Kritik an Agrarminister Özdemir "Politisch herzlich wenig passiert"
Mehr Bio, bessere Tierhaltung, kein Glyphosat - mit diesen Zielen ist Landwirtschaftsminister Özdemir vor rund zwei Jahren angetreten. Was hat der Grünen-Politiker erreicht?
Er sei der Landwirtschaftsminister von allen, nicht der großen oder kleinen Höfe, nicht von konventionell oder Bio. So beschreibt sich der grüne Bundesminister für Landwirtschaft und Ernährung, Cem Özdemir, im Interview mit dem ARD-Politikmagazin Panorama. Auch sonst möchte der Grünen-Politiker ganz offensichtlich als Minister der Mitte wahrgenommen werden.
Während die Bauern gegen die geplante Kürzung klimaschädlicher Vergünstigungen bei Agrardiesel und Kfz-Steuer protestierten, stellte sich Özdemir schnell an ihre Seite. "Ich halte nichts von den Streichungen in diesem Umfang", erklärte er bei einer Großdemo in Berlin. Kurz darauf nahm die Bundesregierung einen Teil der Kürzungen zurück.
Vor rund zwei Jahren war Özdemir angetreten, um die Landwirtschaft nachhaltiger zu gestalten. Er wollte unter anderem dafür sorgen, dass in Deutschland weniger Nutztiere gehalten werden und diese auch besser. Hat der Grünen-Politiker seine Ziele erreicht?
Greenpeace: "Zwei verlorene Jahre"
Von einem nachhaltigen System sei man heute "sehr weit entfernt", sagt der Agrarforscher Matin Qaim von der Universität Bonn, Mitglied der renommierten Nationalen Akademie der Wissenschaften. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace spricht sogar von zwei verlorenen Jahren.
Das Leitbild des grünen Ministers ist die Bio-Landwirtschaft. Denn Bio habe viele Vorteile für die Artenvielfalt und die Tierhaltung, erklärt Özdemir. Doch nur rund 14 Prozent der Höfe wirtschafteten 2022 ökologisch.
Für die große Mehrheit der Betriebe, für die konventionelle Landwirtschaft, fehle aber bisher eine Nachhaltigkeitsstrategie, sagt der Agrarforscher Achim Spiller von der Universität Göttingen, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für Agrarpolitik.
Tierhaltung ist die größte Baustelle
Die größte Baustelle ist aus Sicht der Wissenschaft die Tierhaltung. Sie sei für große Mengen an Treibhausgasemissionen verantwortlich, für hohen Landverbrauch aufgrund der Futterproduktion und für Überdüngung, sagt Agrarforscher Qaim. Deshalb fordert er einen ernsthaften Ansatz, den Konsum von Fleisch und anderen tierischen Produkten weiter zu reduzieren. Dafür sollte man den verringerten Mehrwertsteuersatz für tierische Produkte schleunigst streichen, denn damit mache man Fleisch künstlich günstiger, so Qaim.
Doch Landwirtschaftsminister Özdemir erklärt auf Nachfrage, dass es dafür keine politische Mehrheit gäbe. Ob sich daran nach den Bauernprotesten nun etwas ändert, scheint ungewiss, aber inzwischen wird über diesen und ähnliche Vorschläge wie etwa eine Tierwohlabgabe wieder diskutiert.
Der Agrarexperte von Greenpeace, Martin Hofstetter, fordert sogar, die Zahl der Nutztiere bis 2045 für den Klimaschutz zu halbieren. Die dafür notwendige Transformation habe Özdemir weiter verschleppt, so Hofstetter.
Eine Milliarde Euro für bessere Ställe
Um eine bessere Tierhaltung etwa durch neue Ställe zu ermöglichen, stellt Özdemir den Landwirtinnen und Landwirten nun immerhin rund eine Milliarde Euro zur Verfügung. Doch aus Sicht der Wissenschaft ist das viel zu wenig.
Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Agrarpolitik hatte bereits vor vielen Jahren ausgerechnet, dass insgesamt etwa drei bis fünf Milliarden Euro pro Jahr für den Umbau der Tierhaltung nötig wären. Die eine Milliarde Euro sei immerhin mehr Geld als bei seinen Vorgängern, betont der Bundeslandwirtschaftsminister im Panorama-Interview. Zudem kämpfe er in der Koalition für weiteres Geld.
Wofür er in der Debatte um neue gentechnische Züchtungsmethoden kämpft, ist dagegen schwer auszumachen. Aktuell geht es in der Europäischen Union darum, ob die neuen Technologien zur Pflanzenzüchtung in Zukunft weniger streng reguliert werden sollten.
Keine klare Haltung zu Gentechnik?
Die Grünen haben sich in ihrem Grundsatzprogramm klar gegen Gentechnik ausgesprochen. Doch der Agrarminister vermeidet es auch auf Nachfrage, sich hier eindeutig zu positionieren. Er betont dagegen immer wieder: "Wir brauchen eine echte Koexistenz." Er sei dafür, dass der Markt, der gentechnikfrei sei, das auch in Zukunft sein könne.
In der Wissenschaft gibt es einen breiten Konsens, dass die neuen Gentechniken nicht risikoreicher als konventionelle Zuchtmethoden sind. Agrarwissenschaftler Qaim verweist auf die großen Chancen, mit ihnen die Pflanzenzüchtung präziser, effizienter und schneller zu machen. Wenn man sich die großen Herausforderungen wie den Klimawandel anschaue, sollte man diese Potenziale doch nutzen, so Qaim.
Glyphosat weiter erlaubt
Das umstrittene Pestizid Glyphosat dürfen Landwirte jedenfalls weiter nutzen, obwohl es im Koalitionsvertrag heißt: "Wir nehmen Glyphosat bis 2023 vom Markt." Özdemir hätte in der EU gern gegen die Verlängerung der Zulassung für das Mittel gestimmt, aber der Koalitionspartner FDP war für den weiteren Einsatz. Wenn man sich nicht einigen könne, sei die Konsequenz eine Enthaltung, so Özdemir.
Agrarwissenschaftler Spiller findet sowieso, dass die Reduktion aller chemischen Pflanzenschutzmittel wichtiger sei, als Glyphosat allein zu verbieten. Und auch Agrarforscher Qaim hält die Diskussion über ein einzelnes Mittel für eine "Scheindebatte".
Forscher: Bescheidene Halbzeitbilanz
Die Halbzeitbilanz von Agrarminister Özdemir fällt für Qaim insgesamt eher bescheiden aus, insgesamt sei "politisch herzlich wenig" passiert. Agrarexperte Hofstetter von Greenpeace sieht das ähnlich und meint, der Minister scheue bei drängenden Problemen jeden Konflikt, der seinem Image schaden könne.
Dafür sei er jetzt nicht bekannt, erwidert Minister Özdemir auf Nachfrage im Panorama-Interview. Er verweist etwa darauf, dass er eine Pflicht zur Kennzeichnung der Haltungsform eingeführt hat. Da hätte er es sich auch leicht machen können, sagt Özdemir, schließlich habe es vor seinem Amtsantritt schon ein freiwilliges Haltungskennzeichen gegeben.
Özdemir: Große gesellschaftliche Herausforderungen
Allerdings gibt es das staatliche Label bislang nur für Schweinefleisch und lediglich im Handel. In der Gastronomie wird Fleisch weiter nicht gekennzeichnet. Agrarforscher Spiller bemängelt zudem, dass zwar die Haltungsform, nicht aber die Gesundheit der Tiere berücksichtigt würde.
Insgesamt räumt der grüne Bundeslandwirtschaftsminister ein, dass die Probleme wie die Klimakrise und der Verlust der Artenvielfalt groß seien. Die größte Herausforderung sei, mit wenig Geld, mit dem Krieg in der Ukraine, mit einer Veränderungsmüdigkeit in der Gesellschaft und mit einer Polarisierung zwischen Stadt und Land, zwischen Ost und West, die nötigen Veränderungen trotzdem hinzubekommen.
Den ganzen Film "Die Bauern und ihr Minister" sehen Sie am Donnerstag, 18. Januar, um 21.45 Uhr im Ersten in Panorama und bereits ab 18 Uhr in der ARD-Mediathek.