Migranten aus Subsahara-Afrika halten eine Mahnwache vor dem UNHCR-Flüchtlingskommissariat und zeigen Schilder mit den Aufschriften "We need help" und "Tunisia is not safe".

Migrationsabkommen mit Tunesien Zusammenarbeit beenden - oder ausbauen?

Stand: 17.04.2023 19:32 Uhr

Mehrere Hilfsorganisationen fordern die EU auf, das Migrationsabkommen mit Tunesien zu beenden. Migranten litten dort unter Menschenrechtsverletzungen und Rassismus. EVP-Chef Weber will dagegen ein weiteres Abkommen mit dem nordafrikanischen Land.

Ein internationales Bündnis aus Seenotrettern und Flüchtlingshilfe-Organisationen hat die Europäische Union aufgefordert, ihr Abkommen zur Migrationskontrolle mit den tunesischen Behörden zu beenden. Tunesien sei "weder ein sicheres Herkunftsland noch ein sicheres Drittland", heißt es in der Erklärung, die 69 Initiativen gemeinsam veröffentlicht haben.

Tunesien dürfe nicht als sicherer Ort für Menschen gelten, die aus dem Meer gerettet wurden. Die Organisationen verwiesen auf den "anhaltenden autoritären Staatsumbau" im Land.

Vorwurf des Rassismus

Die Erklärung, die unter anderem von Sea-Watch, Alarm Phone, Mission Lifeline, SOS Humanity und zahlreichen tunesischen Initiativen verfasst wurde, verweist auch auf die Gewalt und Verfolgung, unter der vor allem schwarze Menschen leiden. "Sie sind rassistischen Kontrollen von Sicherheitskräften ausgesetzt und werden willkürlich inhaftiert", hieß es.

Der bereits vorher bestehende Rassismus gegen Schwarze sei laut der Erklärung durch eine Rede des tunesischen Präsidenten Kais Saied geschürt worden. Saied hatte am 21. Februar in einer Rede von "Horden illegaler Einwanderer" gesprochen und ihnen vorgeworfen, für den Anstieg der Kriminalität im Land verantwortlich zu sein. Die Afrikanische Union hatte daraufhin von einer "rassistischen Hassrede" gesprochen.

Flüchtlinge in Tunesien haben in Tunis Zelte aufgebaut.

Hilfsorganisationen kritisieren die Bedingungen, unter denen Flüchtlinge in Tunesien leben.

Gefahr der Menschenrechtsverletzungen

In Tunesien fehle es zudem an grundlegenden Gütern, aufgrund von Dürreperioden sei die Wassernutzung stark eingeschränkt. Es sei "inakzeptabel", Menschen nach Tunesien zu bringen. Das Risiko sei hoch, dass sie damit Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt würden, unabhängig davon, ob sie Tunesier seien oder nicht.

Die EU kooperiere mit den tunesischen Behörden, eine Änderung der Migrationspolitik sei nicht absehbar, kritisierten die Organisationen. Europa trage damit eine Mitschuld an den Toten an seiner Grenze. Die EU müsse ihre finanzielle und technische Unterstützung für die tunesische Küstenwache einstellen und sichere Routen für alle schaffen.

EVP-Chef: Schlepperbanden das Handwerk legen

Wegen der stark steigenden Zahl an Flüchtlingen, die über das Mittelmeer Europa und vor allem Italien erreichen wollen, hatte der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei, der CSU-Politiker Manfred Weber, zuletzt Verhandlungen zwischen der EU und Tunesien über einen zweiten Flüchtlingspakt nach dem Vorbild des Türkei-Abkommens gefordert.

"Ähnlich wie beim Türkei-Abkommen muss den Schlepperbanden gemeinsam das Handwerk gelegt werden", so Weber. Der Grenzschutz und die Kontrollen sowie das Zurückweisen illegaler Migranten müssten endlich funktionieren. Dafür müsse die EU-Kommission zügig neue Rückführungsabkommen aushandeln. Hunderttausende illegale Migranten seien ausreisepflichtig, blieben aber in der EU, weil ihr Heimatland sie nicht zurücknimmt.

Tunesien wichtigstes Transitland

Für Januar und Februar hatte die europäische Grenzschutzagentur Frontex bereits einen starken Anstieg der Zahl von Migranten gemeldet, die über die sogenannte zentrale Mittelmeerroute nach Italien und Malta kommen.

Tunesien gilt inzwischen als wichtigstes Transitland für Migranten auf dem Weg nach Italien - noch vor dem Bürgerkriegsland Libyen. 57 Prozent der in Italien ankommenden Migranten an Bord von Schlepper-Booten waren demnach in Tunesien gestartet. Frontex erwartet, dass die 2022 erreichte Zahl von 330.000 Migranten in diesem Jahr bereits im Sommer erreicht werden könnte.