Ukraine-Gipfel vereinbart Waffenruhe Einigung mit vielen Fragezeichen
Nach der Vereinbarung einer Waffenruhe in der Ostukraine erlauben sich Kremlchef Putin, der ukrainische Präsident Poroschenko, Frankreichs Staatschef Hollande und Kanzlerin Merkel vorsichtigen Optimismus. Unterschiedlich interpretiert wird die Einigung auf eine Verfassungsreform in der Ukraine.
In der Ostukraine sollen von Sonntag an die Waffen schweigen. Darauf haben sich sich die Staats- und Regierungschefs von Russland, der Ukraine, Deutschland und Frankreich nach einem 17-stündigen Verhandlungsmarathon am Morgen in Minsk verständigt. Die Waffenruhe soll ab Sonntag 0.00 Uhr (23.00 Uhr MEZ) gelten, hieß es nach den Gesprächen in der weißrussischen Hauptstadt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach von einem "Hoffnungsschimmer". Sie reiste unmittelbar nach den Minsker Verhandlungen zum EU-Gipfel nach Brüssel, wo es auch um den Ukraine-Konflikt gehen soll. Merkel betonte, sie habe keine Illusionen, die anderen Teilnehmer auch nicht. Es warte noch viel Arbeit, aber es gebe eine echte Chance, dass sich die Dinge zum Besseren wendeten. Der französische Präsident François Hollande nannte die Einigung eine "Erleichterung für Europa und Hoffnung für die Ukraine".
Kremlchef Wladimir Putin sagte: "Wir rufen beide Seiten dazu auf, sich zu mäßigen und überflüssiges Blutvergießen zu vermeiden." Die Ukraine, Russland, Deutschland und Frankreich wollen außerdem ein Aufsichtsgremium einsetzen, um die Umsetzung des Minsker Waffenstillstandsabkommens für die Ostukraine vom September zu kontrollieren.
Schwere Waffen abziehen
Nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko sollen sowohl das ukrainische Militär als auch die prorussischen Separatisten zwei Tage nach Beginn der Waffenruhe ihre schweren Waffen aus den Kampfgebieten abziehen. Geplant ist die Einrichtung eines 50 Kilometer breiten, entmilitarisierten Korridors. Außerdem sollen binnen der kommenden 19 Tage alle Gefangenen ausgetauscht werden.
Nach Angaben des russischen Präsidialamtes wird in der Abschlusserklärung auch die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine garantiert. Damit wird eine zentrale Forderung nicht nur der Ukraine, sondern auch westlicher Staaten erfüllt. Zudem sei vereinbart worden, dass alle ausländischen Militärs ukrainisches Hoheitsgebiet zu verlassen hätten. Bis zum Jahresende soll die Ukraine die vollständige Kontrolle über die Grenze zu Russland übernehmen. Derzeit werden weite Teile des Grenzverlaufs von Rebellen beherrscht.
Putin betonte aber auch, Teil der Vereinbarungen sei "eine Verfassungsreform, in der die gesetzlichen Rechte der Menschen im Donezk-Gebiet gewahrt werden müssen". Er sagte weiter, die Einigung sehe auch einen Sonderstatus für die Rebellengebiete, Bestimmungen zu Grenzkontrollen und humanitäre Angelegenheiten vor. Poroschenko bestritt hingegen, dass es eine Vereinbarung über Autonomie in der Ostukraine gegeben habe.
17 Stunden Verhandlungen
Seit Mittwochabend hatten Poroschenko, Merkel, Putin und Hollande nach Wegen für ein Ende der eskalierenden Kämpfe zwischen Regierungstruppen und prorussischen Separatisten gesucht. Die Verhandlungen gestalteten sich schwierig. Poroschenko erklärte, mehrmals seien inakzeptable Forderungen erhoben worden. Merkel und Hollande strichen heraus, Putin habe auf die Separatisten Druck ausgeübt, damit sie in die Vereinbarungen einwilligten. Nach Angaben aus Verhandlungskreisen hatten sich die Separatisten zunächst geweigert, dem Kompromiss zuzustimmen. Hollande bestätigte jedoch, auch sie hätten schließlich das Abkommen unterzeichnet.
50 russische Panzer in der Ukraine?
Allerdings besteht die Gefahr, dass beide Seiten versuchen, bis zum Beginn der Waffenruhe versuchen, weitere Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen. Poroschenko warf den Separatisten nach den Verhandlungen vor, sie hätten sofort nach dem Leisten der Unterschrift neue Angriffe in der Ostukraine gestartet.
Auch sagte ein Militärsprecher in Kiew, über Nacht seien erneut schwere Waffen aus Russland im Osten der Ukraine eingetroffen. Rund 50 Panzer und 40 Raketensysteme hätten die Grenze passiert. Eine unabhängige Bestätigung dafür gibt es nicht. Dennoch scheint die befürchtete Ausweitung der Kämpfe zu einem die ganze Ukraine erfassenden Krieg und einer Zuspitzung der Spannungen zwischen dem Westen und Russland vorerst abgewendet zu sein.
Zuletzt wurde vor allem erbittert um den strategisch wichtigen Eisenbahn-Knotenpunkt Debalzewe gekämpft. Nach Angaben Putins sind dort bis zu 8000 ukrainische Soldaten von den Rebellen eingeschlossen. "Selbstverständlich" gingen die prorussischen Separatisten davon aus, dass die Soldaten ihre Waffen niederlegten, bevor die vereinbarte Waffenruhe in Kraft trete, sagte der Kreml-Chef. Ein ukrainischer Armeesprecher wies die Angaben Putins zurück. Der Kampf um die strategisch wichtige Stadt dauere an.
Steinmeier: Russland soll Einfluss geltend machen
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier forderte Russland auf, nach den Gipfel-Vereinbarungen weiter seinen Einfluss auf die Separatisten geltend zu machen. Steinmeier sprach im ARD-Brennpunkt von einem "Einstieg" in eine politische Lösung, um den lange gerungen worden sei. Er sei aber "nicht euphorisch" und wolle von keinem "Durchbruch" reden. Er persönlich hätte sich vor allem im "Bereich der Grenzkontrollen" mehr von dem Gipfel gewünscht. Das sei noch relativ vage. Da müsse noch viel gearbeitet werden.
In dem seit zehn Monaten andauernden Konflikt in der Ostukraine wurden bereits mehr als 5300 Menschen getötet. Zuletzt nahm die Intensität der Kämpfe wieder zu. Das erste Minsker Abkommen im September mit ähnlichen Vereinbarungen war nicht umgesetzt worden. Seitdem haben die Separatisten erhebliche Geländegewinne erzielt.