EU-Kommission will Regeln lockern Alter Streit um neue Gentechnik
Für die grüne Gentechnik gelten strenge Regeln von 2001, obwohl sich die Methoden seitdem weiterentwickelt haben. Die EU-Kommission will diese Regeln nun lockern. Kritiker befürchten einen Dammbruch.
Die Zulassung des belgischen Gesundheitsministeriums kam Anfang Mai, gerade noch rechtzeitig zur Aussaat. Die Firma Inari in Gent darf auf einem Testfeld Mais anbauen, der mittels Gentechnik kürzer und dadurch standfester gemacht wurde. Die Voraussetzungen: 200 Meter Mindestabstand zu konventionellen Pflanzungen, hoher Zaun, regelmäßige Überwachung.
Die Zahl solcher Freilandversuche in der EU ist überschaubar, in Deutschland gibt es seit zehn Jahren gar keine mehr. Das soll sich nach dem Willen der EU-Kommission ändern. Sie hält die strengen und über 20 Jahre alten Vorschriften für nicht mehr zeitgemäß.
Mehr Nachhaltigkeit durch neue Technologien?
Auch nach Ansicht des Agrarexperten der Europa-CDU, Norbert Lins, sind neue Techniken wie CRISPR/Cas kaum mit der alten Gentechnik vergleichbar. Die DNA-Schere CRISPR/Cas erlaubt präzise Eingriffe ins Erbgut und damit gezieltere und schnellere Veränderungen als ältere Verfahren. Lins fordert einen "pragmatischen Ansatz für neue Züchtungstechniken im Sinne einer modernen und nachhaltigen Landwirtschaft".
Die Kommission verspricht sich von den neuen Technologien mehr Nachhaltigkeit auf Europas Äckern und Feldern. Die braucht es auch dringend, um die eigenen Ziele zu erreichen: Brüssel verlangt, den Einsatz von Pestiziden bis 2030 zu halbieren.
Aber der Grünen-Europaabgeordnete und ehemalige Biobauer Martin Häusling glaubt nicht daran: "Das sind alles Märchen. Das wurde schon vor 20 Jahren bei der alten Gentechnik erzählt. Wenn man sich jetzt in den USA umschaut - seit die Gentechnik auf dem Markt ist, werden mehr Pestizide ausgebracht."
Brüssel will Abhängigkeiten vermeiden
Laut Kommission sollen die neuen Genverfahren zur Ernährungssicherheit beitragen und die Unabhängigkeit von Nahrungsmitteleinfuhren aus anderen Ländern erhöhen. Brüssel befürchtet, dass die EU technologisch, wirtschaftlich und ökologisch abgehängt werden könnte, was die strategische Autonomie der EU schwächen würde.
Die Kommission schlägt deshalb laut dem bisher bekannten Gesetzentwurf vor, die Regeln zu lockern: Es soll keine Zulassung, Risikobewertung oder Kennzeichnung mehr für genveränderte Pflanzen geben, "wenn diese auch natürlich vorkommen oder durch konventionelle Züchtung erzeugt werden könnten".
Zielgenauere Angriffe
Das kann etwa durch Mutagenese geschehen, die Veränderungen ohne Einfügen von Genmaterial bewirkt. Oder durch Cis-Genetik, bei der Gene zwischen miteinander kreuzbaren Organismen übertragen werden und damit kein artfremdes Erbgut eingesetzt wird, etwa um Mais schädlingsresistenter zu machen.
Der Christdemokrat Lins betont: "Die große Gefahr sehen die meisten beim Einbau von artfremden Organismen. Viel wichtiger ist aber der Fokus auf Pflanzen, deren nützliche Eigenschaften mit CRISPR/Cas schneller und genauer als mit den klassischen Methoden erreicht werden würden."
"Wird Ökolandbau verteuern"
Die SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl sieht den Kommissionsvorschlag nach eigenen Worten dagegen mit großer Sorge: "Für mich haben die Vorsorge bei Züchtung und grüner Gentechnik absoluten Vorrang. Das Vorsorgeprinzip muss unbedingt gewahrt bleiben. Eine diesbezügliche Aufweichung der EU-Regelungen wie aktuell von der EU-Kommission vorgeschlagen, lehne ich ab."
Die Sozialdemokratin befürchtet Probleme für das Nebeneinander von konventioneller und ökologischer Landwirtschaft. Auch die moderne Gentechnik darf nämlich im Biolandbau nicht verwendet werden.
Das stellt betroffene Landwirte nach Darstellung des Grünen-Politikers Häusling vor besondere Probleme: "Die Biobauern müssen wissen, was im Saatgut drin ist, was der Nachbar anbaut. Wenn sie das nicht wissen, müssen sie selbst Vorsorge treffen, und das wird den Ökolandbau erheblich verteuern. Kontrollsysteme aufbauen, Untersuchungen machen - das ist eindeutig etwas, was zu Lasten des ökologischen Landbaus geht."
Probleme mit Patenten befürchtet
Häusling sieht außerdem ein "Riesenproblem für kleine Züchter und Landwirte" darin, dass gentechnisch veränderte Pflanzen patentierbar sein sollen und Bauern möglicherweise Patentgebühren bezahlen müssten.
Das kritisiert auch der Deutsche Bauernverband, der den Kommissionsvorschlag ansonsten grundsätzlich begrüßt. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft lehnt ihn kategorisch ab und befürchtet, dass er das Vorsorgeprinzip aushebeln würde.
Deutsche sind dagegen
Die Bundesregierung hat offenbar keine einheitliche Linie. Das FDP-geführte Forschungsministerium unterstützt Brüssels Vorstoß, das grün geführte Landwirtschaftsministerium äußert sich auf Anfrage nicht.
Dafür scheint die Bevölkerung eine klare Meinung zu haben: Laut einer repräsentativen Umfrage des Verbandes "Lebensmittel ohne Gentechnik" sprechen sich 58 Prozent dagegen aus, dass Deutschland die Kommissionspläne unterstützt, 25 Prozent sind dafür.