Fluchthelfer Humanitäre Hilfe oder kriminelle Schleusung?
Fluchthelfer bringen Flüchtlinge ohne finanzielle Gegenleistung nach Deutschland. In vielen EU-Staaten gilt dies als organisierte Schleusung, für die lange Haftstrafen drohen. Warum gehen sie das Risiko ein?
In der vergangenen Woche hat sich eine Gruppe Fluchthelfer auf die 1400 Kilometer lange Fahrt nach Bosnien-Herzegowina aufgemacht, um eine sechsköpfige Familie auf der Flucht nach Deutschland zu holen. Die Helfer müssen vier gut gesicherte Grenzen überwinden. Dabei gehen sie große Gefahren ein. Sollten sie aufgegriffen werden, könnte ihnen eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren drohen. Das ARD-Politikmagazin Report Mainz konnte diese Aktion teilweise dokumentieren.
Warum riskieren die Fluchthelfer ihre Freiheit für die Freiheit anderer? "Wir machen das aus Überzeugung. Wir glauben an Bewegungsfreiheit für alle. Wir glauben an Menschenrechte. Und das sehe ich als strukturell verletzt an den europäischen Außengrenzen", erklärt Fluchthelferin Sophie im Interview mit Report Mainz. Ihren richtigen Namen will sie nicht nennen.
Dieses Mal soll eine kurdische Familie aus dem Nordirak von Bosnien-Herzegowina nach Deutschland gebracht werden. Vor sechs Jahren floh die Familie wegen Armut und Gewalt vom Nordirak über die Türkei bis nach Griechenland. Ihren Kindern sollte es besser gehen - doch es kam anders, erzählt die Mutter. Mehrere Jahre strandete die Familie in Lagern auf der griechischen Insel Lesbos.
Mutter Hana beschreibt die unwürdigen Bedingungen im Flüchtlingslager Moria und später in Kara Tepe: "Tag und Nacht gab es Kämpfe und Streit. Kein Essen, keine Hilfe, wir hatten nichts. Nach sechs Jahren war ich erschöpft." Sie sagt, ihre Kinder konnten keine Schule besuchen, für den Vater gab es keine Arbeit und sie hatten kaum Geld. Um der Perspektivlosigkeit in Griechenland zu entfliehen, beschlossen sie weiterzuziehen. Von Athen ging es über die Balkanroute bis nach Sarajevo.
Rechtsbrüche an den europäischen Außengrenzen
Die Geschichte der kurdischen Familie sei kein Einzelfall, bestätigt der Jurist und Politikwissenschaftler Maximilian Pichl von der Universität Kassel. Er beschäftigt sich seit Jahren mit den Rechtsbrüchen an den europäischen Außengrenzen: "Viele Menschen, die sich auf der Balkanroute befinden, waren jahrelang in Griechenland. Für sie gab es keine politische und rechtsstaatliche Lösung. Viele Menschen bewegen sich jetzt fort, weil sie für sich keine Perspektive sehen." Laut Pichl hätte die EU nach ihren eigenen Rechtsnormen die Verantwortung für diese Menschen übernehmen müssen, um eine Lösung zu finden.
Jetzt werden andere aktiv. Hana und ihre Familie werden von den Fluchthelfern in bosnisch-kroatischen Grenzgebiet abgeholt. Hana erhält genaue Instruktionen, Zeiten und Treffpunkte für den nächsten Tag. Sie hat Angst vor dem Grenzübertritt nach Kroatien, denn die Grenze gilt als gefährliches Gebiet für Flüchtlinge: "Es gibt hier viele Probleme mit der kroatischen Polizei. Sie nehmen dir dein Geld weg, zerstören dein Telefon und nehmen dich einfach mit", sagt Hana.
Was die Mutter beschreibt, nennen Experten Pushbacks. Das sind illegale Zurückweisungen von Flüchtlingen an den europäischen Außengrenzen. Laut dem Juristen Pichl ist das eine gängige Praxis an der bosnisch-kroatischen Grenze. Dort sei Gewalt an der Tagesordnung: "Pushbacks werden gewalttätig durchgeführt, Menschen werden traktiert, ihnen werden Wertgegenstände abgenommen. Minderjährige sind auch betroffen von solchen Fällen. All das spricht nicht dafür, dass hier in irgendeiner Art und Weise ein Rechtsstaat, ein rechtsstaatliches Verfahren überhaupt beabsichtigt wird."
Würde Hanas Familie im kroatischen Grenzgebiet festgenommen werden, könnte auch ihrer Familie eine Abschiebung nach Bosnien drohen - ohne Chance auf ein rechtsstaatliches Asylverfahren.
Fluchthilfe: Humanitäre Hilfe oder organisierte Schleusung?
Wegen solcher Berichte haben sich die Fluchthelfer auf den Weg gemacht, um bei der Grenzüberquerung zu assistieren. Bis heute wurden sie bei Aktionen wie diesen nicht festgenommen. "Es kann natürlich immer passieren, dass auf dem Weg Kontrollen stattfinden und Leute gepushbackt werden. Das ist gefährlich und dann müssen die Leute zurück und man weiß nicht, was passiert", sagt ein Fluchthelfer, der sich Tom nennt.
Vergangenen Mittwoch fahren die Fluchthelfer die Familie an die grüne Grenze zwischen Bosnien und Kroatien. Jetzt muss die Familie mit vier Kinder zwischen zwei und elf Jahren bei Dunkelheit über ein freies Feld bis zu einem Treffpunkt in Kroatien laufen. Auf der anderen Seite erwarten sie die Fluchthelfer - eine angespannte Situation für alle: "Ich hatte dann tatsächlich auch Angst. Meine Beine haben gezittert. Du sagst dir, im Zweifel sitzt du in 20 Minuten in einem Polizeiwagen", erzählt Tom.
Nach zwei Stunden Fußmarsch erreicht die Familie die Fluchthelfer. Mit Autos fahren sie weiter in ein Waldgebiet an der kroatisch-slowenischen Grenze. Hier beginnt die nächste Etappe. Als Wandergruppe getarnt machen sie sich nun auf den Weg in die slowenischen Berge.
Unentgeltliche Hilfe wird als Straftat behandelt
In Deutschland werde unentgeltliche Fluchthilfe mit profitorientierter, krimineller Schleusung gleichgesetzt, sagt Andreas Schloenhardt. Als Professor für Strafrecht an der Universität Queensland und Wien beschäftigt er sich seit Jahren mit Schleuserkriminalität und Migrationsbewegungen. "Wenn jemand aus Mitleid, aus Gefallen unentgeltlich hilft, in ein Land ein- oder auszureisen, ist das bereits eine Straftat."
Er meint, humanitäre Fluchthilfe sollte anders bewertet werden als kriminelle Schleusung. Denn eigentlich sei es die Aufgabe des Staates, vernünftige und rasche Asylverfahren fair und transparent zu ermöglichen: "Und da haben viele Länder Europas und die EU als Ganzes versagt. Deshalb blüht der Schleppermarkt." Die Justiz wiederum solle zwischen humanitärer Fluchthilfe und krimineller Schleusung unterscheiden.
Hanas Familie konnte nach der kroatischen auch die slowenische Grenze überwinden. Die Helfer brachten sie an einen sicheren Ort, wo sie eine mehrtägige Pause einlegten, bevor es weiterging. Am vergangenen Samstag erreichte die Gruppe Deutschland. Nun steht die Familie vor der nächsten Herausforderung: dem Asylverfahren.
Einen Fernsehbeitrag dazu und zu weiteren Themen können Sie im Report Mainz um 21:45 Uhr im Ersten sehen.