Kretschmer nach AfD-Erfolgen "In diesem Land gerät etwas ins Rutschen"
Zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage hat die AfD einen kommunalpolitischen Wahlsieg erzielt. Sachsens Ministerpräsident Kretschmer warnt vor einer Polarisierung wie in Amerika. Ein CDU-Landrat erwartet weitere AfD-Erfolge.
Nach den jüngsten AfD-Erfolgen bei Kommunalwahlen warnt Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer vor einer wachsenden Polarisierung in Deutschland. "In diesem Land gerät etwas ins Rutschen", sagte der CDU-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die Menschen seien verstört, wie in Deutschland Politik gemacht werde.
"Wir sind auf dem Weg in eine Polarisierung, wie wir sie aus Amerika kennen." Energiewende, Heizungsgesetz, Flüchtlingspolitik und Russland-Sanktionen drohten die Gesellschaft zu zerreißen. Politiker griffen zu Schuldzuweisung und Abgrenzung, gleichzeitig ignorierten sie die zentralen Themen der Bevölkerung, kritisierte Kretschmer. "Das ist nicht verantwortungsvoll." Es müsse jetzt um Sachfragen gehen. "In Deutschland muss wieder mehr miteinander geredet werden", forderte der sächsische Regierungschef.
Leise Kritik am Merz-Kurs
Kretschmer ist auch einer der Stellvertreter von CDU-Parteichef Friedrich Merz. Dessen Kurs gegen die Grünen hatte Kretschmer zuletzt unterstützt. Nun aber ging er auf Distanz. "Bundesregierung und Opposition können in Krisenzeiten durchaus zusammenarbeiten", sagte Kretschmer. Dafür brauche es aber auch eine Bereitschaft der Ampel-Regierung. "Ausgrenzen und Abkanzeln führt uns nicht weiter", sagte Kretschmer.
Merz hatte die Grünen als Hauptgegner der Union bezeichnet und eine schärfere Abgrenzung als Reaktion auf den AfD-Umfrage-Höhenflug angekündigt. Das hatte für Kritik gesorgt, auch innerhalb der CDU.
In Kretschmers Bundesland Sachsen wird im kommenden Jahr ein neuer Landtag gewählt. Aktuell regiert dort die CDU zusammen mit SPD und Grünen. Die AfD stand in jüngsten Meinungsumfragen in Sachsen auf Platz eins.
Klingbeil fordert Union zu klarer Abgrenzung von AfD auf
Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil appellierte an die CDU, sich bis auf die kommunale Ebene hinab klar gegen die AfD abzugrenzen. Er sehe, dass sich Parteichef Merz und andere Verantwortliche in der Union bemühten, "die Brandmauer gegen rechts hochzuhalten", sagte Klingbeil in Berlin. Es gebe aber immer wieder Vorstöße aus der Union, dass "man dort auch anfängt, das Verhältnis zur AfD zu relativieren, dass man es normalisiert".
Er könne nur an alle demokratischen Parteien appellieren, nicht die AfD zu kopieren. Die Verunsicherung vieler Menschen infolge der Krisen der vergangenen Jahre habe zur Folge, "dass ein Nährboden für Hetzer und Spalter am rechten Rand wächst", so Klingbeil. Dies sei kein ostdeutsches, sondern ein gesamtdeutsches Problem.
Minister warnen vor "Sand im Getriebe der Wirtschaft"
Die Wirtschaftsminister Thüringens und Brandenburgs, Wolfgang Tiefensee und Jörg Steinbach, warnten mit Blick auf das Umfragehoch der AfD vor negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft in ihren Bundesländern. Er betrachte "die Entwicklung hin zur Hoffähigkeit und Akzeptanz der AfD mit sehr großer Sorge", sagte der SPD-Politiker Tiefensee. Eine Partei, die "das Land abschotten will und ausländerfeindliche Klischees bedient, ist Sand im Getriebe der Wirtschaft".
Steinbach betonte, die Unternehmen seien bei der Gewinnung von Fachkräften auch auf Personal aus dem Ausland angewiesen. Damit dies gelinge, "braucht es eine Kultur des Willkommens und aktive Unterstützung beim Ankommen in der neuen Heimat - sowohl im Unternehmen als auch in der Kommune, in der Gesellschaft", sagte der SPD-Politiker.
Auch der Verband der Wirtschaft Thüringens (VWT) äußerte sich besorgt über die Umfrageergebnisse der AfD. "Eine weitere Stärkung rechtsextremer Kräfte schadet nicht nur dem Wirtschaftsstandort Thüringen, sondern auch dem Freistaat, denn das Fachkräftepotential ist weitgehend ausgeschöpft", sagte VWT-Hauptgeschäftsführer Stephan Fauth.
"Beunruhigend" und "massiv enttäuschend"
In Raguhn-Jeßnitz in Sachsen-Anhalt war am Sonntag der AfD-Politiker Hannes Loth zum neuen Bürgermeister gewählt worden. Er setzte sich in der Stichwahl mit 51,13 Prozent gegen den parteilosen Kandidaten Nils Naumann durch. Loth ist damit der erste gewählte hauptamtliche AfD-Bürgermeister Deutschlands.
Nach der Stichwahl in der 8800-Einwohner-Stadt erklärten die Linken-Landesvorsitzenden Janina Böttger und Hendrik Lange: "Es ist beunruhigend, dass es nun Vertretern rechtsradikaler AfD-Landesverbände gelingt, kommunale Spitzenämter einzunehmen." Der Grünen-Landesvorsitzende Dennis Helmich bezeichnete das Ergebnis als "massiv enttäuschend".
CDU-Landrat befürchtet weitere Erfolge
Der CDU-Landrat des Landkreises Anhalt-Bitterfeld, in dem Raguhn-Jeßnitz liegt, warnte vor weiteren Erfolgen der AfD. "Wenn die Politik, die momentan die Ampel-Regierung vollzieht, so bestehen bleibt, werden das nicht der letzte Bürgermeister und der letzte Landrat der AfD gewesen sein", sagte Andy Grabner. Nicht nur in Ostdeutschland, auch bundesweit könnte das in Zukunft die politische Richtung sein, warnte er. "Das ist kein Sachsen-Anhalt-Phänomen."
Loths Wählerinnen und Wähler seien keineswegs alle Rechtsradikale. "Da sind ganz normale Menschen von nebenan - wie du und ich." Erst vor einer Woche war im südthüringischen Sonneberg mit Robert Sesselmann der bundesweit erste AfD-Landrat gewählt worden.