Oder-Katastrophe Könnte sich das Fischsterben wiederholen?
Mindestens 350 Tonnen Fische starben im vergangenen Sommer in der Oder - Ursache war letztlich wohl eine giftige Alge, die im salzhaltigen Niedrigwasser florieren konnte. Könnte sich solch eine Katastrophe wiederholen?
Die Oder war schon immer ein stark belasteter Fluss. Große Industrie- und Bergbaugebiete auf polnischer Seite leiten seit Jahren salzhaltige Abwässer ein. Das hat sich im vergangenen Sommer nicht geändert. Eines aber schon: Es war noch heißer und noch trockener. Der Fluss trug Niedrigwasser. Und je mehr Wasser verdunstete, desto höher stieg der Salzgehalt. Der Gewässerforscher Martin Pusch vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei sagt, der hohe Salzgehalt hätte verhindert werden können.
Eigentlich würde jede Behörde berücksichtigen, welche Auswirkungen Einleitungen auf den Fluss hätten, so Pusch - "das ist offenbar in den letzten Jahrzehnten an der Oder vernachlässigt worden, obwohl das in der EU-Wasserrahmen-Richtlinie, also dem geltenden Gesetz, gefordert ist".
Lücken beim Schutz der Gewässer
Durch das wenige Wasser und die daraus resultierende hohe Salzkonzentration entstanden gute Lebensbedingungen für eine giftige Alge. Letztlich war sie der Grund für das massenhafte Fischsterben. Im Auftrag des Umweltbundesamtest analysierten nun Forschende, wie sich die Klimaerwärmung auf all unsere Gewässer auswirkt und ob die vorhanden Kontrollmechanismen überhaupt noch ausreichen.
Die Wissenschaftler Sabine Wollrab und Marco Neubert kommen zu dem Schluss, dass es beim Schutz all unserer Gewässer grundsätzlich Lücken gebe. Selbst die strengen Vorgaben der europäischen Wasserrahmenrichtlinie würden nicht mehr ausreichen - oder nicht genügend eingehalten.
"Das ökologische Gleichgewicht der Gewässer ist schon heute durch die Nutzung in Gefahr - und das wird sich durch den Klimawandel noch verschärfen", ist sich Neubert sicher.
Forschende monieren Datenmagel
Es gebe viel zu wenig Daten, so Neubert. Manche Flüsse und Seen würden nur alle drei Jahre beprobt, andere sogar nur alle sechs Jahre. Dies müsse deutlich erhöht werden. Vor allem sollte man Klimaindikatoren in die Bewertung aufnehmen - also Tiere und Pflanzen, die anzeigen, ob Gewässer unter Hitzestress stehen. Laut Forscherin Wollrab sind Flüsse da genauso betroffen wie Seen. Letztere brauchen etwa den Wechsel von kalten Wintern und warmen Sommern, um sich durchzumischen.
"Im Winter, wenn ich sehr kalte Temperaturen habe und sogar Eisbedeckung, habe ich eine sogenannte inverse, also eine umgekehrte Schichtung, wo dann ganz oben das kälteste Wasser ist, um die null Grad, und eben in der Tiefe das vier Grad kalte Wasser", erklärt Wollrab.
Das gesamte Wasser im See wird so umgewälzt. Passiert das nicht, weil etwa der Winter zu warm war, fehlt in der Tiefe Sauerstoff. Es könnten sogar anoxische Zustände entstehen, also Gebiete komplett ohne Sauerstoff. Pflanzen und Tiere würden dort sterben.
Mehr als 350 Tonnen Fische verendeten im Sommer 2022 in der Oder, Helfer waren wochenlang im Einsatz.
Pusch: Elbe derzeit nicht gefährdet
Die Gewässer müssen entsprechend entlastet werden, schreiben die Forschenden in ihrer Analyse und fordern, dass dafür grundsätzlich mehr Wasser in der Fläche gehalten werden muss. Dazu gehört es, Moore wieder zu vernässen. Landwirte müssten damit aufhören, ihre Felder zu entwässern. Sie tun das, um dort mit schweren Maschinen zu fahren. Laut Wollrab sind auch Schatten spendende Büsche und Bäume am Gewässer notwendig.
"Oder dass bei Niedrigwasser eben doch in bestimmten Bereichen noch Tümpel übrig bleiben oder eben tiefere Abschnitte, wo sich Arten zurückziehen können", so Wollrab.
So geschah es auch in der Oder. Viele Fische fanden Zuflucht in Randgewässern. Forscher Pusch sagt, das habe ihnen das Leben gerettet. Eine Katastrophe wie an der Oder könne es etwa in der Elbe derzeit nicht geben. Möglich sei zwar eine Massenentwicklung der Blaualge, allerdings sei das rein spekulativ.
Behörden sollen Einleitungen prüfen
Die Elbe habe aber vor allem Probleme infolge ihrer Vertiefung zu einer Schifffahrtsstraße, als die sie aber kaum noch genutzt wird. Denn auch die Elbe führt seit Jahren regelmäßig Niedrigwasser.
"Das heißt, wir können nicht mehr so große Mengen Schadstoffe in die Gewässer einleiten. Wir müssen den Bewohnern der Flüsse auch bessere Lebensbedingungen geben", fordert Pusch. Die Gewässer müssten renaturiert werden, damit es bei solchen Belastungen Refugien und Rückzugsgebiete gebe, in denen zumindest kleinere Teile der Populationen solche Stresssituationen überleben können.
Auf der Umweltministerkonferenz der Bundesländer wurde das Thema im vergangenen November angesprochen. Die Behörden sollen nun prüfen, ob Einleitungen aus der Industrie je nach Wasserstand gedrosselt werden sollen. Bericht erstatten müssen sie allerdings erst im Herbst 2024.