Korruption in Ungarn "Unfassbar, was man mitten in der EU vorfindet"
Ein Besuch des EU-Haushaltskontrollausschusses in Ungarn offenbart, wie drastisch die Orban-Regierung ausländische Unternehmen unter Druck setzt, um Geschäftsanteile für Gefolgsleute zu erpressen.
Montagnachmittag in Budapest: Abgeordnete des Haushaltskontrollausschusses im Europäischen Parlament treffen vor der EU-Niederlassung ein. Sie haben sich drei Tage genommen, um herauszufinden, wo in Ungarn EU-Gelder nicht ordnungsgemäß verwendet werden. Willkommen sind sie nicht.
Die EU-Parlamentarier werden von jungen Mitgliedern der ungarischen Regierungspartei Fidesz empfangen. Sie haben Rollkoffer mit EU-Flagge, einem Bild der korrupten griechischen Abgeordneten Eva Kaili und einen Koffer mit Spielgeld dabei. Es ist eine politische Aktion. Dora Hidas, die Sprecherin der Fidesz-Jugend, hat eine klare Botschaft: "In Ungarn gibt es keine Korruption. In Ungarn gibt es die strengste Antikorruptionsbehörde in ganz Europa."
Dora Hidas, Sprecherin der Fidesz-Jugend, und andere junge Mitglieder der ungarischen Regierungspartei empfangen die EU-Abgeordneten mit einer Protestaktion.
Doch die EU-Abgeordneten sind wegen der grassierenden Korruption in Ungarn gekommen. Das Land ist Schlusslicht, wenn es um Korruptionsbekämpfung geht. Daniel Freund, Europa-Abgeordneter der Grünen, sagt: "Jedes Mal, wenn man nach Ungarn kommt, hört man eine noch schlimmere Geschichte. Es ist unfassbar, was man mitten in der EU vorfindet."
Unternehmen berichten von Schikanen
Die schlimmsten Geschichten hören die Abgeordneten aus dem Mund europäischer Firmenrepräsentanten. Die Manager leiten Niederlassungen deutscher, österreichischer oder französischer Firmen und berichten hinter den Kulissen, wie sie mit Schikanen überzogen und unter Druck gesetzt werden, Firmenanteile an regierungsnahe Oligarchen abzugeben. Das Treffen ist heikel. Weil die Manager Repressionen fürchten, wollen sie nicht gefilmt werden und auch keine Statements abgeben.
Statt der Manager berichten nach dem Treffen die Abgeordneten. Monika Hohlmeier, CSU-Politikerin und Vorsitzende des EU-Haushaltskontrollausschusses, fühlt sich an kommunistische Zeiten erinnert. Wenn etwa Manager schildern, wie ihnen bewaffnete Geheimdienstleute ein Übernahmeangebot für die Firma auf den Tisch legen. Hohlmeier schildert dabei eine offenbar gängige Praxis: "Es taucht regelmäßig jemand auf, der zunächst mal anfragt, ob er nicht zum Billigpreis das Unternehmen kaufen könnte. Wenn das Unternehmen antwortet, dass es beabsichtigt, weiter hier tätig zu sein und sogar auszubauen, dann beginnen erneute, weitere Drangsalierereien. Die reichen wirklich bis zu Besuchen bei Familien zu Hause."
Dazu kommen Inspektionen oder behördliche Anordnungen. Oft werden Genehmigungen zur Teilnahme an Förderprogrammen der EU nicht erteilt. Die Unternehmen sollen mürbe für einen Verkauf gemacht werden. "Und wenn sie immer noch Widerstand leisten", so die Erkenntnis von Monika Hohlmeier, "dann macht man neue Maßnahmen. Wenn es ein Gerichtsurteil gibt, gibt’s am nächsten Tag ein neues Gesetz, eine neue Verordnung, um sie wieder ins Minus zu treiben. Es waren hier Unternehmen, die jährlich mit einem Minus von 70 Millionen, 80 Millionen, 100 Millionen kämpfen müssen."
EU-Abgeordnete sehen gezielte Strategie
Die Abgeordneten sprechen von einer gezielten Strategie. Es begann damit, die Medien unter staatliche Kontrolle zu bringen. Dann sei es mit Banken weitergegangen. Jetzt kämen Bauindustrie, Einzelhandel, Agrarbetriebe und Telekommunikationsfirmen an die Reihe. Unangetastet sind bislang die großen Konzerne. Damit deutsche Autohersteller wie Audi, Mercedes oder BMW investierten, wurden sogar Arbeitnehmerrechte eingeschränkt. Doch Hohlmeier denkt, dass bald "kein Unternehmen mehr sicher davor ist, in Zukunft auch selbst Schäden zu erleiden. Es wird ein Sektor nach dem anderen angepackt".
Die Strategie von Ungarns Regierung heißt Nationalisierung. Das Ziel ist die Kontrolle über wichtige Wirtschaftszweige durch Staat und Oligarchen. EU-Gelder werden dabei gerne genutzt. Sie flossen auch nach Felcsut, ins Heimatdorf von Regierungschef Orban. Hier wurde sogar ein extravagantes Fußballstadion gebaut. Das Wochenendhaus von Viktor Orban, einem erklärten Fußballfreund, liegt direkt am Stadion.
40 Milliarden Euro wegen Korruption zurückgehalten
Inzwischen gilt Ungarn als das korrupteste Land in der EU. Auch deswegen hält die EU-Kommission Gelder zurück. Es geht um bis zu 40 Milliarden Euro. Für Experten das einzige Mittel, das die Regierung versteht. "Es ist nur eine Frage der Zeit, wie lange die Orban-Regierung überleben kann", sagt Miklos Ligeti von Transparency International Ungarn. Er hofft, dass die EU die Mittel weiter zurückhält.
Transparancy arbeitet inzwischen mit der neuen Anti-Korruptionsbehörde zusammen. Sie wurde auf Druck der EU eingerichtet, doch Ligeti ist skeptisch. Er vermutet, dass Regierungschef Orban auf Zeit spielen könnte und auf einen Wechsel der politischen Verhältnisse nach der Europawahl 2024 spekuliert. "Das befürchte ich", sagt Miklos Ligeti und meint: "Meine Hoffnung ist, dass die Menschen in Ungarn am Schluss gewinnen."
EU-Parlamentarier fordern mehr Druck aus Brüssel
Die Besucher aus Brüssel sind jedenfalls entschlossen, dafür zu sorgen, dass am Schluss nicht Orban und seine Oligarchenfreunde gewinnen. Schon jetzt seien der freie Wettbewerb, der ungehinderte Zugang zum Binnenmarkt, Justiz und Pressefreiheit eingeschränkt. Die EU-Kommission, so die Forderung der Haushaltspolitiker, sollte auf jeden Fall weiterhin alle Gelder blockieren und auch Mittel zurückhalten, die Ungarn noch aus der laufenden Haushaltsperiode bekommt. Die Kommission, so Monika Hohlmeier, müsse dafür Sorge tragen, dass die Mittel aus dem Wiederaufbaufonds nicht freigestellt werden und auch andere Fonds gesperrt werden. Man müsse sich auch ansehen, ob Aufträge vergeben wurden, die nicht den europäischen Regeln entsprachen und man müsse Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn einleiten.
Auch ihr Kollege Daniel Freund fordert noch mehr Druck durch die EU-Kommission. Der Grünen-Abgeordnete würde Viktor Orban und Ungarn sogar das Stimmrecht entziehen. Absurd findet Freund den Gedanken, dass Orban nächstes Jahr die ganz große Bühne bereitet bekommt. Orban wird nämlich im Juli 2024 turnusmäßig den Vorsitz der EU übernehmen. Freund kann sich das nicht vorstellen: "Ich finde, ein Land, das keine Demokratie mehr ist, kann nicht die Europäische Union führen".