Neue Rekruten bei der Bundeswehr Weg vom Image der Drill-Truppe
Die Bundeswehr klagt insbesondere seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine über Nachwuchssorgen. Was bewegt junge Leute, sich für die Karriere bei der Bundeswehr zu entscheiden?
Die Anspannung ist ihnen ins Gesicht geschrieben. Stramm stehen die 258 Rekrutinnen und Rekruten in Reih und Glied. Blaue Uniform, blank geputzte Kampfstiefel, Krawatte und Schiffchen - das ist der große Dienstanzug.
Gerade hat es noch ein bisschen genieselt, jetzt scheint die Sonne in den Hof im Schatten des Hambacher Schlosses. Ein geschichtsträchtiger Ort, die Wiege der deutschen Demokratie. Vor dieser Kulisse legen die angehenden Soldaten das feierliche Gelöbnis ab.
162 von ihnen kommen vom Luftwaffenausbildungsbataillons aus Germersheim in der Südpfalz. Dort absolvieren sie die Grundausbildung, das "Tor in das Team Luftwaffe", wie es die Bundeswehr nennt. Das Gelöbnis ist der feierliche Höhepunkt.
Die Späteinsteiger
Michael Dreßler ist mit 33 Jahren einer der ältesten unter den Rekruten. Er gehört zu denen, die noch eine Einberufung zum Wehrdienst bekommen haben, war damals aber in der Ausbildung. "Und als ich fertig war, gab es keinen Grundwehrdienst mehr."
Die Bundeswehr, sagt er, liege in der Familie. Opa und Onkel waren in der Luftwaffe, der Vater in der Marine. Er selbst studierte nach der Lehre zunächst Fahrzeugtechnik, aber gereizt habe ihn "die Fliegerei" schon immer. Jetzt wagt er einen Neustart in der Bundeswehr.
Warum nicht in der zivilen Luftfahrt? "Bei der Luftwaffe bekomme ich spezielle Qualifikationen, das ist noch mal ein besonderer Reiz." Auch die Aufstiegschancen - nach der Grundausbildung geht es für ihn an die Offiziersschule nach Fürstenfeldbruck. Dort wird er zum Offizier des technischen Dienstes ausgebildet.
Für 13 Jahre hat er sich bei der Bundeswehr verpflichtet. "Im Berufsleben in der freien Wirtschaft war das große Ziel immer die Festanstellung. Die habe ich hier."
Freiwillig in Uniform
Der 23-jährige Hendrik Holst hat sich sogar für 16 Jahre verpflichtet. Auch er hat studiert, bei einem Energieversorger gearbeitet. "Mein Traum war es aber immer, Pilot zu werden. Und als ich mich für einen Berufswechsel bei der Bundeswehr informierte, war mein Berater ein ehemaliger Pilot. So kam ich wieder drauf."
Dass Soldaten in Kasernen leben, häufig versetzt werden und umziehen müssen, im Zweifelsfall auch zum Einsatz ins Ausland geschickt werden - kein Problem? "Die Belastung habe ich einkalkuliert. Ich habe das mit meiner Freundin abgesprochen. Die Distanz nach Hause ist natürlich schon schwierig."
Gleich nach dem Fachabitur hat Paula Menzel ihren freiwilligen Grundwehrdienst angetreten. "Klar war das erst mal ein Realitätsschock. Direkt von der Schule mit vier Freistunden am Tag in einen Arbeitstag von sieben Uhr früh bis vier Uhr nachmittags."
Berührungsängste mit der Bundeswehr hatte die 18-Jährige nicht. "Ich bin Leichtathletin, die haben unseren Verein gesponsort." Familie und Freunde unterstützten ihre Entscheidung.
Personalnot bei der Truppe
Zum Dienst in der Bundeswehr sind in ihrer Sicht aber zu wenige Deutsche bereit. Der Fachkräfte- und Nachwuchsmangel ist längst in der Truppe angekommen. Etwa 18.800 neue Soldatinnen und Soldaten hat die Bundeswehr im vergangenen Jahr rekrutiert, ähnlich viele wie 2022, im Jahr des russischen Angriffs auf die Ukraine.
Im Vergleich zum Vor-Corona-Niveau ist das allerdings ein Rückgang. 2019 hatten 20.170 Rekruten ihren Dienst aufgenommen. Der Frauenanteil ist nach einem leichten Anstieg im vergangenen Jahr wieder von 17 auf 15 Prozent - wie 2019 - gesunken.
Die Abbrecherquote ist hoch. Im Jahr 2023 sind laut Wehrbericht von den neu eingestellten Soldatinnen und Soldaten bis zum Jahresende über 4.000 wieder ausgeschieden - innerhalb der ersten sechs Monate. Das ist mehr als jeder Fünfte.
Bis zum Jahr 2031, so der Plan der Bundesregierung, sollen die Streitkräfte auf 203.000 Kräfte anwachsen. Mit den aktuellen Neuzugängen ist das nicht zu schaffen. Die Bundeswehr wirbt verstärkt auf Social Media um Kandidaten, bietet Klassenausflüge in Kasernen an, ist auf Jobbörsen und mit Vorträgen in Schulen präsent.
Weg vom Image der Drill- und Schreierei-Truppe, mehr in Richtung Teamspirit, Kameradschaft, Abenteuererlebnisse, Sinnhaftigkeit. Bei den Schulabgängern verfängt das nur bedingt, erst recht, wenn es um die Wehrpflicht geht. Laut einer Forsa-Umfrage aus dem März 2024 sprachen sich rund 60 Prozent der 18- bis 28-Jährigen dagegen aus.
Perfekte Inszenierung
Alle, die an diesem kühlen Nachmittag auf dem Hambacher Schloss ihr Gelöbnis ablegen, sind freiwillig zur Truppe gekommen. Eine Zeremonie wie aus einem Werbevideo. Fahnen wehen, das Heeresmusikkorps Koblenz spielt, Uniformierte in Formation.
Sechs Rekrutinnen und Rekruten stehen stellvertretend für alle Angetretenen vor der Truppe, ein feierlicher Moment, dann erklingt die Nationalhymne. Plötzlich ein ohrenbetäubender Lärm, aus dem Nichts jagen zwei Kampfjets heran, einer lässt sich seitlich am Schloss vorbei mit einem Manöver vom Himmel fallen. Ein Anflug von "Top Gun". Nach wenigen Sekunden ist das Spektakel vorbei.
"Das war schon ein Gänsehautmoment, ich musste mich sehr zusammenreißen, um nicht über beide Ohren zu strahlen." Hendrik Holst steht beim Empfang nach dem Gelöbnis zwischen seinem Vater und seiner Schwester. Er wirkt erleichtert. Sehr stolz sei er auf seinen Sohn, sagt Andreas Holst. "Die Fliegerei, das war ja immer sein Traum."
Ein paar Schritte weiter hat Michael Dreßler seine kleine Tochter auf den Arm genommen. Seine Verlobte Celina strahlt. "Er hat das gefunden, was ihm wirklich Spaß macht." Aber klar: "Die Kleine vermisst den Papa schon."
Daran will hier aber jetzt keiner denken, und auch von Sorgen und Ängsten angesichts der Krisen in der Welt ist heute nicht die Rede. Stattdessen von der Zukunft, die die drei jungen Leute bei der Truppe sehen. Von heute an gehören sie fest dazu. In wenigen Wochen ist ihre Grundausbildung vorbei. Ob sie wirklich dabeibleiben, wird sich zeigen.