Proteste in Großbritannien Zornig - aber zahnlos?
In mehr als 30 Städten sind Briten gegen die Zwangspause für das Parlament auf die Straße gegangen. Allein in London protestierten Tausende. Doch ein Umdenken von Premier Johnson ist unwahrscheinlich.
Tausende hatten sich bereits am Mittag vor dem Amtssitz des britischen Premierministers eingefunden, um ihm die Meinung zu sagen: "Schäm' Dich, Johnson" skandierten die Demonstranten, die den Verkehr im Londoner Regierungsviertel Westminster lahmlegten, untermalt von Trillerpfeifen und Trommeln.
Hier, wie in vielen weiteren Städten des Vereinigten Königreichs, bekundeten sie ihren Groll über die Zwangspause, die Premier Boris Johnson dem Unterhaus in dieser Woche verordnet hat. Viele schwenkten EU-Flaggen, den meisten ging es bei ihrem Protest aber vor allem um die Art und Weise, wie der Regierungschef die Suspendierung bewerkstelligt hatte.
"Wir können nicht einfach zusehen und abwarten"
"Ich habe mich mit Verfassungsrecht beschäftigt", sagt einer der Protestteilnehmer, "das Vorgehen scheint nicht korrekt." Eine Lehrerin sagte, sie sorge sich um die britische Demokratie:
Ich finde, ein Mann, der von gerade einmal 0,1 Prozent der Bevölkerung legitimiert worden ist, sollte Abgeordneten nicht dazwischenfunken.
Johnson war im Juli in einer Urwahl seiner Konservativen Partei als Nachfolger der glücklosen Theresa May bestimmt worden, nicht durch Parlamentswahlen.
"Wir sind hier, weil das Land in Schwierigkeiten steckt", erklärte deshalb ein Demonstrant: "Dagegen müssen wir etwas tun. Wir können nicht einfach zusehen und abwarten."
Zwangspause mit königlicher Zustimmung
Auf Betreiben Johnsons hatte Königin Elisabeth II. am Mittwoch verfügt, dass das Unterhaus nach der Rückkehr aus der Sommerpause in der kommenden Woche gleich wieder bis Mitte Oktober suspendiert wird. Johnson begründete den Schritt damit, dass er sein Regierungsprogramm ausarbeiten wolle, um es in der neuen Sitzungsperiode vorzulegen.
Aber nicht nur die Opposition ist überzeugt, dass Johnson damit verhindern wollte, das sie ein Gesetz gegen einen ungeregelten Brexit auf den Weg bringt. Nach bisherigem Stand verlässt Großbritannien die EU am 31. Oktober - mit oder ohne Abkommen.
Johnsons Vorgehen findet aber auch Anhänger. Vor seinem Amtssitz versuchten auch Brexit-Befürworter, sich Gehör zu verschaffen. Dass der Premier durch die heutigen Proteste Abstand von der Suspendierung des Parlaments nehmen könnte, ist nicht zu erwarten.
Kaum Zeit für Gegenwehr
Wenn die Unterhausabgeordneten aus der Sommerpause zurückkommen, bleiben der Opposition nur wenige Tage, um einen Brexit ohne Austrittsabkommen zu verhindern. Welchen Weg sie einschlagen will, ist nicht abzusehen.
Ein Versuch von Brexit-Gegnern, die Zwangspause gerichtlich zu verhindern, war zunächst gescheitert: Ein schottisches Gericht wies ihren Eilantrag am Freitag ab. Allerdings findet nächste Woche eine Hauptverhandlung statt. In London und Belfast sind ebenfalls Klagen anhängig.