Brexit-Machtkampf in London Zeit ist das kostbarste Gut
Im britischen Parlament bahnt sich ein Machtkampf zwischen Premier Johnson und den Abgeordneten an, die gegen einen harten Brexit sind. Doch die Zeit ist knapp, solch einen Ausstieg zu vermeiden.
Am Wochenende demonstrierten die Bürger im ganzen Land gegen die Suspendierung des britischen Parlaments, die Premierminister Boris Johnson durchgedrückt hat. "Johnson untergräbt die Demokratie, das geht mir entschieden gegen den Strich" - mit diesen Worten sprach eine Demonstrantin in Manchester vielen aus der Seele.
Denn weil das Unterhaus schon nächste Woche wieder in die Pause geschickt wird, bleibt Gegnern eines harten Brexit kaum Zeit, einen geregelten Ausstieg aus der EU durchzusetzen.
Am Wochenende gingen in Großbritannien wieder viele Menschen gegen die Brexit-Pläne von Premierminister Johnson auf die Straße.
Historiker: Schlechter Stil von Johnson
Mit dem Manöver habe Johnson zwar nicht gegen die Verfassung verstoßen, aber ganz schlechten Stil bewiesen, meint der Historiker Peter Hennessy: "Zeit ist angesichts der Brexit-Frist am 31. Oktober derzeit das kostbarste Gut in der britischen Politik, für beide Seiten."
Zwischen Dienstag und Donnerstag wollen Opposition und Rebellen der Konservativen Partei den Regierungschef nun zwingen, bis Ende Oktober entweder ein mehrheitsfähiges Abkommen über einen geregelten Brexit vorzulegen oder in Brüssel eine weitere Verschiebung des Austrittsdatums zu beantragen.
Parteiübergreifende Gesetzesinitiative
Keir Starmer, Brexit-Sprecher der Labour-Partei, kündigte eine parteiübergreifende Gesetzesinitiative an. Die Regierung müsse an einem EU-Austritt ohne Abkommen gehindert werden.
EU-Chefunterhändler Barnier rechnet mit einem ungeregelten Brexit.
Doch nach Einschätzung des Brüsseler Chef-Unterhändlers Michel Barnier ist es dazu wohl schon zu spät. Ein No-Deal-Szenario könne kaum noch vermieden werden, schrieb Barnier in einem Beitrag für den "Sunday Telegraph".
Regierung reagiert gelassen
Die Regierung Johnson scheint ohnehin entschlossen, einen ungeregelten Ausstieg zu riskieren. "Wir werden ja sehen, was in der Gesetzesvorlage steht, wenn sie eingebracht wird", kommentierte Minister Michael Gove, zuständig für die Notfallplanung, die Pläne der Opposition.
Seine ehemalige Parteikollegin Anne Widdecombe, inzwischen Europaabgeordnete der Brexit-Partei, äußerte volles Verständnis für die Zwangspause. "Es ist schließlich drei Jahre her, dass die Briten für den Austritt aus der EU gestimmt haben, und immer noch drehen wir uns ohne Abkommen im Kreis."
Der britische Premierminister Johnson riskiert offenbar einen ungeregelten Brexit am 31.Oktober.
Parlament hat sich selbst ausgeschaltet
Damit hat Widdecombe den Finger in die Wunde der Opposition gelegt: Das Unterhaus hat sich zwar dreimal gegen einen ungeregelten Ausstieg ausgesprochen, es hat aber auch mehrfach das Abkommen abgelehnt, das Johnsons Vorgängerin Theresa May mit der Europäischen Union ausgearbeitet hatte - und sich damit selbst ausgeschaltet.
Zudem verbindet das Zweckbündnis, zu dem die Gegner des Premiers sich jetzt zusammengefunden haben, über die Sorge angesichts eines harten Brexit hinaus nur wenig. Wie der Machtpoker in Westminster ausgeht, ist deshalb völlig offen.