Sebastian Kurz

Vor Kurz-Prozess "Kriegst eh alles, was Du willst"

Stand: 18.10.2023 05:01 Uhr

Österreichs Ex-Kanzler Kurz ist tief gestürzt - in Wien beginnt der erste Prozess gegen ihn. Es geht um seine Aussage in einem Untersuchungsausschuss. Hat Kurz, als es um die Begünstigung eines Vertrauten ging, gelogen?

Auf diesen Prozess fiebert Österreich schon lange hin. Ein ehemaliger Bundeskanzler als Angeklagter - das gab es in der Republik noch nicht. Entsprechend groß ist das Medieninteresse. Zum Prozess im Wiener Landesgericht haben sich mehr als 80 Journalistinnen und Journalisten angekündigt.

Dabei geht es noch gar nicht um die Skandale um geschönte Umfragen und Korruption, für die in den Augen der Staatsanwaltschaft der frühere Kanzler Sebastian Kurz maßgeblich verantwortlich ist und weswegen er auch noch angeklagt werden könnte.

Zentrale Frage im Prozess jetzt ist: Hat Kurz, bei seiner Aussage vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss des Parlaments am 24. Juni 2020 bewusst falsch ausgesagt?

 

Eine Antwort im Dialekt

Bei seiner Aussage im Untersuchungsausschuss war Kurz gefragt worden, ob er die Besetzung der mächtigen Staatsholding ÖBAG mit seinem Vertrauten Thomas Schmid und auch die Zusammensetzung des Aufsichtsrates aktiv vorangetrieben und letztlich auch abgenickt hatte. Im Ausschuss hatte Kurz verneint. Seine Antwort formulierte er im Dialekt. Statt "Nein", sagte er "Na", was auch als "na ja" interpretiert wird.

Im Protokoll ist folgende Aussage von Kurz festgehalten: "Ich habe immer gewusst, dass er (Thomas Schmid) ein potenzieller Kandidat ist, aber ich habe die Entscheidung nicht getroffen, sondern die Entscheidung hat der Aufsichtsrat getroffen." Frage: "Waren Sie im Vorfeld eingebunden?" Kurz: "Eingebunden im Sinne von informiert, ja."

 

Staatsanwaltschaft stützt sich auf Chats

Für die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft hat sich damit der frühere Bundeskanzler der "falschen Beweisaussage" schuldig gemacht. Laut Strafgesetzbuch ist das ein Vergehen, das mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden kann.

Die Staatsanwälte stützen sich auf SMS-Chats zwischen Kurz und Schmid. Die Chats wurden im beschlagnahmten Mobiltelefon von Schmid entdeckt und sind für die Staatsanwälte eindeutige Beweise dafür, dass Kurz der Mann war, ohne dessen Willen nichts ging und keine wichtigen Posten besetzt wurden.

Berühmt wurden die Chatauszüge, in denen sich Schmid bei Kurz dafür bedankt, dass er als ÖBAG-Chef installiert wurde: Kurz schrieb an Schmid: "Kriegst eh alles, was Du willst." Darauf antwortete Schmid an Kurz: "ich bin so glücklich. Ich liebe meinen Kanzler."

Ehemaliger österreichischer Bundeskanzler Sebastian Kurz steht in Wien vor Gericht

tagesschau, 18.10.2023 12:00 Uhr

Eine "Anhäufung von Scheinargumenten"?

Im Gerichtsverfahren wird Kurz von Otto Dietrich vertreten, einem in Wirtschafts- und Korruptionsstrafsachen erfahrenen Anwalt. Schon vor Wochen baute er die Verteidigungslinie medial auf und nannte die Anklage eine "bloße Anhäufung von Scheinargumenten". Es gebe keine "sachliche und objektive Begründung" für die Vorwürfe gegen Kurz.

In dieselbe Kerbe schlägt auch die Volkspartei ÖVP und sieht allein Schmid als Täter. Generalsekretär Christian Stocker sagte dem ARD-Studio Wien: "Es ist keine Frage, dass die Volkspartei Schaden genommen hat durch die Chats, aber diese Chats stammen von Thomas Schmid und nicht von Sebastian Kurz, und die Tonalität und der Inhalt dieser Chats sind etwas, von dem wir uns ganz klar distanziert haben."

 

Welche Urteile sind möglich

Außer Kurz stehen auch sein früherer Kanzleichef Bernhard Bonelli und seine frühere Stellvertreterin im Parteivorsitz, die Managerin Bettina Glatz-Kremser vor Gericht. Die drei weisen alle Vorwürfe von sich und wollen einen Freispruch. Kurz ist sogar felsenfest überzeugt, dass am Ende nur ein Freispruch verkündet werden wird.

Bei einem Schuldspruch droht dagegen eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren, doch da alle Angeklagten als unbescholten gelten, ist Haft unwahrscheinlich. Denkbar wäre auch eine sogenannte Diversion. Dabei gibt es keinen Schuldspruch. Kurz müsste aber einen Geldbetrag oder gemeinnützige Arbeit leisten. In der Öffentlichkeit würde das als Schuldeingeständnis gewertet.

Möglich wäre auch, dass sich Kurz auf einen "Aussagenotstand" beruft. Er würde dann die Falschaussage im Untersuchungsausschuss zugeben und damit begründen, dass er sich selbst oder andere vor Strafverfolgung schützen wollte. In diesem Fall würde es auch keinen Schuldspruch geben. Kurz könnte das Gericht als Lügner, aber als rechtlich unbescholtener Mann verlassen.

 

Plant Kurz Comeback?

Noch immer hat Kurz viele Fans, weswegen immer wieder über ein Comeback spekuliert wird. Kurz tauchte zuletzt immer wieder in der Öffentlichkeit auf, zeigte sich zum Beispiel mit dem ungarischen Premierminister Viktor Orban und heizte so selbst die Gerüchte über eine Rückkehr an. Wahrscheinlich ist das nicht, und die wichtigste Voraussetzung für ein Comeback wäre ein Freispruch erster Klasse.

Der jetzige Prozess dürfte jedenfalls länger werden als ursprünglich geplant. Weil mehr als 20 Zeugen aufgerufen sind könnte ein Urteil erst Ende des Jahres oder vielleicht erst 2024 fallen.

Wolfgang Vichtl, ARD Wien, tagesschau, 18.10.2023 12:42 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk Kultur am 18. Oktober 2023 um 06:08 Uhr.