Johnsons Brexit-Mission Niederlagen statt No Deal
Der britische Premier Johnson verfolgt seinen Brexit-Kurs mit Kompromisslosigkeit und großen Worten. Doch die wichtigen Abstimmungen verlor er ebenso wie die Mehrheit im Parlament. Was bisher geschah.
23. Juli: Die Tories geben bekannt, dass Boris Johnson die Urwahl um den Parteivorsitz mit rund zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen deutlich gegen Jeremy Hunt gewonnen hat. Damit ist klar, dass Johnson Nachfolger von Theresa May an der Spitze der Konservativen und im Amt des Premierministers wird.
24. Juli: Boris Johnson erhält von der Queen den Auftrag zur Regierungsbildung. Er nimmt den Auftrag an und bildet das Kabinett grundlegend um. Im Ergebnis müssen alle Brexit-Kritiker ihre Regierungsposten abgeben. Brexit-Befürworter, vor allem der Großteil des Teams der Leave-Kampagne beim EU-Austrittsreferendum von 2016, besetzen nun die Ministerämter und die zentralen Positionen im Beraterstab.
25. Juli: Die neue Regierung kommt zur ersten Kabinettssitzung zusammen. Am selben Tag hält Johnson im Unterhaus seine erste Rede als Premierminister. "Unsere Mission ist es, Großbritannien am 31. Oktober aus der EU zu führen und es zum großartigsten Land auf der Erde zu machen", erklärt er dabei. Die Vorbereitungen für einen ungeregelten Brexit erklärt er zur "höchsten Priorität". Die Bestimmungen des Brexit-Abkommens mit der EU seien "inakzeptabel".
28. Juli: Mehrere Mitglieder der neuen Regierung erklären, dass mit Hochdruck die Vorbereitungen für einen ungeregelten Brexit am 31. Oktober 2019 angelaufen seien, weil keine Einigung mit der EU auf ein geändertes Austrittsabkommen zu erwarten sei.
Ende Juli: Johnson reist durch das Land. Er besucht Schottland, Wales und Nordirland. Besonders freundlich wird er dort nicht empfangen, obwohl er Geld verspricht: 300 Millionen Pfund sagt er den Regionen zu. Zum Vergleich: Allein Wales erhält bislang jährlich mehr als 700 Millionen Euro aus den Fördertöpfen der EU.
01. August: Bei der Nachwahl eines Abgeordnetensitzes im Unterhaus verlieren die Tories das Mandat an die Liberaldemokraten. Die Mehrheit der Koalition aus Johnsons Konservativen und der nordirischen DUP schrumpft damit auf einen Sitz. Die britische Regierung beschließt zudem, weitere 2,1 Milliarden Pfund für die Vorbereitung auf den Brexit bereitzustellen. Finanzminister Sajid Javid zufolge werden 1,1 Milliarden Pfund sofort freigegeben, um wichtige Sektoren auf einen EU-Austritt am 31. Oktober vorzubereiten. Eine weitere Milliarde steht demnach für den Fall bereit, dass weitere Finanzmittel benötigt würden.
09. August: Zum ersten Mal seit 2012 sinkt das britische Bruttoinlandsprodukt. Laut dem britischen Statistikamt ging die Wirtschaftsleistung zwischen April und Juni um 0,2 Prozent gegenüber dem Vorquartal zurück. Diese Entwicklung wird aber auch mit dem ursprünglich für Ende März vereinbarten Brexit-Termin begründet.
20. August: In einem Brief an den EU-Ratspräsidenten Donald Tusk erklärt Premierminister Johnson, ein Austrittsabkommen mit der EU habe für seine Regierung oberste Priorität. Seine Regierung wolle mit "Energie und Entschlossenheit" daran arbeiten, ein Abkommen zu erzielen. Er fordert zugleich die Streichung der Backstop-Regelung. Auffällig ist aber: In den ersten Wochen seiner Amtszeit reist Johnson nicht auf den Kontinent - weder zu Antrittsbesuchen, noch um in Brüssel über den Brexit zu verhandeln. Die Freunde jenseits des Kanals seien "ein bisschen negativ", sagt der Premier.
21./22. August: Johnson besucht nacheinander Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin und Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron in Paris. Er wirbt dabei für Nachverhandlungen des EU-Austrittsabkommens. Merkel bietet ihm eine Frist von 30 Tagen an, um eine Alternative zum Backstop zu präsentieren.
Kanzlerin Merkel ließ Premier Johnson bei dessen Besuch weitgehend abblitzen.
27. August: Die Oppositionsparteien im britischen Unterhaus einigen sich auf ein gemeinsames Vorgehen, um den möglichen No-Deal-Brexit zu verhindern.
28. August: Premier Johnson verordnet dem Parlament in London zwei Monate vor dem geplanten Brexit eine Zwangspause. Königin Elizabeth II. stimmt dem Antrag Johnsons zu, die traditionelle Parlamentspause bis zum 14. Oktober zu verlängern. Johnson Vorgehen ist zulässig, aber wegen der ungewöhnlichen Länge der Sitzungspause und wegen des Zeitpunkts stark umstritten. Die Opposition geht davon aus, dass Johnsons Vorgehen darauf abzielt. den Abgeordneten deutlich weniger Zeit zu geben, um einen möglichen No-Deal-Brexit noch zu verhindern. Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon spricht von Diktatur. Die Vorsitzende der schottischen Konservativen, Ruth Davidson, tritt am Tag nach Johnsons Manöver zurück. Gerichte in drei Landesteilen werden angerufen, um zu klären, ob die Parlamentsschließung rechtmäßig ist.
30. August: Ein schottisches Gericht lehnt einen Eilantrag von Abgeordneten gegen die Zwangspause des Parlaments ab.
31. August: In mehr als 30 britischen Städten demonstrieren Tausende Menschen gegen die Zwangspause des Parlaments.
02. September: Kurz vor den entscheidenden Abstimmungen im Unterhaus droht Johnson möglichen Abweichlern unter den Tory-Abgeordneten damit, sie aus der Partei auszuschließen und eine erneute Kandidatur bei den nächsten Wahlen zu verhindern.
03. September: Während der laufenden Parlamentsdebatte tritt der konservative Abgeordnete Phillip Lee demonstrativ zu den Liberaldemokraten über. Johnson verliert damit seine Mehrheit im Unterhaus. Wenige Stunden später erleidet der Premier eine klare Abstimmungsniederlage: Mit 328 gegen 301 Stimmen machen die Abgeordneten den Weg dafür frei, dass das Parlament am Folgetag über einen von Johnson abgelehnten Gesetzentwurf abstimmen kann, der einen No-Deal-Brexit am 31. Oktober verhindern würde.
Phillip Lee (M.) wechselte während einer Johnson-Rede in die Reihen der Liberaldemokraten.
04. September: Die konservativen Tories schließen 21 Unterhaus-Abgeordnete aus der Partei aus, weil sie am Vorabend gegen den erklärten Willen Johnsons mit der Opposition stimmten. Das höchste schottische Zivilgericht erklärt Zwangspause des britischen Parlaments für zulässig. Am Abend beschließt das Unterhaus ein Gesetz, das einen ungeregelten EU-Austritt Großbritanniens verhindert. Sollte es bis Ende Oktober keinen Vertrag mit der EU über einen Brexit geben, muss der Premier demnach in Brüssel eine Verschiebung des Austritts bis zum 31. Januar 2020 beantragen. 327 Abgeordnete stimmen für, 299 gegen den Gesetzesentwurf. Johnson beantragt daraufhin vorgezogene Wahlen, die am 15. Oktober stattfinden sollen. Eine Mehrheit der Abgeordneten fürchtet jedoch, dass Johnson der Termin nachträglich auf einen Zeitpunkt nach dem geplanten Brexit am 31. Oktober verschieben würde. Am späten Abend verfehlt Johnsons Antrag die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit deutlich.
05. September: Nachdem am Vorabend bereits die Beratungen des britischen Oberhauses über das gegen einen No-Deal-Brexit gerichtete Gesetz begonnen haben, verzichten die dortigen Brexit-Gegner auf die ursprünglich angekündigte Anwendung einer Verzögerungstaktik in Form von langen Reden und mehr als 100 Änderungsanträgen. Die Kammer spricht sich dafür aus, das Gesetz passieren zu lassen. Die britische Regierung teilt mit, ihren Widerstand gegen das Gesetz aufzugeben. Das Vorhaben, das Gesetz im Oberhaus zu blockieren, werde nicht weiter verfolgt.
Das britische Oberhaus sprach sich für das Gesetz gegen einen No Deal aus und verzichtete auf Verzögerungstaktiken.
06. September: Das Oberhaus billigt das Gesetz zur Verhinderung eines ungeregelten EU-Austritts. Es sieht vor, dass Premier Johnson am 19. Oktober eine Fristverlängerung bei der EU für den Austritt Großbritanniens beantragen muss, wenn er es bis dahin nicht schafft, einen Vertrag auszuhandeln, der auch in Großbritannien akzeptiert wird. - Das zuständige Londoner Gericht weist eine Klage gegen die verlängerte Sitzungspause des Parlamentes zurück.
09. bis 10. September: Queen Elizabeth unterzeichnet das No-No-Deal-Gesetz - damit tritt es in Kraft. Bei der langen Sitzung scheitert Premierminister Johnson mit seinem zweiten Antrag auf Neuwahlen. Nur 293 der 650 Abgeordneten des Unterhauses stimmten für Johnsons Plan. Er hätte eine Zweidrittelmehrheit gebraucht. Mit dem Ende der Sitzung schickte Johnsons Regierung das Parlament bis zum 14. Oktober in eine Zwangspause.