EU-Gipfel berät über Russland-Sanktionen Merkel und Hollande geben Ton an
Kurs halten bei den Sanktionen gegen Russland - das ist die Haltung von Deutschland und Frankreich mit Blick auf die Ukraine-Krise. Doch kurz vor dem EU-Gipfel in Brüssel wird deutlich: Nicht alle EU-Staaten sind glücklich mit dieser Linie.
Von Andreas Meyer-Feist, ARD-Hörfunkstudio Brüssel
Sie sind sich wieder näher gekommen: Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande. Lange Zeit waren sie kein politisches Traumpaar im Herzen Europas - vereint nur in wechselseitiger Kritik am Wirtschaftskurs. Jetzt sind sie wieder zusammengeschweißt in ihren gemeinsamen Bemühungen um Frieden in der Ukraine.
Wie es mit den Sanktionen gegen Russland weiter gehen soll, wird auf dem Gipfel entschieden. Das könnte auch bedeuten: Die Entscheidung wird aufgeschoben - alles bleibt, wie es ist. Merkel und Hollande sind die wichtigsten Akteure. Eines zeichnet sich aber schon vor dem EU-Gipfel ab. Russland wird die Sanktionen noch lange nicht loswerden. Sie sind zwar offiziell befristet bis Sommer - könnten aber viel länger in Kraft bleiben. "Die Sanktionen sind aus bestimmten Gründen verhängt worden, und sie können auch nur durch den Wegfall dieser Gründe wieder aufgelöst werden", hatte Merkel in Brüssel immer wieder betont.
Das bedeutet: Die Sanktionen bleiben solange, bis Russland alle Vereinbarungen des letzten Friedensplans von Minsk vollständig umgesetzt hat, um die Lage in der Ostukraine zu entschärfen. Merkel hat Hollande an ihrer Seite. Was so einfach klingt, ist in Wahrheit höchst kompliziert. Der Teufel steckt im Detail. Das ganze Thema ist heikel. Sanktionen erfordern einstimmige Beschlüsse der 28 EU-Regierungschefs. Bisher war das kein Problem. Aber die Front der 28 wackelt. Länder wie Griechenland stöhnen über wirtschaftliche Einbußen. Die Handelsbeschränkungen treffen nicht nur Russland, sondern auch jene EU-Staaten, die mit Russland dick im Geschäft waren.
Bedrohung vor Augen
Auf der anderen Seite stehen die östlichen EU-Staaten, Russland und sein Bedrohungspotenzial ständig vor Augen: Sie fordern Härte gegen Moskau - weil sie fürchten, irgendwann selbst ins Fadenkreuz Putins zu kommen: "Deshalb glaube ich, dass wir handeln müssen", mahnte unlängst Hollande: "Wenn alles nichts hilft, wird es sicherlich einen Antrag geben, neue Sanktionen vorzubereiten, die dann von der EU-Kommission umgesetzt werden müssen." Doch soweit wollen es weder Merkel noch Hollande derzeit kommen lassen.
Sie planen einen Kompromiss: Weitermachen wie bisher und ansonsten erst einmal abwarten, ob sich Russlands Präsident Wladimir Putin nicht doch noch in die von der EU gewünschte Richtung bewegt. Noch enger dürfte allerdings die Messlatte für Erfolge angelegt werden. Grundlage: die von beiden Politikern mit Putin und dem ukrainischen Staatschef Petro Poroschenko ausgehandelten Minsker Vereinbarungen. Von einer "vollständigen Umsetzung" ist in Brüssel die Rede.
Für Putin ist das kein gutes Signal. Die Sanktionen sind zwar bis Sommer befristet. Eine noch engere Koppelung an den Minsker Friedensplan bedeutet aber, dass sie dann wohl verlängert werden dürften. Dafür sprechen schon formale Gründe: Die Frist zur Umsetzung des Minsker Friendsplans läuft bis zum Jahresende. Solange dürfte es auch die Sanktionen geben, zumal von Frieden im Osten des Landes noch keine Rede sein kann.
Neue Sanktionen zum Jahresende?
Bisher erscheint es auch noch völlig illusorisch, dass die ukrainische Regierung bis zum Jahresende die bereits verabredete "vollständige Kontrolle" über die Grenze zu Russland erlangt hat. Wird sich daran nichts ändern, dürfte sogar über neue, noch schärfere Strafmaßnahmen nachgedacht werden.
Um alle 28 EU-Staaten gegen Russland bei der Stange zu halten, spielen Merkel und Hollande auf Zeit - und hoffen, mit diplomatischem Geschick alle anderen EU-Mitglieder für diesen Kurs zu gewinnen. Unterstützung für ihren Kurs gibt es vom polnischen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk, der gestern mit dem ukrainischen Ministerpräsidenten Arseni Jazenjuk zusammengekommen war. Jazenjuk warnte vor einer Debatte über eine Lockerung der Sanktionen gegen Russland und er warnte vor einer "Spaltung" der EU in dieser Frage: "Das wäre für Putin eine große Erfolgsstory".
Druck kommt auch von britischen Premier David Cameron, der in die Friedensbemühungen von Merkel und Hollande nicht eingebunden war und offenbar wenig Vertrauen in die Minsker Vereinbarungen setzt: "Wir brauchen nicht nur Worte auf dem Papier", betonte er schon beim letzten EU-Gipfel in Brüssel. Finnlands Regierungschef Alexander Stubb warnte vor "eingefrorenen Beziehungen" zwischen Russland und dem Westen - falls sich Moskau nicht bewegt.
Sorge um die Energieversorgung
Frostige Zeiten - was das bedeutet, dürfte auf dem EU-Gipfel spürbar werden. Europa ist auf Energieimporte auch aus Russland angewiesen. Durch den Ukraine-Konflikt könnte es Engpässe beim Gas geben. Die geplante Energieunion steht deshalb ganz oben auf der Gipfel-Agenda. Hier geht es nicht nur um Gas, sondern auch um Strom, Kohle und Kernkraft. Es geht um eine bessere Vernetzung, mehr Wärmedämmung und mehr Energiesparen, vor allem aber um einheitliche Föderregeln für Ökostrom.
Die EU-Kommission hatte dazu Vorschläge gemacht. Die Umsetzung dürfte eher zum langfristigen Projekt werden, denn die nationalen Unterschiede sind gewaltig - und das wird wohl auch so bleiben. Denn jedes EU-Land soll auch in Zukunft über seinen Energiemix selbst entscheiden: Die Optionen Atomkraft, Schiefergas oder Windkraft sollen national bleiben. Bei diesen Fragen endet die viel beschworene Gemeinsamkeit der 28 EU-Regierungschefs, wenn es um strategische Zukunftsfragen der Energiesicherung geht.