Abschlussbericht des Weltklimarats Warum der IPCC noch immer wichtig ist
Wie geht es unserer Erde? Jahrelang haben Wissenschaftler des Weltklimarats Daten zusammengetragen und bewertet - heute erscheint der letzte Teil ihrer Arbeit. Der Meteorologe Marotzke erklärt im Interview, warum das Gremium wichtig ist.
tagesschau.de: Herr Marotzke, am Montag erscheint der Synthesebericht zum Sechsten Sachstandsbericht des IPCC. Gegründet wurde der Weltklimarat im November 1988. Warum braucht es den IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change)?
Jochem Marotzke: Damit die Regierungen wissen, worauf sie sich einstellen müssen. Im Bezug auf den menschengemachten Klimawandel brauchen sie die Wissensgrundlage. 1988 wurde festgestellt, dass wir diese Wissensgrundlage systematisch bereitstellen müssen. Seitdem arbeitet der IPCC daran, das Wissen über den Klimawandel zusammenzutragen und zu bewerten.
tagesschau.de: Am Montag wird nun der Synthesebericht veröffentlicht. Kann man diesen Bericht, salopp gesagt, als Zusammenfassung der bereits veröffentlichten Berichte aus den drei Arbeitsgruppen bezeichnen?
Marotzke: Das kann man so sagen. Diesmal bin ich nicht beteiligt, aber beim letzten Sachstandsbericht war ich auch am Synthesebericht beteiligt. Wir haben damals versucht, die Erkenntnisse und die Bewertung aller drei Arbeitsgruppen zu den wichtigsten Themen zusammenzutragen. Auf diese Weise wirft man nochmals einen ganz anderen Blick auf die Themen.
Ich habe nicht nur aus der Perspektive eines Klimaphysikers darauf geschaut, sondern zusammen mit Kolleginnen und Kollegen auch auf die Folgen der Klimawandels, auf die Vermeidung des Klimawandels oder die bereits vorhandenen Maßnahmen gesehen. Durch diesen gemeinsamen Blick, so meine Einschätzung, haben die Texte noch einmal gewonnen, sie sind besser und vor allem verständlicher geworden. Insofern bringt der Synthesebericht noch einmal eine ganz neue Qualität hinein.
Das Wissen um den Klimawandel ist da
tagesschau.de: Am Ende eines jeden Berichts aus den Arbeitsgruppen gibt es die Zusammenfassung für die Entscheidungsträger. Wie wichtig sind diese Zusammenfassungen?
Marotzke: Diese Zusammenfassungen sind ganz klar der wichtigste Teil der IPCC-Berichte. Sie kondensieren unsere wichtigsten Erkenntnisse, die wichtigsten Bewertungen. Insofern sind sie der Kern dessen, was wir zusammengetragen haben. Sie sind aber auch politisch enorm wichtig. Es gibt jährlich die Klimakonferenzen - Ende letzten Jahres in Ägypten, Ende dieses Jahres in Dubai. Bei diesen Klimakonferenzen wird das, was in den Zusammenfassungen für Entscheidungsträger der IPCC-Berichte steht, unwidersprochen als wissenschaftliches Wissen übernommen, das wird nicht mehr infrage gestellt. Salopp gesagt: Was in den Zusammenfassungen für Entscheidungsträger steht, ist wissenschaftliches Gesetz. Das wird in der Politik als Wahrheit angesehen.
tagesschau.de: Glauben Sie, dass die Entscheidungsträger diesen Berichten genügend Beachtung schenken?
Marotzke: Es ist in fast allen Staaten der Welt so, dass die Zusammenfassung für Entscheidungsträger die wissenschaftliche Grundlage für Klimapolitik ist, das gilt auch für Deutschland. Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Bundesregierung die IPCC-Berichte als wissenschaftliche Grundlage ihres Handelns nimmt. Wenn man dann aber die Frage stellt: Führt dieses Wissen auch in dem Maße zum Handeln? Dann ist die Antwort: Nein, bei Weitem nicht ausreichend.
Wir sehen heute zum Beispiel ganz klar, dass die Welt nicht auf dem Weg dorthin ist, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Das ist das, was das Pariser Klimaabkommen festgelegt hat. Das heißt, wir sehen ganz klar, dass das, was wir über Klimaschutz und über Klimawandel wissen, nicht direkt und teilweise nicht einmal annähernd umgesetzt wird in ein Regierungshandeln oder in ein gesellschaftliches Handeln. Da klafft also eine große Lücke zwischen dem, was wir wissen, was eigentlich getan werden sollte, und dem, was tatsächlich geschieht.
Klimaschutz muss realistisch bleiben
tagesschau.de: Das Verfassen eines IPCC-Berichts dauert etwa drei bis vier Jahre. Frustriert es Sie als Autor, wenn Sie sehen, dass eigentlich nicht genug passiert?
Marotzke: Das mag jetzt überraschen, aber es frustriert mich nicht, denn wir müssen uns im Klaren darüber sein, dass wissenschaftliche Erkenntnisse nur einen kleinen Teil dazu beitragen, dass politische Entscheidungen gefällt werden. Politische Entscheidungen müssen jeden Tag ausgehandelt werden, und es kommen, man kann sagen leider, aber so ist es nun mal, immer wieder kurzfristige Interessen, kurzfristige Krisen ins Spiel. Und es ist so, dass langfristige Entscheidungen immer wieder leiden unter dem, was sich kurzfristig an Sachzwängen, an Notwendigkeiten aufdrängt. Insofern bin ich, was das angeht, auch Realist. Ich erwarte nicht, dass das, was wissenschaftlich erkannt wird, jetzt wirklich unmittelbar umgesetzt wird.
Ich glaube, das geht auch nicht, denn es gibt nun mal andere Interessen, die dem entgegenstehen. Wir sehen zum Beispiel in Deutschland die Debatte um den Kohleausstieg. Natürlich wäre es für den Klimaschutz besser, wenn der Kohleausstieg so schnell wie möglich kommt. Aber es hängen auch Schicksale ganzer Regionen, es hängen Arbeitsplätze daran. Und dann wäre es sehr schwer zu sagen, dass der Klimaschutz jetzt alles dominieren und absoluten Vorrang haben muss. Das wäre unrealistisch zu erwarten. Und ich glaube auch nicht einmal legitim. Das hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss von 2021 sehr klar festgehalten, dass auch Klimaschutz im Wettstreit mit anderen legitimen Verfassungsgütern steht. Insofern kann man nicht erwarten, dass jetzt alles dem Klimaschutz untergeordnet wird.
Arbeitsgruppe II beschäftigt sich mit der Verwundbarkeit von sozioökonomischen und natürlichen Systemen gegenüber dem Klimawandel und dessen Folgen. Außerdem beschreibt sie Wege, wie sich die Menschen an den Klimawandel anpassen können. Diese Gruppe, so Marotzke, sei deutlich interdisziplinärer besetzt. Wenn man sich ansehe, wie der Klimawandel die Gesellschaft und Ökosysteme beeinflusst, komme es nicht nur darauf an, welche Klimaereignisse es gibt. Die Folgen des Klimawandels hängen dann auch davon ab, wie gut die Gesellschaft gewappnet sei, wie verletzlich sie sei und wie resilient.
Arbeitsgruppe III zeigt politische, wirtschaftliche und technologische Optionen zur Minderung des vom Menschen verursachten Klimawandels auf. Diese Arbeitsgruppe, so Marotzke, sei sehr stark dominiert von Ökonominnen und Ökonomen. Da stelle sich die Frage, welche wirtschaftlich akzeptablen Möglichkeiten es gebe, den Klimawandel zu mindern. Welche ökonomisch attraktiven Optionen gibt es etwa, um aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe für die Elektrizitätserzeugung auszusteigen? In dieser Arbeitsgruppe werden auch politische Entscheidungsprozesse beleuchtet und es kommen ethische Fragen zum Tragen, etwa inwieweit ethische und moralische Maßstäbe Entscheidungen beeinflussen.
tagesschau.de: Aber braucht es denn dann den Weltklimarat überhaupt?
Marotzke: Ich bin davon überzeugt, dass ohne den Weltklimarat das Pariser Klimaabkommen von 2015 niemals passiert wäre. Und ich bin auch überzeugt, dass ohne den Weltklimarat Klima nicht das politische Thema wäre, das es heute ist. Insofern stimmt es auch nicht, dass nichts passiert. Es ist politisch, es ist politisch und gesellschaftlich enorm viel passiert. Klimawandel ist heute ein Mainstream Politikthema. Das wäre vor 20 Jahren noch undenkbar gewesen und ich kann mir nicht vorstellen, dass das passiert wäre, ohne dass es den Weltklimarat gegeben hätte.
Das Gespräch führte Anja Martini, Wissenschaftsredakteurin tagesschau. Es wurde für die schriftliche Fassung redigiert und gekürzt.