Streit auf dem EU-Gipfel Zwei gegen 25 in der Asylpolitik
Der EU-Gipfel in Brüssel droht ohne Konsens zur künftigen Asylpolitik zu enden. Am Vormittag zeichnete sich nach der Blockade von Polen und Ungarn zunächst keine Einigung der 27 Staats- und Regierungschefs ab.
Erst Erleichterung, jetzt Ernüchterung: Beim EU-Gipfel ist ein heftiger Disput ausgebrochen über die erst Anfang des Monats nach jahrelangem Streit erreichte Einigung auf eine EU-Asylreform. Darauf hatten sich die Innenministerinnen und Innenminister der Mitgliedsstaaten verständigt - allerdings mit einem Mehrheitsbeschluss.
Ungarn und Polen wurden damals überstimmt. Deren Regierungschefs stellen sich beim Gipfel nun quer. Denn der Kompromiss sieht unter anderem vor, Migranten in der Gemeinschaft zu verteilen. EU-Staaten, die keine aufnehmen, sollen zahlen - 20.000 Euro pro nicht aufgenommener Person.
Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki weigert sich: "Die polnische Regierung stimmt Zwangsmaßnahmen nicht zu. Einen kompletten Politikwechsel akzeptieren wir nicht." Das sei wie eine Rückkehr der Lage von 2016. Damals hätten einige Länder auf Zwangsumsiedlungen nach Polen gedrängt. "Dem stimmten wir und mehrere andere Länder nicht zu und dann kam man 2018 zu dem Schluss, dass es keinen Zwang gibt."
Überzeugungsarbeit bis in die Nacht
Bis um ein Uhr morgens haben die anderen EU-Staats- und Regierungschefs versucht, Morawiecki und den ungarischen Regierungschef Viktor Orban zu überzeugen - vergebens. Eine Abschlusserklärung zum Thema Migration kam vorerst nicht zustande.
Am Freitagvormittag wurde weiter gestritten - und dabei stehe es zwei gegen 25, sagt Belgiens Premier Alexander De Croo: "Es gab großen Druck aller anderen Staaten, das Momentum zu nutzen, das wir jetzt haben. Zum ersten Mal seit sieben, acht Jahren konnten wir eine Balance finden zwischen Ländern wie Belgien, den Niederlanden und Österreich, wo es viel Sekundärmigration gibt, und den Ankunftsländern. Es gibt also wirklich den Wunsch, Beschlüsse zu erzielen."
Dabei sind die nach außen gerichteten Teile des Asylpakets eigentlich unstrittig: Alle Mitgliedsstaaten verlangen schnellere Verfahren an den EU-Außengrenzen, rasche Rückführungen abgelehnter Bewerber und Abkommen mit den Herkunfts- und Transitländern der Migranten.
Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte erklärt: "Jeder muss sich an getroffene Absprachen halten. Und ich habe auch nicht den Eindruck, dass sie das grundsätzlich in Frage stellen. Sie sind wütend darüber, dass das mit Mehrheit beschlossen wurde. Aber wenn es um den äußeren Aspekt geht - den Flüchtlingszustrom nach Europa, mehr Regulierung, irreguläre Einreisen, gefährliche Überfahrten verhindern - da gibt es überhaupt keine Diskussion."
Laut der polnischen Regierung sollen die EU-Staaten selbst entscheiden, ob und wen sie aufnehmen. Ungarns Ministerpräsident Orban hat in einem Radiointerview damit gedroht, EU-Gelder für die Lieferung von Waffen und Ausrüstung an die Ukraine aufzuhalten.
Blockaden seit Jahren gewohnt
Blockaden auf verschiedenen politischen Feldern ist man in Brüssel aus Warschau und Budapest seit Jahren gewöhnt. Vielen reicht es längst.
Der luxemburgische Regierungschef Xavier Bettel sagt es auch offen: "Sie sagen einfach: Wir sind nicht einverstanden, dass die Mehrheit etwas entschieden hat, mit dem wir nicht einverstanden sind und das geht nicht." Sonst könne er auch eine Liste machen von dem, was ihm in den vergangenen zehn Jahren nicht gefällt. "Ich habe lieber keine Schlussfolgerung als eine schlechte. Wenn da drin steht, dass Polen und Ungarn die Möglichkeit haben, eine Mehrheitsabstimmung in Frage zu stellen und das auch in Zukunft, dann mache ich nicht mit."
Weniger Abhängigkeit von China
Der Streit um die Reform der Asypolitik überschatte zwar den EU-Gipfel, die Staatschefs diskutierten aber auch andere drängende Themen - so etwa die Beziehungen zur Volksrepublik China. Dabei geht es den EU-Ländern vor allem darum, die wirtschaftliche Abhängigkeit von China deutlich zu verringern - sich dabei aber nicht völlig von der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt abzukoppeln.
Wo es erforderlich und angemessen sei, werde man Risiken verringern und zum Beispiel Anfälligkeiten in Lieferketten reduzieren, hieß es. Wirtschaftlich abhängig ist die EU von China derzeit unter anderem bei bestimmten Rohstoffen, Batterien und Arzneimittelgrundstoffen.
Grund für die Positionierung ist, dass China wegen seiner politischen Entwicklung in den vergangenen Jahren zunehmend weniger als ein verlässlicher Partner angesehen wird. Scharfe Kritik wird so zum Beispiel am Umgang mit Menschenrechten und der bislang ausgebliebenen Distanzierung von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine geübt.
In der EU-Erklärung zur China-Politik heißt es nun, die Europäische Union und China hätten trotz ihrer unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Systeme ein gemeinsames Interesse an konstruktiven und stabilen Beziehungen. Die Europäische Union werde weiterhin mit China zusammenarbeiten, um globale Herausforderungen anzugehen.