Baustelle für Neubauwohnungen in Hamburg.
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Immobilienmarkt So schwer ist die Wohnungskrise

Stand: 25.09.2023 08:50 Uhr

Am deutschen Immobilienmarkt mehren sich die Warnsignale: Kosten steigen, Projekte werden gestoppt, Firmen gehen pleite. Und dass die Immobilienpreise sinken, ist kein Anzeichen einer Erholung. Ein Überblick.

Vor dem geplanten "Wohnungsbaugipfel", der im Kanzleramt mit Vertretern der Branche, Kanzler Olaf Scholz und Bundesbauministerin Klara Geywitz stattfindet, ist die Stimmung in der Wohnungs- und Immobilienbranche denkbar schlecht. Experten sind sich einig: Viel zu wenig neuer und bezahlbarer Wohnraum entsteht. Der Neubau ist eingebrochen, die Wohnungsnot steigt - ebenso wie die Mieten. Was sind die Gründe für die Krise?

Wie steht es um den Immobilienmarkt?

Stark gestiegene Finanzierungs- und Baukosten haben den Neubau in Deutschland deutlich ausgebremst. Immer mehr Immobilienentwickler stoppen derzeit ihre Neubauprojekte: So erklärte etwa der Immobilienkonzern Vonovia vor wenigen Tagen, Zehntausende geplante Bauvorhaben lägen derzeit auf Eis.

Dirk Salewski, Bundesverband Freier Immobilienunternehmen, zu Bauförderung

tagesschau24, 25.09.2023 10:00 Uhr

In der gesamten Branche wurde laut aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts im Juli 2023 der Bau von 21.000 Wohnungen genehmigt. Das entspricht einem Einbruch von 31,5 Prozent oder 9.600 gegenüber dem Vorjahreswert. In den ersten sieben Monaten des Jahres sank die Zahl damit um 27,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

Die verminderte Bautätigkeit hat verheerende Folgen für den Wohnungsmarkt: Bereits im Januar musste Bauministerin Geywitz das Ziel der Bundesregierung, jährlich 400.000 neue Wohnungen zu bauen, für dieses Jahr als unerreichbar erklären. In den ersten sieben Monaten des Jahres wurden gerade einmal 156.200 neue Wohnungen genehmigt.

Und bei Einfamilienhäusern ist die Lage ähnlich: Immer mehr Bürgerinnen und Bürger begraben derzeit ihren Traum vom eigenen Haus. Hier gingen die Baugenehmigungen laut Statistischem Bundesamt in den ersten sieben Monaten um 36,5 Prozent auf 30.800 zurück.

Warum werden so viele Bauprojekte gestoppt?

Für den Rückgang der Bautätigkeit gibt es zwei wichtige Gründe: Einerseits sind seit Mitte 2022 die Leitzinsen durch die Europäische Zentralbank (EZB) deutlich angehoben worden. Dadurch liegen die Bauzinsen derzeit bei vier bis fünf Prozent. Hinzu kommen die höheren Baukosten in Deutschland durch gestiegene Energiepreise, verteuertes Material oder Lieferschwierigkeiten.

Für viele Immobilienentwickler und private Bauherren wird die Finanzierung von Neubauprojekten daher immer schwieriger - oder unmöglich. Und bereits jetzt sind immer mehr Bauunternehmen insolvent: so etwa die Centrum-Gruppe, vier Gesellschaften des Projektentwicklers Gerch sowie drei Gesellschaften der Nürnberger Project-Immobiliengruppe.

Was passiert gerade mit den Preisen?

Die steigenden Finanzierungskosten und die hohe Inflation schmälern seit längerem die Kaufkraft der Deutschen. In der Folge gingen die Immobilienpreise bereits das zweite Jahr in Folge zurück: Wohnungen und Häuser verbilligten sich im Schnitt um 9,9 Prozent gegenüber dem zweiten Vierteljahr 2022. Das geht aus aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes hervor. Es war das stärkste Minus seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 2000.

Besonders deutlich waren die Rückgänge im Vergleich zum Vorjahresquartal in Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt am Main, Stuttgart und Düsseldorf. Hier verbilligten sich Ein- und Zweifamilienhäuser um 12,6 Prozent, für Wohnungen mussten Käufer im Schnitt 9,8 Prozent weniger zahlen als ein Jahr zuvor.

Vor allem in den großen Metropolen sind die Preise für Häuser und Wohnungen allerdings immer noch enorm hoch. Vor allem Immobilien in Frankfurt am Main und München gelten nach wie vor als stark überbewertet. Laut dem "Global Real Estate Bubble Index" der Großbank UBS weist Frankfurt einen Index-Wert von 1,27 auf, München von 1,35. Ab einem Wert von 1,5 gilt eine Stadt als gefährdet, dass es zu einer Immobilienblase kommt.

Mittelfristig geht die UBS davon aus, dass die Immobilienpreise in Deutschlands Metropolen erneut steigen: "Sobald sich die Finanzierungsbedingungen wieder verbessern, könnten wir schon den nächsten Preisanstieg erleben - nicht zuletzt wegen der weiter anhaltenden Wohnraumknappheit", prognostiziert Maximilian Kunkel, Chefanlagestratege in Deutschland.

Was bedeutet das für Mieter?

Die Wohnungsnot ist nach Einschätzung des Eduard-Pestel-Instituts für Systemforschung so groß wie seit 20 Jahren nicht. Laut einer Studie des Instituts fehlen in Deutschland mehr als 700.000 Wohnungen - besonders im preisgünstigen Bereich. 

Indes gehen die Mieten immer weiter hoch: Nach Angaben des Deutschen Mieterbunds stiegen die Angebotsmieten in Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt, Düsseldorf, Stuttgart und Leipzig im ersten Halbjahr im Schnitt um 6,7 Prozent.

Allein in Berlin haben sich die Angebotsmieten im Jahresvergleich um 16,7 Prozent verteuert. Der teuerste Mietmarkt ist demnach München mit 22,25 Euro pro Quadratmeter. "Diese Zahlen sind erschreckend und machen wieder einmal deutlich: Der Gesetzgeber muss unverzüglich handeln", sagt der Präsident des Deutschen Mieterbundes, Lukas Siebenkotten.

Was könnte gegen die Krise helfen?

Um den lahmenden Wohnungsbau anzukurbeln, gibt es den Vorschlag, dass der Staat weniger strenge Vorgaben für Neubauten macht. So könnte der sogenannte EH-40-Standard zur Dämmung von Häusern zeitlich befristet ausgesetzt werden.

Auch ist ein neues Förderprogramm mit zinsgünstigen Baukrediten für Familien geplant. Zudem hat die Ampel-Regierung bessere Abschreibungsmöglichkeiten auf den Weg gebracht.

Allerdings zweifeln Experten daran, dass die Maßnahmen ausreichen. Die Immobilienbranche fordert beispielsweise eine Absenkung der Grunderwerbssteuer, weniger Bürokratie und die vergünstigte Abgabe öffentlicher Grundstücke für den Mietwohnungsmarkt.

"Förderungen deutlich verbessert," Klara Geywitz, SPD, Bundesbauministerin, zu Krise beim Wohnungsbau

Morgenmagazin, 25.09.2023 08:00 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk Nova am 23. September 2023 um 12:10 Uhr und die tagesschau am 24. September 2023 um 09:44 Uhr.