Brexit-Streit "Alle Beteiligten jetzt im Wahlkampf"
Das britische Unterhaus ist in der Zwangspause, doch der Wahlkampf läuft - allen voran bei Premierminister Johnson, meint ARD-Korrespondentin Sabina Matthay. Wie es in Sachen Brexit weitergeht, darüber rätseln viele.
NDR Info: Bis zum 31. Oktober, dem geplanten Brexit-Datum, gibt es keine Möglichkeit mehr für eine Neuwahl. Was bedeutet das jetzt?
Sabina Matthay: Das bedeutet, so paradox es klingt, dass alle Beteiligten jetzt in den Wahlkampf gehen - allen voran Premierminister Boris Johnson, der ja auch die besten Mittel dazu hat. Er ist eigentlich schon seit Juli, seit er durch seine Partei in dieses Amt gehoben wurde, im Wahlkampf. In diesem gibt er immer wieder Milliardenversprechen an die Briten ab. Hier stehen außerdem die Parteitage bevor und da können sich natürlich auch alle Beteiligten profilieren.
NDR Info: Ein Gesetz verbietet den ungeregelten Brexit zum 31. Oktober. Bis dahin wird es auch keine Neuwahl geben. Was geht denn jetzt eigentlich noch?
Sabina Matthay: Darüber wird auch hier viel gerätselt. Was manche Kollegen in den britischen Medien erfahren haben wollen ist, dass die Strategen in der Downing Street schon überlegen, wie man dieses Datum 31. Oktober aushebeln könnte. Denn es sieht nicht danach aus, dass Johnson - wie die Parlamentarier das eigentlich gerne möchten - doch noch einmal ernsthaft mit Brüssel verhandelt und zu einem geregelten Brexit kommt. In der Downing Street überlegt man jetzt schon, ob man dieses Datum nicht einfach ignorieren oder juristisch dagegen vorgehen kann.
NDR Info: Johnson betont ja auch immer, dass er so eine Verschiebung nicht will, also auch nicht beantragen will. Was macht er denn jetzt eigentlich in diesen nächsten fünf Wochen?
Sabina Matthay: In den nächsten fünf Wochen wird er Wahlkampf machen. Es wird Neuwahlen geben müssen. Johnson hat in der letzten Woche schon seine arbeitsfähige Mehrheit im Parlament verloren, auch weil er selbst aufrührerische Abweichler seiner Fraktion hat ausschließen lassen. Nun gibt es schon viele Parteifreunde, die glauben, dass er die Tories zu einer Brexit-Sekte machen möchte, um das Land zu polarisieren - aber damit eben auch Wähler zu gewinnen. Es sieht auch so aus, als würde das im Lande goutiert. Die Tories haben enorm zugelegt.
NDR Info: Im Unterhaus ging es auch darum, ob die Regierung Dokumente zu ihren Plänen herausgeben soll. Warum ist das den Abgeordneten so wichtig?
Sabina Matthay: Es ist ihnen so wichtig, weil Johnson immer wieder behauptet, er würde ganz ernsthaft mit der EU verhandeln. Aus Brüssel hört man, dass man davon wenig merken würde. Zudem war vor Kurzem ein internes Papier der Regierung in Auszügen an die Öffentlichkeit gekommen - "Operation Yellowhammer" -, in dem beschrieben wird, wie unzureichend Großbritannien auf einen harten Brexit vorbereitet ist. Nun möchten die Abgeordneten wissen, wie es denn darum steht. Sie wollen auch interne Kommunikation zu der von Johnson auferlegten Zwangspause für das Unterhaus erhalten.
Das Interview führte Liane Koßmann, NDR Info.