Gespräche über Migration in Tunis Tunesien lehnt Rolle als Grenzpolizei ab
Auf der Suche nach Lösungen im Kampf gegen die zunehmende Migration führen europäische Spitzenpolitiker Gespräche in Tunesien. Präsident Saied sagte im Vorfeld, sein Land werde keine Grenzpolizei für Europa sein.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und die Regierungschefs der Niederlande und Italiens sind zu Gesprächen über den Umgang mit Migration nach Tunesien gereist. In der Hauptstadt Tunis beraten sie mit Präsident Kais Saied über das Problem.
Die Zahl der Menschen, die von dem nordafrikanischen Land aus in die EU kommen, hat in den vergangenen Monaten stark zugenommen. Für die meisten Migranten auf dem Weg von Tunesien nach Europa ist Italien das Ziel. Nach offiziellen Zahlen des Innenministeriums in Rom erreichten seit Beginn des Jahres mehr als 53.800 Migranten Italien auf Booten. Im Vorjahreszeitraum waren es rund 21.700 gewesen. Nach Angaben des UN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR) kam die Mehrheit der in Italien registrierten Migranten aus Tunesien.
Bereits Anfang der Woche hatte Italiens rechte Ministerpräsidentin Giorgia Meloni mit dem tunesischen Präsidenten über die Migrationskrise beraten. Eine "Destabilisierung in Tunesien" hätte "ernsthafte Auswirkungen auf die Stabilität von ganz Nordafrika", warnte sie.
Tunesien soll IWF-Hilfen erhalten
Meloni schlug vor, Staaten wie Tunesien dafür zu bezahlen, die Migrantenboote konsequent am Ablegen Richtung Italien und damit gen Europäische Union zu hindern. Ähnliches hatte die EU im Jahr 2016 mit der Türkei vereinbart. Der Pakt zwischen Brüssel und Ankara führte zu einem starken Rückgang der in Europa ankommenden Flüchtlinge. Bei dem heutigen Treffen in Tunis sollen nach Angaben Melonis Initiativen vorgestellt werden, um die Sicherheit in dem Land zu verbessern und dazu beizutragen, dass Tunesien Hilfe vom Internationalen Währungsfonds (IWF) erhält.
Wirtschaft kurz vor dem Kollaps
Präsident Saied hatte im Februar ein härteres Vorgehen gegen Migranten angekündigt und ihnen vorgeworfen, Gewalt und Kriminalität ins Land zu bringen. Anfeindungen und rassistische Übergriffe haben seitdem stark zugenommen. Auch deshalb wollen etliche Menschen schnellstmöglich weiter nach Europa. Neben Migranten aus Ländern südlich der Sahara setzen auch immer mehr Tunesier von der Küste ihrer Heimat aus nach Italien über. Viele sehen angesichts der sich verschärfenden Wirtschaftskrise und der hohen Arbeitslosigkeit keine Perspektive mehr in Tunesien.
Saied kritisierte die Bedingungen für Hilfen vom IWF. Tunesien soll unter anderem Subventionen für Mehl und Treibstoff kürzen, den großen Sektor der öffentlichen Verwaltung verkleinern und staatliche Unternehmen privatisieren. Die Änderungen könnten zu sozialen Unruhen führen, sagte Saied.
Sein Land werde keine Grenzpolizei für Europa sein, erklärte der tunesische Präsident im Vorfeld der Gespräche nach einem Besuch in der Küstenstadt Sfax, von wo aus regelmäßig Boote mit Migranten ablegen. Fragen beim Umgang mit Migranten müssten auf humanitäre Weise und im Kollektiv sowie im Einklang mit geltendem Recht gelöst werden, sagte Saied nach Angaben seines Büros. Migranten seien "leider Opfer eines globalen Systems, das sie nicht als Menschen, sondern als reine Zahlen behandelt".
Am Donnerstag hatten die EU-Innenminister eine Reform der europäischen Asylregeln vereinbart. So sollen Migranten aus Ländern, die - wie Tunesien - als sicher gelten, künftig nach dem Grenzübertritt in Aufnahmeeinrichtungen kommen und dort unter haftähnlichen Bedingungen ausharren, während ihre Bleibeperspektive geprüft wird. Erhalten die Menschen kein Asyl, sollen sie umgehend zurückgeschickt werden. Möglich ist, dass das EU-Parlament noch Änderungen an der geplanten Reform durchsetzt.
Stärkere Zusammenarbeit in Energiefragen geplant
Bei dem Treffen in Tunis, an dem neben von der Leyen und Meloni auch der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte teilnimmt, soll es auch um eine engere Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft und Energie gehen. Die EU will sich bei Energielieferungen noch unabhängiger von Russland machen.