EuGH zu neuer Zuchtmethode Gentechnik ungeprüft im Supermarkt?
Mit der Technik der Genschere können Pflanzensorten gezielter gezüchtet werden. Der Europäische Gerichtshof entscheidet heute, ob das Verfahren als Gentechnik gilt - und damit indirekt über dessen Zukunft.
Pflanzen mit höherem Ertrag, angepasst an den Klimawandel, widerstandsfähig gegen Pilze und Schädlinge - das versprechen sich Züchter von jüngst entdeckten Techniken. Dabei handelt es sich um winzige Werkzeuge aus Eiweißmolekülen - auch Genscheren genannt.
Züchter können damit im Labor im Erbgut einer Pflanze schneiden und so Erbinformationen gezielt verändern. Mit solchen Genscheren können neue Sorten schneller und kostengünstiger entwickelt werden als das bislang mit klassischen Zuchtverfahren möglich ist.
Allerdings werden so erzeugte Pflanzen bisher nicht auf deutschen Feldern angebaut. Denn noch ist unklar, ob es sich bei den neuen Zuchttechniken rechtlich um Gentechnik handelt oder nicht. Nun will der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg darüber entscheiden.
Wenn der EuGH die neuen Verfahren als Gentechnik einstuft, müssten alle auf diese Weise veränderten Pflanzen vor der Zulassung einer umfassenden Risikoüberprüfung unterzogen werden, bevor sie auf deutschen Äckern und Tellern landen dürften.
Keine Sicherheitsprüfung nötig?
Orientiert sich das Urteil dagegen an den Schlussanträgen des zuständigen Generalanwalts, könnten einige der neuen Verfahren nicht unter das Gentechnikrecht fallen. Mit ihnen erzeugte Pflanzen könnten dann ohne zusätzliche Sicherheitsprüfung und ohne Kennzeichnung in den Handel gelangen.
Der Knackpunkt: Nach der sogenannten EU-Freisetzungsrichtlinie wird ein Organismus als gentechnisch verändert eingestuft, wenn dessen Erbgut so verändert worden ist, wie es auf natürliche Weise nicht möglich ist. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn Züchter im Labor eine Pflanze mit einem Bakterium kombinieren, also artfremde Informationen aus dem Bakterium ins Erbgut der Pflanze einbringen.
Ergebnis wie bei Pflanzen aus herkömmlicher Züchtung
Mit den neuen Verfahren - das prominenteste heißt CrisprCas - ist es jedoch auch möglich, das Erbgut einer Pflanze gezielt umzuschreiben, ohne artfremdes Material einzuführen. Solche Veränderungen könnten auch mit herkömmlichen Zuchtmethoden erreicht werden, erklärt das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). Deshalb handele es sich im Ergebnis nicht um gentechnisch veränderte Organismen.
Eine ähnliche Position vertritt auch die Nationale Akademie der Wissenschaften in Halle: Sie weist in einer Stellungnahme darauf hin, dass mit den neuen Verfahren gewonnene Pflanzen sich mitunter nicht von konventionell gezüchteten Pflanzen abgrenzen ließen. Denn ähnliche Veränderungen im Erbgut würden auch durch bisherige Zuchtverfahren wie zum Beispiel durch den Einsatz von Chemikalien oder durch radioaktive Strahlung erzeugt.
Aus diesen Gründen sieht Ralf Wilhelm vom Julius-Kühn-Institut in Braunschweig bei den neuen Verfahren auch kein höheres Risiko als bei herkömmlicher Züchtung. Wilhelm leitet an der Bundesforschungseinrichtung die Abteilung für Sicherheit biotechnologischer Verfahren.
Er sieht vor allem Vorteile. Im Gegensatz zu herkömmlichen Methoden könne man mit den Genscheren viel schneller wichtige Züchtungsziele erreichen.
Umweltministerium will Regulierung
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) will sich vor dem EuGH-Urteil nicht zur rechtlichen Einordnung äußern, betont aber das "Innovationspotenzial" neuer Techniken wie CrisprCas im Hinblick auf globale Herausforderungen wie Klimawandel und der Ernährung von bald mehr als neun Milliarden Menschen.
Das Bundesumweltministerium (BMU) ihrer Kabinettskollegin Svenja Schulze (SPD) weist dagegen auf mögliche Risiken der neuen Techniken hin. Auch kleine Veränderungen im Erbgut könnten große Auswirkungen haben, so eine Sprecherin. Die Ausbreitung von veränderten Pflanzen mit schädlichen Folgen für natürliche Lebensräume müsste daher ausgeschlossen werden. Deshalb fordert das BMU, so erzeugte Organismen nach dem Vorsorgeprinzip zu regulieren.
Dem schließt sich der Gentechnik-Experte Christoph Then der gemeinnützigen Organisation Testbiotech an. Auch wenn solche Veränderungen erfolgreich und zielgenau seien, könnten die Wirkungen auf den Organismus ganz anders sein als beabsichtigt. Geeignete Methoden zur Beobachtung von Langzeitwirkungen fehlten, so Then.
Unternehmen investieren bereits
Die Pflanzenzuchtunternehmen dagegen stehen in den Startlöchern und hoffen auf möglichst wenig Regulierung. Sie investieren bereits in die neuen Techniken, erforschen diese in ihren Laboren und Gewächshäusern. Sie betonen die Chancen und hoffen auf gute Geschäfte.
Sollten die neuen Methoden als Gentechnik eingestuft werden, würden auf die Unternehmen langwierige und kostenintensive Zulassungsverfahren zukommen. Für den Fall befürchten sie Nachteile im internationalen Wettbewerb. Denn die USA zum Beispiel wollen so veränderte Pflanzen nicht regulieren. Und für Deutschland sehen die Unternehmen dann sowieso kaum Chancen für entsprechende Produkte, denn die meisten Menschen hier lehnen gentechnisch veränderte Nahrungsmittel bislang ab.