Zwangspause für Unterhaus "Überraschungscoup gegen die Demokratie"
Die Queen hat zugestimmt: Das Parlament wird in den Zwangsurlaub geschickt. Die Zeit, einen ungeregelten Brexit noch zu verhindern, wird damit knapper. Die Opposition ist schockiert.
Die britischen Oppositionsparteien hatten schon geahnt, dass ihnen wenig Zeit bleiben würde, um den ungeregelten Brexit zu verhindern, den Premierminister Boris Johnson offenbar riskieren will. Und tatsächlich: Johnson schickt die Unterhausabgeordneten nun gleich nach der Rückkehr aus der Sommerpause nächste Woche wieder bis Mitte Oktober in den Zwangsurlaub.
Jeremy Corbyn, Chef der oppositionellen Labourpartei, verurteilte den Schritt: "Das ist ein Überraschungscoup des Premierministers gegen unsere Demokratie, um eine harten Brexit durchzudrücken", sagte er. "Wovor hat er denn solche Angst, dass er das Parlament suspendiert, um es von einer Debatte über diese Themen abzuhalten?"
Boris Johnson schickt das britische Unterhaus kurz nach seiner Rückkehr aus der Sommerpause wieder in den Urlaub.
Johnson will schnell handeln können
Johnson dagegen begründete die drastische Maßnahme mit politischer Dringlichkeit: Seine Regierung könne mit der Vorstellung ihrer Pläne für das Land nicht bis zum 31. Oktober warten, wenn Großbritannien nach jetzigem Stand aus der EU austritt. "Neue, wichtige Gesetzesinitiativen" müssten schnell auf den Weg gebracht werden, so Johnson, der erst seit Juli britischer Premier ist.
Königin Elizabeth II. hat dem Schritt nun zugestimmt, sie wird sein Programm also am 14. Oktober formell im Parlament vorstellen - nur zwei Wochen vor dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union.
Harter Brexit kaum noch zu verhindern
Das heißt aber auch: Die Opposition hat nun kaum noch eine Chance, den Brexit Ende Oktober zu verhindern. Auf Einladung Corbyns hatten sich führende Politiker von sechs Oppositionsfraktionen im Unterhaus am Dienstag darauf verständigt, schon nächste Woche ein Gesetz ins Parlament einzubringen, um einen harten Brexit zu vermeiden.
Schottlands Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon, deren SNP zu den Brexit-Gegnern zählt, sprach von einem schwarzen Tag für die britische Demokratie. "Es ist ungeheuerlich. Das Parlament schließen, um einen harten Brexit zu erzwingen, der dem Land unermesslichen und dauerhaften Schaden zufügen wird - entgegen der Wünsche der Unterhausabgeordenten, das ist keine Demokratie, das ist Diktatur."
"Das Land will den Brexit"
Auch in Westminister herrscht Empörung. Parlamentspräsident John Bercow bezeichnete Johnsons Schritt per Twitter als Frevel gegen die Verfassung. Die Abgeordnete Anna Soubry von Change UK, eine Brexit-Gegnerin, sprach von einer Schande. "Das ist noch nie dagewesen", sagte Soubry. "Unser Land steckt in der schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg, und das Parlament hat bei jeder Gelegenheit bekräftigt, dass es keinen ungeregelten Brexit will. Und Johnson weiß das."
Nur wenige Brexiteers hielten dem Premierminister die Stange, etwa die Konservative Pauline Latham. Sie sei ganz entspannt, sagte sie. Johnson müsse "tun, was er tun muss, um den Brexit durchzubekommen. Das Land will den Brexit, es hat dafür gestimmt".
Misstrauensvotum rückt näher
Anders Lathams Parteifreund Dominic Grieve, der vehement für den britischen Verbleib in der EU ist. Er sprach von einem Skandal. Ein Misstrauensvotum gegen die Regierung Johnson rücke nun vermutlich sehr schnell näher. Das käme Labour-Chef Corbyn zupass, der bereits einen Showdown im Parlament ankündigte: Die Opposition werde alles tun, um die Zwangspause zu verhindern, wenn das Unterhaus nächste Woche zusammenkommt. Dort haben Johnsons Tories nur eine hauchdünne Mehrheit.
Die Zustimmung der Queen zum Vorziehen der Regierungserklärung galt ohnehin als Formalie. Allerdings hält der Rechtsberater des Premierministers Johnsons Schritt dem Vernehmen nach für juristisch anfechtbar. In Schottland läuft bereits ein Gerichtsverfahren, um die Schließung des Unterhauses zu unterbinden.