Konservatismus in der Krise Droht der CDU der Bedeutungsverlust?
In vielen europäischen Staaten haben konservative und christdemokratische Parteien an Bedeutung verloren. Rechtsaußen-Parteien sind hingegen erfolgreich. Droht der CDU langfristig ein ähnliches Schicksal?
Die Ampelkoalition taumelt von einem Umfragetief zum nächsten. Doch die größte Oppositionspartei CDU profitiert kaum davon. Stattdessen erlebt die AfD einen Höhenflug. Über die Gründe wird gestritten: Zeigt die Union zu wenig klare Kante? Oder biedert sie sich den Rechtspopulisten zu sehr an?
Im europäischen Vergleich konservativer Parteien stehen CDU und CSU noch recht gut da: Mit Umfragewerten zwischen 25 bis 29 Prozent liegt die Union derzeit sogar noch immer auf Platz eins. Doch wie lange noch?
Starke Verluste in Italien und Frankreich
Ein Blick auf die Entwicklungen christdemokratischer und gemäßigt-konservativer Parteien in anderen EU-Staaten zeigt: In 13 von 27 EU-Staaten haben rechtspopulistische und rechtsradikale Parteien die jeweils traditionellen, gemäßigt-konservativen Parteien bereits überholt oder liegen nahezu gleichauf. Auch wenn die Gründe dafür unterschiedlicher Natur sind - es zeigt sich eine klare Tendenz im europäischen Blick.
In einigen europäischen Staaten sind die konservativen Parteien sogar gar nicht mehr existent oder bedeutungslos geworden. In Italien etwa stellte die christdemokratische "Democrazia Cristiana" ein halbes Jahrhundert lang fast immer den Ministerpräsidenten. Nach einem Korruptionsskandal in den 1990er-Jahren hat sich die Partei aufgelöst. Inzwischen dominieren im rechten Spektrum in Italien mit der "Lega" und "Fratelli d’Italia" um Ministerpräsidentin Giorgia Meloni nationalistische und rechtsradikale Parteien.
Auch in Frankreich sind traditionell konservative Kräfte inzwischen ins Hintertreffen geraten. Nicolas Sarkozy war von 2007 bis 2012 Präsident des Landes - und damit der letzte Konservative in dem Amt. Heute stehen die Republikaner, die Nachfolgepartei von Sarkozys UMP, in Umfragen bei etwa zehn Prozent, während sich die rechtsradikale Marine Le Pen realistische Hoffnungen machen kann, die nächste Präsidentschaftswahl zu gewinnen.
"Von rechts und der Mitte in die Zange genommen"
Frankreich sollte ein warnendes Beispiel für die Union sein, sagt der Politikwissenschaftler Thomas Biebricher von der Goethe-Universität Frankfurt. Er hat intensiv zur internationalen Krise des Konservatismus geforscht und die Studie "Mitte/Rechts" veröffentlicht. Die gemäßigten Konservativen in Frankreich hätten sich unter Sarkozy zu weit nach rechts bewegt und dadurch Platz in der Mitte gelassen. "Frankreichs Republikaner wurden so von rechts und der Mitte in die Zange genommen. Das ist ein Szenario, das man bei der CDU im Blick behalten sollte", erklärt Biebricher im Interview mit dem ARD-Magazin Panorama.
In Deutschland wittert die politische Konkurrenz rechts der Union derzeit Morgenluft. Maximilian Krah, AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl im nächsten Jahr und Mitglied im Bundesvorstand der Partei, hofft darauf, dass sich die Union in Deutschland so entwickelt wie ihre Schwesterparteien in Frankreich und Italien: "Die politische Rechte kommt nur dann zum Erfolg, wenn die Christdemokraten verschwinden."
Ziel der AfD sei es, stärkste Partei in der rechten Hälfte des politischen Spektrums zu werden, entsprechend sei die Union der strategische Hauptgegner der AfD, so Krah gegenüber Panorama. In Umfragen steht die AfD mit 21 Prozent bereits an zweiter Stelle und damit so gut da wie nie zuvor in der Geschichte der Partei.
Konkurrent statt Juniorpartner
Der Politikwissenschaftler Floris Biskamp von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt beobachtet die Entwicklung der AfD seit Langem. Bisher habe es in der Partei stets starke Kräfte gegeben, die mittelfristig als kleiner Partner mit der Union regieren wollten, um das Land sukzessive nach rechts schieben zu können.
Nun seien in der AfD diejenigen dominant, die ganz anderes im Sinn haben. "Sie wollen das Land grundlegend verändern, weshalb sie auch nicht als Juniorpartner der Union zur Verfügung stehen, sondern offen erklären, diese kaputt machen zu wollen", so Biskamp. "Dessen sollte man sich bei den Unionsparteien bewusst sein." Für diese Linie stehe auch Krah.
Wie fest steht die Brandmauer?
Zuletzt kamen aus der CDU in der Frage nach einer möglichen Zusammenarbeit mit der AfD uneindeutige Signale. Offiziell ist von einer "Brandmauer" die Rede. Doch immer wieder denken einzelne CDU-Mitglieder und Abgeordnete vor allem in Ostdeutschland laut darüber nach, ob man perspektivisch nicht doch mit der AfD zusammenarbeiten sollte. Gleichzeitig war insbesondere aus den liberaleren, stärker zur Mitte hin orientierten Teilen der CDU die Empörung groß, als Parteichef Friedrich Merz im Juli im ZDF-Sommerinterview die Abgrenzung zur AfD auf kommunaler Ebene relativiert hat.
Merz ist es auch, der seit seinem Amtsantritt als CDU-Chef Anfang 2022 immer wieder mit Aussagen irritiert hat, etwa als er die CDU als die "Alternative für Deutschland mit Substanz" bezeichnete, mit Blick auf Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine von "Sozialtourismus" sprach oder Söhne von Migranten "kleine Paschas" nannte.
Politikwissenschaftler Biebricher kritisiert solche Aussagen. "Wenn ein Vorsitzender einer Partei, die von sich selbst sagt, dass sie die Mitte repräsentiert, solche Begriffe benutzt, dann macht er eine solche Sprache salonfähig." Dass Merz sich von der AfD distanziert, helfe da wenig, sagt Biebricher. Im Gegenteil: "Es ist eine fatale Strategie, auf der einen Seite auf Ausgrenzung und Abgrenzung zu pochen und andererseits Rhetorik und Themensetzungen von der AfD aufzugreifen." Das könnte den Eindruck hervorrufen, dass die AfD eigentlich inhaltlich recht habe, die Union aber nur aus machtstrategischen Erwägungen nicht mit ihr zusammenarbeite - und für die CDU gefährlich werden.
Kauder: "Das Christlich-Soziale nach vorne kehren"
Könnte der CDU ein ähnliches Schicksal drohen wie einigen ihrer Pendants in den europäischen Nachbarländern? Nein, sagt Volker Kauder, der 13 Jahre lang Fraktionsvorsitzender der Union im Bundestag war. Die CDU sei keine klassisch konservative Partei. "Wir machen Politik auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes, wir haben auch liberale und christlich-soziale Wurzeln", sagt Kauder. "Wir sind nicht verengt im Konservativen wie manche dieser Parteien in Europa, die dann verschwunden sind."
Kauder warnt aber auch, die Union müsse wieder stärker das Christlich-Soziale nach vorne kehren. "Eine Formulierung wie 'Alternative für die Deutschland mit Substanz' sollte die CDU nicht verwenden. Wenn wir sprechen, dann muss deutlich werden, dass da Christdemokraten sprechen und keine Populisten." Gelinge das nicht, wäre das für die CDU mittelfristig ein ernstes Problem. "Darauf zu spekulieren, dass eine Annäherung an die AfD im Wahlkampf der CDU nützen könne, halte ich für total verfehlt. Meiner Erfahrung nach wählen die Leute dann das Original."
Noch stehen CDU und CSU im europaweiten Vergleich mit anderen gemäßigt-konservativen Parteien gut da. Doch die Diskussionen um den richtigen Kurs der Union in der Opposition und um das Verhältnis zur AfD dürften weitergehen, denn im kommenden Jahr finden neben den Europawahlen auch Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen statt. In allen drei Ländern könnte die AfD stärkste Kraft werden.