Forderung nach mehr Schutz "Sind die Haie weg, stirbt auch das Ökosystem"
Immer mehr Haie sterben laut einer Studie durch Fischerei. Die Autoren rufen zu einem besseren Schutz der Tiere auf. Denn die bisherigen Maßnahmen blieben ohne Wirkung.
Laut einer in der Fachzeitschrift "Science" veröffentlichten Studie sind Hai-Populationen weiterhin ernsthaft bedroht. Die Zahl der jährlich getöteten Haie steige demnach weiter an, obwohl die Schutzmaßnahmen gegen das sogenannte Finning, also das brutale Abschneiden von Haifischflossen auf hoher See, von 2012 bis 2017 um mehr als ein Zehnfaches erhöht wurden.
So sterben laut der Studie, durchgeführt von einem internationalen Team von Forschern der Universitäten Dalhousie und Santa Barbara sowie der Naturschutzorganisation "The Nature Conservancy", inzwischen mehr als 80 Millionen Haie pro Jahr. Das entspreche mehr als 9.000 toten Haien pro Stunde. Die Dunkelziffer sei jedoch wesentlich höher.
Als eine Ursache benennt die Studie die gestiegene Nachfrage nach Haifischfleisch. Das habe auch die Fangpraxis verändert, erklärt Hauptautor Boris Worm, Forschungsprofessor für Biologie an der Dalhousie University im kanadischen Nova Scotia: "Haie werden inzwischen als Ganzes vom Schiff an Land gebracht und genutzt. Dadurch sind aber auch neue Märkte für Haifleisch, Haiknorpel und Öl entstanden". Das erhöhe die Jagd auf die Haipopulationen weiter.
Fischen an Küsten: Die Kinderstube vieler Haie
"Wir beobachten die Tendenz, dass Haie zunehmend in den Küstengebieten gefangen werden. Und zwar gerade in den Gebieten, wo junge Tiere groß werden: die Kinderstuben", so Worm. Die Studie zeigt: 95 Prozent der Haifangaktivitäten finden in diesen küstennahen Gebieten statt. Dies hat nicht nur direkte Auswirkungen auf die aktuelle Population, sondern hat auch langfristige Konsequenzen, wie Fischerei-Expertin Iris Ziegler von der Artenschutzorganisation Sharkproject erklärt: "In dem Augenblick, wo wir Jungtiere fangen, radieren wir die nächste Generation Haie aus".
Eine Bedrohung, die bereits vor dem Aussterben einer Art gefährlich sei. Denn wird eine Art innerhalb eines Ökosystems stark dezimiert, verliert sie die Fähigkeit, ihre ökologisch wichtige Rolle zu erfüllen. An der Spitze der Nahrungskette tragen Haie zum Beispiel zu gesunden Beständen ihrer Beutetiere bei. "Wenn die Haie weg sind, stirbt auch das Ökosystem", betont die Expertin.
Fangquoten für Thunfische als Vorbild
Wie es besser gehen könnte, zeigt etwa der Fang von Thunfischen. Hier habe laut Studienautor Worm in den vergangenen Jahren bereits ein Umdenken stattgefunden. Um die Bestände besser zu schützen, werden inzwischen wissenschaftlich fundierte Fangquoten generiert. Diese legen fest, wie viel genau gefangen werden darf.
Ein solches System brauche es auch für Haie, finden die Wissenschaftler. "Wir brauchen eine echte Bewirtschaftung mit genau diesen Regularien: maximale Fangmengen, Zuteilung von Quoten, Maßnahmen, die schon vordefiniert sind, wenn ein Bestand unter eine bestimmte Marke sinkt. Das gibt es bis jetzt noch nicht. Aktuell kann jeder so viele Haie fangen, wie er will", so Fischerei-Expertin Ziegler. Ausgenommen davon seien bislang nur bedrohte Arten.
Auch Worm zählt die Fangquoten zu den wichtigsten Schritten für einen stärkeren Schutz der Haie. Zusätzlich benötige es große Schutzgebiete, in denen Haie nicht gefangen werden dürfen. Hier sollen sich Bestände wieder erholen können. Und auch die Fischereimethoden müssen sich ändern, sagt Worm. Besonders in Küstengebieten werden zu oft Stellnetze eingesetzt. Das Problem daran: Sie selektieren den Fang nicht. So fangen sie nicht nur Haie, sondern tragen zur Dezimierung von vielen Arten bei, die diesen Fischereidruck nicht standhalten können. In der Hochseefischerei sind diese Netze deswegen schon verboten.
Schutzmaßnahmen können erfolgreich sein
Die gute Nachricht der Studie sei, dass es schon Länder gebe, in denen heute bereits die Mortalität von Haien bedeutend eingeschränkt wird, berichtet Hauptautor Worm. Er selbst habe das bereits in Raja Ampat, einer Region Indonesiens erleben dürfen. "Bei meinem Besuch 2010 waren die Haie dort fast ausgerottet. Neun Jahre später, nachdem entscheidende Schutzmaßnahmen lokal durchgesetzt wurden, war ich wieder da und konnte bei jedem Tauchgang Haie sichten. Es war toll zu sehen, dass die Maßnahmen relativ zeitnah zur Erholung der Bestände beitragen können. Und es zeigt auch, wie widerstandsfähig und resilient das Meer ist, wenn wir ihm eine Chance geben."
Doch damit langfristig auch global weniger Haie sterben müssen, dürfe nicht länger gewartet werden: "Die Studie zeigt nochmal eindringlich, dass es schon viertel nach zwölf ist. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren. Mein Anliegen dabei ist, dass wir uns alle gemeinsam dafür stark machen. Denn eins muss jedem bewusst sein: Es gibt keine gesunden Meere ohne Haie", resümiert Ziegler.