Recep Tayyip Erdogan und Viktor Orban

Ungarn und Schwedens NATO-Beitritt Orbans leichte Kehrtwende

Stand: 15.07.2023 04:44 Uhr

Bei der monatelangen Blockade des NATO-Beitritts Schwedens hatte Ungarns Premier Orban fest an der Seite der Türkei gestanden. Dann kam Erdogans Kehrtwende. Nun zieht auch Orban nach. Warum fällt ihm das leicht?

Nun soll plötzlich alles sehr schnell gehen. Der ungarische Premier Viktor Orban und das ungarische Parlament wollen nicht die Letzten sein, die dem NATO-Beitritt Schwedens zustimmen. Vor wenigen Wochen noch stand Orban auf der Bremse und treu an der Seite des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der den Schweden die NATO-Mitgliedschaft lange verweigerte. Erst beim NATO-Gipfel in Vilnius in dieser Woche hatte Erdogan seinen Widerstand aufgegeben.

Dass es so kommen würde, hatte sich abgezeichnet. Bei einem Treffen mit Österreichs Kanzler Karl Nehammer hatte Orban Anfang Juli erklärt, seine Regierung habe keine Einwände. Die Schweden müssten nur noch auf die Ratifizierung des ungarischen Parlaments warten. Eine klassische Doppeldeutigkeit des Premiers. Denn die Zustimmung des Parlaments ist in Ungarn eigentlich kein Hinderungsgrund. Im Parlament wurden nach Orbans Willen schon über Nacht Gesetze beschlossen.

Nach der dramatischen Wende von Vilnius ist Orban aber unter Zugzwang geraten, weil die Oppositionspartei "Momentum" schon Unterschriften für eine Sondersitzung des Parlaments gesammelt hat. In Orbans Machtverständnis ist es unvorstellbar, dass ihm die Opposition den Takt vorgibt.

Gezielte Retourkutsche

Das Gezerre um die NATO-Mitgliedschaft zeigt, wie Orban denkt und handelt. Sein Motiv, den Schweden die Zustimmung zu verweigern, war nicht militärisch begründet. Es war der Ärger über Kritik aus Schweden an Ungarns Defiziten in Rechtstaatlichkeit und Pressefreiheit und am Umgang mit EU-Geldern.

Wegen Korruptionsverdacht blockiert die EU Milliarden, die Ungarn eigentlich zustehen. Als Schweden im ersten Halbjahr 2023 den EU Ratsvorsitz innehatte, sah Orban die Gelegenheit gekommen eine Rechnung zu begleichen. Motto: Wenn du meine Gelder blockierst, blockiere ich deinen NATO Beitritt.

 

Blockade als Politikmodell

Die Blockade trifft vor allem aber die EU. Wo immer möglich, schert Orban aus und verweigert seine Zustimmung. Er sagte Nein, als es um Sanktionen gegen russisch-orthodoxe Geistliche ging und er verweigerte erst kürzlich militärische Hilfen für die Ukraine für den Krieg gegen Russland.

Gelegentlich brüskiert er sogar seine wenigen, noch verbliebenen Unterstützer. Zuletzt musste das Österreich erfahren. Obwohl die österreichische Bundesregierung, wie Orban, mehr Einsatz der EU gegen illegale Migration fordert, ließ Orban im Mai Hunderte wegen Menschenhandel verurteilte Schlepper aus ungarischen Gefängnissen frei.

Offiziell begründete das die Regierung mit den hohen Kosten. Tatsächlich dürfte es eine Strafreaktion gegen die EU wegen der blockierten Gelder gewesen sein. 

 

Feindbild EU

Die Europäische Union ist der Lieblingsfeind von Orban. Zuhause in Ungarn nutzt er jede Gelegenheit, um sie als Hort allen Übels darzustellen. Immer wieder ruft die Regierung zu - nicht bindenden - Volksbefragungen auf, in denen die Bürger ihre Meinung zu EU-Initiativen oder Entscheidungen abgeben sollen. So wurde auch gefragt, ob die Bürger mit den EU-Sanktionen einverstanden sind, die Ungarn vorher mit beschlossen hatte. Das aber verschwieg die Regierung.

Als sich Orban, Österreichs Kanzler Nehammer und der serbische Präsident Aleksandar Vucic kürzlich in Wien zu einem Migrationsgipfel trafen, bewertete das Peter Filzmaier, Politikwissenschaftler an der Donau-Universität Krems, als gemeinsame Suche nach äußeren "Feindbildern" von Staaten mit großen inneren Problemen.

Eines dieser Feindbilder sei die EU. Das als Abgrenzung verbundene Bekenntnis, man wolle gegen irreguläre Migration kämpfen, sei "absurd" ist, denn niemand sei für illegale Einwanderung, so Filzmaier. Damit würden die Themen Zuwanderung und Asyl "ziemlich schamlos" miteinander vermischt.

 

Lichtgestalt der Ultra-Konservativen

Im Kreis der konservativen Populisten genießt Orban den Ruf eines Fackelträgers. Im vergangenen Jahr hielt er in Texas die Eröffnungsrede der "Conservative Political Action Conference", einer Versammlung von stramm Nationalkonservativen. Donald Trump lobte ihn überschwänglich.

Orban gilt vielen als derjenige, der in Europa für konservative Werte kämpft, vor allem für das traditionelle Familienmodell. Dass er Familien mit Steuergeldern fördert und Menschen mit anderer sexueller Orientierung ausgrenzt, gefällt den Ultra-Konservativen.

Orbans Wortwahl ist oft kriegerisch. Im letzten Jahr wetterte er gegen die dekadenten westlichen EU-Staaten, die zu viele Zuwanderer dulden und den Untergang ihrer abendländischen Kultur zulassen würden.

Ungarn wolle diese Vermischung nicht, man wolle "keine Gemischtrassigen", meinte Orban bei der "Sommeruniversität" für die ungarische Minderheit im rumänischen Tusványos. Organisiert wird das Treffen von Orbans Fidesz-Partei.

 

"Orbanismus" in der Gesellschaft verankern

Im eigenen Land tut Orban alles, um seine politische Überzeugung und sein politisches System fest in der Gesellschaft zu verankern. Die ländliche Bevölkerung folgt ihm weitgehend, auch weil Orbans Apparat nahezu 80 Prozent der Medien kontrolliert.

Im Frühjahr wurde bekannt, dass das Budapester Mathias-Corvinus-Collegium (MCC), das als Kaderschmiede Orbans gilt, eine Privatuniversität in Wien erwarb. Der neue Besitzer will auf dem Kahlenberg Studenten aus ganz Europa schulen. Es soll eine Akademie für die konservative Elite werden.

Flankierend dazu erwarb die Stiftung des MCC im vergangenen Monat einen der größten ungarischen Buchverlage. Kritik daran wertete die regierungsnahe Internetplattform "Ungarn heute" ganz im Sinn des Weltbildes der ungarischen Regierung als "völlig vorhersehbare internationale Empörung", die von" bekannten linken Medien" geschürt werde und die den Eigentümerwechsel "für ihre regelmäßige ungarnfeindliche Propaganda" nutzten.

So festigt Orban seine Macht immer weiter. Dass er dabei auch - wie im Falle der Blockade des NATO-Beitritts Schwedens - abrupte Wechsel vollziehen muss, ist Teil seines Politikstils.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 07. Juli 2023 um 20:00 Uhr.