Überraschende Aktion Ungarn entlässt Schlepper aus Gefängnissen
In ungarischen Gefängnissen sitzen viele wegen Menschenschmuggels Verurteilte. In einer überraschenden Aktion lässt Ungarn nun Hunderte von ihnen frei - fast ohne Auflagen. Das sorgt für Ärger.
Ungarn entlässt Hunderte ausländische Strafgefangene aus seinen Gefängnissen, die wegen Menschenschmuggels verurteilt wurden. Viele waren zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden - geschleust haben sie die Menschen oft auf lebensgefährliche Weise. Auf der Balkanroute, die auch durch Ungarn führt, gibt es immer wieder Tote und Verletzte.
Mehrere Tausend Inhaftierte, so das erste Gerücht, sollten plötzlich freikommen. Die letzte bekannte Zahl lautete 700, die nun tatsächlich freigelassen werden. Insgesamt sitzen rund 2600 ausländische Staatsbürger in ungarischen Gefängnissen ein, die meisten wegen Schlepperei. Viele von ihnen fragten sich in Telefonketten: "Bin ich dabei?"
Täter von Kühllasterkatastrophe bleiben in Haft
Das fragten sich wohl auch die Schleuser, die die Hauptschuld tragen am Tod von 71 Flüchtlingen in einem Kühlwagen. Der Laster wurde vor acht Jahren auf einer Autobahn in Österreich entdeckt, er war auf dem Weg nach Deutschland. Die Täter wurden zu lebenslänglichen Haftstrafen verurteilt - nicht nur für Schlepperei, sondern auch wegen Mordes. Anders als zunächst angenommen, bleiben sie aber in Haft: In dem Entlassungsdekret, das der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán verfügt hat, ist eine Obergrenze von fünf Jahren Haft festgelegt.
Gefangene sind Ungarn zu teuer
Interessant ist die Entlassungsaktion, weil sie auf den ersten Blick nicht zur sonst so harten Haltung der Regierung Orbán gegen Schlepperkriminalität passt. Es ist keine Amnestie, sondern eine politische Entscheidung - auch gegen die EU.
Die Begründung, die Orbáns "Kanzleramtsminister" Gergely Gulyás lieferte: Die Strafgefangenen sind Ungarn zu teuer. "Die Gefängnisse sind überfüllt - und es gibt in Straßburg Prozesse gegen uns - damit wir für diese Strafgefangenen weiter Geld ausgeben sollen. Sie freizulassen ist die richtige Entscheidung, damit wir nicht weiter auf Kosten ungarischer Steuerzahler mehrere Hundert Menschenschmuggler mit ungarischer Gefängnisverpflegung durchfüttern", sagte Gulyás.
Fast ohne Auflagen entlassen
Worauf Gulyás anspielt, sind Prozesse gegen Ungarn wegen unmenschlicher Zustände in seinen Gefängnissen. In Einzelfällen musste Budapest Entschädigungen zahlen. Zudem gibt es in der EU Bedenken, Straftäter in Länder wie Afghanistan oder den Iran abzuschieben.
Die Inhaftierten in den ungarischen Gefängnissen sollen aus 73 Ländern kommen, von Afghanistan über Algerien, Iran, Irak, Tunesien, aber auch aus europäischen Staaten wie Rumänien, Serbien, der Ukraine oder Bulgarien. Viele könnte man demnach in ihre Herkunftsländer abschieben.
Nun aber werden die Schlepper offenbar in kleinen Gruppen entlassen. Einzige Bedingung: Ungarn binnen 72 Stunden verlassen. Ihre Reststrafen in ihren Heimatländern absitzen müssen sie nicht.
Österreichs Innenminister ist irritiert
András Nemény ist Bürgermeister der Stadt Szombathely, in der Nähe zur österreichischen Grenze. Auch in seiner Stadt wurden Straftäter vorzeitig entlassen. Er ist beunruhigt: "Es ist überhaupt nicht gut, dass sich die Straftäter jetzt frei in der Stadt bewegen. Und es ist überhaupt nicht unwichtig, was sie in den 72 Stunden hier machen. Es ist ein Problem."
Auch Österreichs Innenminister Gerhard Karner ist beunruhigt. Er pflegt sonst eine enge Zusammenarbeit mit Ungarns Behörden, aber hier wurde wohl auch er überrascht. Karner fordert Aufklärung, um "allfällige Gegenmaßnahmen" vorzubereiten - und legt Wert auf die Feststellung, dass Ungarn hier Kriminelle freilasse, die durch ihre "brutalen Tathandlungen" Menschenleben gefährden.