Abstimmung Deshalb will die EU die Gentechnik-Regeln lockern
Der Umweltausschuss des EU-Parlaments hat zugestimmt: Der Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft soll vereinfacht werden. Doch was sind das für Techniken? Von Veronika Simon.
NGT - diese drei Buchstaben sorgen aktuell für Streit: Dahinter stecken "New Genomic Techniques", also "Neue genomische Verfahren". Und die sollen in der EU in Zukunft einfacher bei der Lebensmittelherstellung verwendet werden. Einen entsprechenden Gesetzesentwurf hatte die EU-Kommission im Sommer 2023 vorgelegt.
Als NGT gelten alle Techniken, mit denen das Erbgut eines Lebewesens verändert werden kann und die nach 2001 entwickelt wurden. Diese zeitliche Grenze ist kein Zufall: Im Jahr 2001 wurde die letzte EU-Regelung zu gentechnisch veränderten Organismen angenommen. Doch seitdem ist viel passiert.
Hoffnung auf besser angepasste Pflanzen
Beispiel CRISPR/Cas: Im Jahr 2012 wurde die wohl bekannteste NGT erstmals publiziert. Und sie veränderte das komplette Forschungsfeld, denn mit CRISPR ist es möglich, Gene gezielter und präziser zu verändern. Die Genschere kann zu der gewünschten Stelle in der Erbsubstanz gelenkt werden und dort die Eigenschaften der Zellen wie gewünscht verändern.
Die Hoffnung beim Einsatz in der Landwirtschaft: Man könnte Pflanzen züchten, die besser mit Hitze oder Trockenheit zurechtkämen. "NGTs können helfen, Kulturpflanzen resilienter gegen Krankheiten zu machen", schreiben fast 1.500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einem offenen Brief an die Mitglieder des Europäischen Parlaments, indem sie für eine Lockerung der Regeln zum Einsatz der gentechnischen Methoden werben. Gezielte und präzise Veränderungen des genetischen Codes der Pflanzen könne laut ihnen dazu beitragen, Pestizide zu reduzieren und gleichzeitig den Ertrag der Landwirte zu sichern.
Konventionell oder Gentechnik: Im Produkt kein Unterschied
Unter den Unterzeichnenden sind auch Emanuelle Charpentier und Jennifer Doudna. Die beiden gelten als die Entwicklerinnen der Genschere CRISPR/Cas und erhielten dafür im Jahr 2020 den Nobelpreis für Chemie.
Bei Einsatz von CRISPR/Cas gibt es einen großen Unterschied zu früheren gentechnischen Methoden: Um die Genschere zu verwenden, muss kein Genmaterial von fremden Organismen in die Pflanze eingebracht werden. Das war bei früheren gentechnischen Verfahren der Fall. Bei den neuen Methoden kann man am Ende - bei der fertigen Pflanze - nicht mehr unterscheiden, ob die genetische Veränderung durch eine konventionelle Züchtung oder im Labor stattgefunden hat.
Damit dürfte es auch für die Verbraucher keinen Unterschied machen, wenn sie die landwirtschaftlichen Produkte essen. Mehrere internationale Fachgesellschaften kamen zu dem Schluss: Lebensmittel aus konventioneller oder gentechnisch unterstützter Züchtung dürften gleich sicher sein. Jedoch gibt es auch kritische Stimmen, die die weitere Erforschung der Sicherheit von gentechnisch veränderten Organismen fordern.
Forscher: Konventionelle Züchtung zu langsam
Für die Forscherinnen und Forscher, die sich mit dem offenen Brief an das europäische Parlament wenden, ist die Verwendung von neuen gentechnischen Methoden auch eine Frage der Geschwindigkeit. Auch Thomas Ott, Professor für Pflanzenbiologie an der Universität Freiburg, hat unterschrieben.
Aktuell dauere es zehn bis 15 Jahre, bis eine Pflanzensorte, die durch konventionelle Züchtung entwickelt wurde, auf den Markt komme. "Und dieser Prozess ist auch notwendig, um bereits existierende Sorten an die neuen Herausforderungen in der Landwirtschaft anzupassen - sei es der Klimawandel oder die Notwendigkeit, für die globale Ernährungssicherung höhere Erträge zu erzielen." Diese Entwicklungen ließen sich durch die gentechnischen Technologien extrem verkürzen.
Noch nicht abschließend geklärt ist jedoch die Frage der Patente: Kritiker befürchten, dass das gentechnisch veränderte Saatgut für Landwirte deutlich teurer werden könnte. Jedoch fallen die Patente nicht unter das mögliche neue EU-Gesetz, sie müssten separat angepasst werden.
Außerdem befürchten Verbraucherschützer und Umweltverbände, dass Konsumenten in Zukunft nicht mehr zwischen gentechnisch veränderten und konventionell gezüchteten Produkten unterscheiden können. "Als Unternehmen der Lebensmittelbranche wissen wir, dass viele Kundinnen und Kunden gentechnisch veränderten Produkten skeptisch gegenüberstehen und selbst entscheiden möchten, ob sie diese kaufen und essen," schreiben mehrere Unternehmen in einem offenen Brief, darunter Frosta, Alnatura und dm. Man wolle weiterhin Produkte ohne Einsatz von Gentechnik produzieren und anbieten können. Diese seien beliebt: Man habe 2022 allein in Deutschland mit "Ohne Gentechnik" gelabelten konventionellen Lebensmitteln 16 Milliarden Euro erwirtschaftet und im Biosektor 15,3 Milliarden Euro umgesetzt.