist ein Biolandbetrieb und wird als "SoLaWi", das steht für "Solidarische Landwirtschaft", durch Mitglieder mitfinanziert. Privathaushalte tragen also Kosten, bekommen dafür Ernteanteile. Sie wisse schon, dass das ein bisschen Luxus sei, gibt Marlene Herzog zu.
"Wir haben durch die SoLaWi die Verbraucher hinter uns, die unterstützen uns, die wollen, dass wir so wirtschaften. Die meisten Verbraucher und Verbraucherinnen wollen die Höfe mit den freilebenden Kühen, mit den glücklichen Hühnern, mit Bäumen, mit Bienen. Aber dann muss das auch gefördert werden."
Hühner auf dem Hof von Marlene Herzog
Doch was muss sich ändern, damit Landwirtschaft sich wieder lohnt, gerade für kleinere Höfe? Großbetriebe hätten eine starke Lobby, kritisiert die Bäuerin. "Da steckt auch der Bauernverband dahinter. Viele Funktionäre des Bauernverbandes sitzen in den großen Agrochemiekonzernen und auch in den großen Genossenschaften. Und dort haben sie das Sagen", sagt sie. "Und es geht natürlich wie immer ums Geld. Wir sollen exportieren und billig produzieren, damit wir unsere Lebensmittel zu Billigstpreisen auf den Weltmarkt schmeißen können."
Demo beim Agrarministertreffen
Weil sie sich durch den Bauernverband nicht vertreten fühlt, engagiert sich Marlene Herzog in der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), sitzt für Rheinland-Pfalz und das Saarland im Vorstand. Der Verein hat bundesweit etwa 2.500 Mitglieder, sowohl konventionelle als auch Bio-Betriebe. Unter dem Motto "Wir haben Agrarindustrie satt" protestierten sie zum Agrarministertreffen mit einer Treckerdemo in Berlin. Zum Vergleich: Nach Angaben des Deutschen Bauernverbands sind 90 Prozent aller 300.000 landwirtschaftlichen Betriebe freiwillig bei ihm Mitglied.
Auch aus Sicht der AbL belasten die vorgesehenen Kürzungen der Ampelkoalition die Landwirte finanziell überproportional. Sie fordern allerdings eine Ökologisierung des Pflanzenbaus und einen Umbau der Tierhaltung und haben einen Sechs-Punkte-Plan als notwendiges Maßnahmenpaket vorgelegt. Kernpunkt ist eine Umverlagerung der Subventionen, um ökologische, soziale und gemeinwohlorientierte Standards erzielen zu können.
Mit einer Tierwohlabgabe, die auch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir gerade wieder ins Spiel gebracht hat, könnte ihrer Meinung nach viel erreicht werden. "Wenn es nach mir ginge, haben wir in zehn Jahren doppelt so viele kleinbäuerliche Betriebe, glückliche Kühe, glückliche Hühner, glückliche Bauern, glückliche Verbraucher, die gesunde Lebensmittel essen und sich auch leisten können. Und die Bauern können kostendeckend wirtschaften", so Herzog.
Agrarökonom ist skeptisch
Eine Vision oder eine Utopie? Alfons Balmann sieht das kritisch. Der Agrarökonom ist Direktor und Abteilungsleiter am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien an der Universität Wittenberg-Halle und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz des Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) Er sagt: "Es erscheint mir utopisch. Wenn sich Frau Herzog wünscht, dass es in zehn Jahren doppelt so viele Kleinbetriebe gibt, stellt sich die Frage, ob es überhaupt so viele Personen gibt, die einen solchen Kleinbetrieb führen beziehungsweise bewirtschaften möchten."
Wenn die Erzeugerpreise höher seien, gehe das zulasten aller Verbraucher. "Wenn ärmere Verbraucher finanziell stärker unterstützt werden sollen, bedeutet das höhere Steuern, die die anderen Verbraucher stärker belasten", sagt Balmann.
Die Idee der AbL, kleinere Betriebe zu Ungunsten größerer stärker zu fördern, lehnt er ab. "Alle Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates des BMEL für Agrarpolitik und Ernährung argumentieren, dass es für derartige Zielsetzungen keine qualifizierten Belege gibt."
Tierwohl-Cent oder eher Tierwohl-Euro?
Auch die Vorstellung, der Umbau der Landwirtschaft und vor allem der Tierhaltung könne durch eine Tierwohlabgabe gefördert und finanziert werden, hält er für unrealistisch. "Mir erscheint diese Abgabe als Instrument sehr bürokratisch. Teilweise wird die Abgabe auch als Tierwohl-Cent bezeichnet. Tatsächlich dürfte es wohl eher ein Tierwohl-Euro werden."
Balmann nennt eine andere Idee: "Eine alternative Finanzierung könnte über eine Erhöhung der Umsatzsteuer auf 19 Prozent für tierische Produkte erfolgen." Das lehnten AbL und Umweltverbände allerdings bisher ab, da es die teureren Bioprodukte in absoluten Beträgen stärker verteuert würde. "Sowohl bei Tierwohl-Abgabe als auch bei der Umsatzsteuererhöhung stellt sich die Frage, wie man ärmere Haushalte entlasten könnte. Eine Option bei der Umsatzsteuererhöhung für tierische Produkte könnte sein, diese für Obst und Gemüse sowie vielleicht auch weitere pflanzliche Produkte zu senken."
Wohin führt der Weg für die deutschen Bauern seiner Meinung nach? "Ich denke, dass die Landwirtschaft eine Zukunft hat. Allerdings muss sie sich verändern in Richtung einer nachhaltigen Intensivierung, die durch Effizienzsteigerung sowohl in der Lage ist, mehr für Umwelt und Tierwohl zu leisten, als auch mehr zu produzieren."
Kühe stehen hinter einem Gatter.
Unsichere Perspektive, viel Bürokratie
Einig sind sich der Wissenschaftler und die Landwirtin immerhin darin, dass die Landwirtschaft unabhängiger von Subventionen werden muss - und dass das Zeit erfordert.
Apropos Zeit: Wenn die Arbeit draußen bei den Tieren und auf dem Feld erledigt ist, geht es für Marlene Herzog drinnen am Schreibtisch weiter. Der Aufwand für Dokumentation und Anträge, sagt auch sie, sei einfach enorm. "Es ist vor allem Bürokratie, die zum Teil wirklich unsinnig ist. Je vielfältiger, je umweltbewusster, je mehr Hecken, je mehr, Bäume ein Betrieb hat, umso mehr Bürokratie hat er. Desto mehr müssen wir schreiben und Dokumente ausfüllen und uns auch an Regeln halten, die zum Teil nicht nachvollziehbar sind", sagt sie. "Ich muss beispielsweise jeden Tag dokumentieren, wann die automatische Klappe am Hühnerstall sich öffnet und schließt. Warum?"
Ob sie ihren Töchtern dazu raten würde, in ihre Fußstapfen zu treten? Die Landwirtin zögert. "Da ich diesen Beruf liebe, würde ich das meinen Kindern auch ans Herz legen, das zu tun, was ihre Leidenschaft ist und woran sie Spaß haben. Aber es wird immer schwieriger werden. Ich glaube, das ist so."