Chemie-Nobelpreis für Genschere "Glücksfall für die Lebenswissenschaften"
Mit der Entwicklung von CRISPR/Cas, einer Methode zur Genom-Editierung, revolutionierten sie die Lebenswissenschaften. Jetzt haben die Französin Charpentier und die Amerikanerin Doudna den Chemie-Nobelpreis bekommen.
In seiner Begründung schreibt das Nobelpreiskomitee: Mit der CRISPR/Cas-Technologie, die landläufig auch "Genschere" genannt wird, könnten Forscherinnen und Forscher mit hoher Präzision das Erbgut - also die DNA - von Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen verändern. Diese Technologie habe die Biowissenschaften revolutioniert, trage zu neuen Krebstherapien bei und könne möglicherweise dabei helfen, Erbkrankheiten zu heilen. "In diesem genetischen Werkzeug steckt eine enorme Kraft, die uns alle betrifft. Sie hat nicht nur die Grundlagenforschung revolutioniert, sie führte auch zu innovativen Pflanzen und wird zu bahnbrechenden neuen medizinischen Behandlungen führen", sagt Claes Gustafsson, Vorsitzender des Nobelausschusses für Chemie.
Scharlachbakterien haben Superkräfte
Die Französin Emmanuelle Charpentier, seit 2018 Leiterin der Max-Planck-Forschungsstelle für die Wissenschaft der Pathogene, hat 2011 per Zufall entdeckt, dass Scharlachbakterien (Streptococcus pyogenes) Superkräfte besitzen.
Einen Virusangriff überstehen sie mit einer ganz speziellen Taktik: Wenn ein Virus ein Bakterium angreift, injiziert es sein Erbgut in die Bakterienzelle. Das Bakterium reagiert - und baut ein Stück der Virus-DNA in sein eigenes Erbgut ein. So erstellt das Bakterium ein Feindarchiv - es "merkt" sich den Angreifer - und kopiert einen Strang der Virus-DNA. Diese Kopie dient nun als Vergleichsmuster. Es heftet sich an ein Enzym, das wie eine Schere DNA zerschneiden kann. Ein Abgleich mit dem Muster und die Genschere macht die DNA des Eindringlings unschädlich.
Austausch und Reparatur von Genen möglich
Ihre Entdeckung entwickelte Charpentier dann zusammen mit der US-amerikanischen Biochemikerin Jennifer Doudna so weiter, dass dieser Abwehrmechanismus nun für ganz andere Zwecke genutzt werden kann.
Charpentier und Doudna konnten beweisen, dass die Genschere so kontrolliert werden kann, dass sie jedes DNA-Molekül an einer vorbestimmten Stelle schneiden kann. Und damit ist es möglich, den Code des Lebens neu zu schreiben.
Die Forscherinnen können diese Genscheren in abgewandelter Form auch in Zellen anderer Lebewesen einschleusen, die dann ganz gezielt vorprogrammierte Stellen im Erbgut erkennen und die DNA genau hier zerschneiden. Mutierte Gene, die beispielsweise Krankheiten verursachen, können so ausgeschaltet werden. Mithilfe dieser Methode könnten nicht nur Gene zerschnitten, sondern auch repariert oder ausgetauscht werden.
Emmanuelle Charpentier
CRISPR/Cas hat die Biowissenschaften revolutioniert
Seit der Entdeckung der Genschere CRISPR/Cas durch Charpentier und Doudna im Jahr 2012 kam die Methode immer häufiger zum Einsatz. Dieses Werkzeug trug zu vielen wichtigen Entdeckungen bei - in der Grundlagenforschung und in der Praxis: Pflanzenforscher konnten Pflanzen entwickeln, die gegenüber Schimmel, Schädlingen und Trockenheit unempfindlich sind. In der Medizin gibt es klinische Studien zu neuen Krebstherapien. Selbst Erbkrankheiten könnten erstmals geheilt werden.
Die genetischen Scheren läuteten in den Biowissenschaften eine neue Epoche ein und bringen der Menschheit in vielerlei Hinsicht "den größten Nutzen", so die Aussage des Nobelpreiskomitees.
Ethische und medizinische Bedenken gegenüber CRISPR/Cas
Aber es gibt gegenüber der Genschere auch einige ethische und medizinische Bedenken. So hatte im Herbst 2018 ein chinesischer Forscher bekannt gegeben, dass er die Gene von zwei ungeborenen Mädchen verändert hat - mithilfe von CRISPR/Cas.
Der chinesische Forscher He war vermutlich der Erste, der mit der CRISPR/Cas-Methode in die menschliche Keimbahn eingriff und dabei direkt das Erbgut veränderte. Die manipulierten Gene sind also in allen Zellen des Körpers und werden auch an spätere Nachkommen der Mädchen weitergegeben. Der Forscher wollte mit dem Eingriff die Babys gegen eine HIV-Infektion immunisieren.
Charpentier sprach damals von einer roten Linie, die überschritten wurde. Außerdem ist das gentechnische Werkzeug CRISPR/Cas laut vielen Experten noch nicht so weit entwickelt, dass es sich zur Anwendung beim Menschen eignet. Hinzu kommen ethische Bedenken, ob man die Gene von Embryonen überhaupt verändern sollte. CRISPR/Cas ist also eine Methode, die zwar viele Möglichkeiten bietet, mit der aber auch verantwortungsvoll umgegangen werden muss.
Patentstreit noch nicht vorbei
Spannend bei der Vergabe des Preises an Charpentier und Doudna ist, dass sich die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften hier in einen laufenden Patentstreit einmischt. Denn neben den beiden Forscherinnen gibt es noch weitere Kandidaten, die an der Entdeckung von CRISPR/Cas beteiligt waren, die jetzt leer ausgingen.
Dass CRISPR/Cas mit einem Nobelpreis geehrt wird, war aber vielen Experten klar - die Frage war nur, wann. Toni Cathomen, Direktor des Instituts für Transfusionsmedizin und Gentherapie des Universitätsklinikums Freiburg, sagte zu der Vergabe: "Die Entdeckerinnen erhalten völlig zu Recht den Nobelpreis. CRISPR/Cas ist ein absoluter Glücksfall für die Lebenswissenschaften."
Die Preisträgerinnen
Mit Charpentier und Doudna teilen sich zum ersten Mal zwei Frauen den Chemienobelpreis. Sie sind außerdem erst die sechste und siebte Frau, die den Preis gewinnen.
Emmanuelle Charpentier, geboren 1968 im französischen Juvisy-sur-Orge, leitet seit 2018 die Max-Planck-Forschungsstelle für die Wissenschaft der Pathogene.
Jennifer A. Doudna Cate, geboren 1964 in Washington D.C., ist Biochemikerin und Molekularbiologin. Seit 2003 ist sie Professorin an der University of California, Berkeley. Doudna forscht außerdem seit 1997 für das Howard Hughes Medical Institut in Maryland, USA.