Faeser-Reise nach Tunesien Viele offene Fragen
Erst eine EU-Delegation, dann Bundesinnenministerin Faeser: Tunesien erlebt viel Reisediplomatie, auch wenn der Präsident zunehmend autokratisch regiert. Ist Europa dem Ziel nähergekommen, Migration zu begrenzen?
Ameni Kochbati will sich ihren Traum erfüllen und ein neues Leben anfangen - weit weg von ihrer Heimat Tunesien, in Deutschland. Die 24-Jährige hat Abitur und eine tunesische Ausbildung als Logistik-Technikerin. Jetzt hat sie sich über ein deutsches Arbeitsmigrations-Programm für eine Ausbildung in Deutschland beworben.
Das Vorstellungsgespräch dafür ist in zwei Tagen. "Wenn es klappt, kann ich im September in Deutschland anfangen." Kochbati spricht schon so gut Deutsch, dass sie mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser über ihre Pläne plaudern kann.
Faeser will Arbeitsmigration erleichtern
Die Arbeitsmigration erleichtern, das ist eine von Faesers Missionen beim Kurzbesuch in Tunis. Projektleiterin Stephanie Schrade berichtet, dass die Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) in diesem Jahr bereits 200 Auszubildende nach Deutschland vermittelt hat, plus 70 Fachkräfte.
18.500 Tunesier kamen 2022 nach Italien
Aber halten solche Projekte die jungen, von der miserablen Wirtschaftslage ihres Landes frustrierten Tunesier wirklich davon ab, sich auf die hochriskante Reise übers Mittelmeer zu begeben? Jene, die keine Chance auf einen der wenigen Plätze in einem deutsch-tunesischen Arbeitsmarktprojekt haben?
3200 Tunesier kamen bis April dieses Jahres laut UNHCR in Italien an, etwa 18.500 im gesamten Jahr 2022. Es ist fraglich, ob Geld und gute Worte aus der EU diese Menschen stoppen können. Zumal die jungen Tunesier, die es in Schlepperbooten nach Europa schaffen und dort - wenn sie Glück haben - Arbeit finden, große Teile ihres Geldes in die Heimat überweisen.
Kooperationswille gegen Geld
Rund 2,5 Milliarden Euro flossen so nach Angaben der tunesischen Zentralbank im vergangenen Jahr von Tunesiern im Ausland auf tunesische Konten. Diese Rücküberweisungen seien in der aktuellen Wirtschaftskrise zu einer zentralen Überlebensstrategie tunesischer Familien geworden, so die Maghreb-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik, Isabelle Werenfels, im Deutschlandfunk.
"Bei der Bevölkerung ist der Wille, das zu bremsen, nicht sehr groß. Beim Präsidenten muss man sagen, der Kooperationswille ist bis zu einem gewissen Grade da: zu verhindern, dass mehr Personen abreisen", sagt Werenfels. Aber dieser sei an Bedingungen geknüpft. "Und die Bedingung ist in erster Linie, dass man Geld bekommt."
Umstrittener Verhandlungspartner
Dabei geriete die Tatsache vollkommen in den Hintergrund, dass "man mit dem Präsidenten verhandelt, der in den vergangenen zwei Jahren die demokratischen Strukturen Tunesiens systematisch abgebaut hat".
Ob diese heiklen Themen, Präsident Kais Saieds Regierungsstil und seine Rede, mit der er im Februar gegen Einwanderer aus Ländern südlich der Sahara hetzte, Thema am Verhandlungstisch waren, ist unklar. Faeser berichtet, sie habe die Menschenrechte "sehr stark angesprochen".
Wie geht es mit der Rückführung weiter?
Offen bleibt aber auch nach Faesers Besuch, wie es beim Thema Rückführung von Migranten weitergeht. Schwierig dürfte es für die EU werden, jene Menschen nach Tunesien zurückzuführen, deren Heimat in anderen Ländern ist, etwa südlich der Sahara.
Darauf zielte der Präsident vermutlich in seinem einzigen zur Veröffentlichung freigegebenen Résumé des Treffens mit Faeser ab: "Tunesien kann nur seine eigenen Grenzen schützen. Und wir werden nicht akzeptieren, ein Einwanderungsland zu werden."
Rückführungen von Tunesiern funktioniere "nicht schlecht"
Und was wird aus den Tunesiern, die aus der EU abgeschoben werden könnten? In der Praxis scheint es dabei zumindest keine unüberwindbaren Probleme zu geben. Insgesamt beantragten im vergangenen Jahr 1383 tunesische Staatsbürger in Deutschland Asyl, bis Mai dieses Jahres waren es bereits 1095.
Große Chancen auf Asyl oder ähnlichen Schutz in Deutschland haben Tunesier nicht. In diesem Jahr bekamen nur 1,5 Prozent der Antragsteller einen positiven Bescheid. Abgeschoben wurden aus Deutschland 2022 laut Bundesinnenministerium knapp 200 Tunesier. Vor der Corona-Pandemie waren es mehr gewesen.
Kanzlerin Angela Merkel hatte nach dem Attentat des Tunesiers Anis Amri auf dem Berliner Weihnachtsmarkt die Zusammenarbeit mit Tunesien bei Abschiebungen forciert. Maghreb-Expertin Werenfels erklärt: "Die Rückführungen von Tunesiern klappen gar nicht so schlecht. Wenn man sich das in Deutschland anschaut, da gibt es Charterflüge zurück. Das ist weniger das Problem, da kooperiert Tunesien auch."
Keine Transitlager in Tunesien?
Was haben also die aktuellen diplomatischen Offensiven in Tunis gebracht? Johannes Kadura von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Tunis zieht eine gemischte Bilanz. Einerseits sei Tunesien jetzt auf der Prioritätenliste und am Verhandlungstisch der Europäer gelandet. Allerdings sei fraglich, ob die Besuche die erhofften Resultate bringen werden.
Saied habe schließlich wiederholt erklärt, dass sein Land nur die eigenen Landesgrenzen überwacht und keine Migranten aus anderen Nationen aufnehmen möchte. "Damit schließt er, zumindest in seiner offiziellen Rhetorik, Transitlager in Tunesien aus", so Kadura. Tunesien habe zudem sehr schwer kontrollierbare Grenzen.
Es bleiben also viele offene Fragen. So klingt auch das Résumé der deutschen Innenministerin: Man habe jetzt Arbeitsstrukturen geschaffen, auf denen man aufbauen könne. Von einem Migrationsabkommen ist man offenbar noch weit entfernt.