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Umstrittene Spähsoftware Bundesbehörde in Kontakt mit "Intellexa"

Stand: 26.01.2023 09:25 Uhr

Mindestens eine Bundesbehörde interessierte sich für Spionagesoftware des umstrittenen Konsortiums "Intellexa". Das zeigen Recherchen von SWR und "WELT". Die Software "Predator" soll beim Abhörskandal in Griechenland eingesetzt worden sein.

Von Marilina Görz y Moratalla, Jan-Phillip Hein und Marcel Kolvenbach, SWR

Nachdem in mehreren EU-Staaten kommerzielle Späh- und Überwachungssoftware zum Einsatz gegen Oppositionelle gekommen sein soll, beschäftigt sich seit März vergangenen Jahres ein Untersuchungsausschuss des EU-Parlaments mit dem Thema. In Griechenland wurde eine parlamentarische Untersuchung eingeleitet, nachdem bekannt wurde, dass auf Anordnung des konservativen Regierungschefs mehrere Politiker und Journalisten mit der Spähsoftware "Predator" überwacht und ausgespäht worden sein sollen. Die griechischen Ermittler haben in den vergangenen Wochen in diesem Zusammenhang zahlreiche Büros durchsucht, vergangene Woche gab es eine erste Verhaftung.

Spähsoftware für Geheimdienste und Milizen

Hinter "Predator" steht ein Konsortium von Spähsoftware-Anbietern namens "Intellexa". Es habe unter anderem in Zypern, Griechenland, Irland und Frankreich Niederlassungen, heißt es in einem 160-seitigen Berichtsentwurf des Untersuchungsausschusses. Auf 22 Seiten taucht der Firmenname in dem Dokument vom vergangenen November auf.

"Intellexa" wurde demnach 2019 von Tal Dilian in Zypern gegründet. Dilian hatte zuvor mehrere einflussreiche Posten im israelischen Sicherheits- und Geheimdienstapparat. Auf ihrer Website beschreibt sich die "'Intellexa' Alliance" als ein in der EU ansässiges und von der EU reguliertes Unternehmen zum Zwecke der Entwicklung und Integration von Technologien zur Stärkung der Geheimdienste.

Zuletzt berichteten die niederländische Rechercheplattform "Lighthouse Reports" und die israelische Zeitung "Haaretz" über angebliche verdeckte Verkäufe von "Intellexa"-Überwachungstechnologie an eine berüchtigte Miliz im Sudan. "Intellexa" sei "de facto eine Piratenorganisation", zitierte der Bericht einen Branchenkenner in Israel.

Sensibler Bereich der Sicherheitsbehörden

Ob Software von "Intellexa" oder deren Tochterunternehmen von deutschen Sicherheitsbehörden verwendet wird, ist auch Gegenstand einer aktuellen Anfrage der Linkspartei an die Bundesregierung. Die Antworten liegen jetzt dem SWR und der "WELT" vor. Die meisten Fragen bleiben unter Verweis aufs Staatswohl unbeantwortet. Selbst in eingestufter Form, also unter Wahrung der Vertraulichkeit, verweigert die Bundesregierung Antworten. Diese "würden die Arbeitsfähigkeit und Aufgabenerfüllung der betroffenen Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden sowie Nachrichtendienste erheblich gefährden".

Aber einen Kontakt zu Dilians Firmen räumt die Bundesregierung doch ein: "Zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben hinsichtlich der Weiterentwicklung von Cyberfähigkeiten im Bereich der informationstechnischen Überwachung steht die ZITiS seit 2021 mit Vertretern des Unternehmens 'Intellexa' bzw. deren Tochterunternehmen CYTROX in Kontakt, um im Rahmen einer Marktsichtung Informationen über das Portfolio des Unternehmens zu erhalten. Dies beinhaltet ebenso eine Beschäftigung mit den von dem Unternehmen angebotenen Produkten und Leistungen." Die Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich ZITiS hat die Aufgabe, Bundesbehörden in Fragen der Digitalen Forensik, Telekommunikationsüberwachung und Kryptoanalysen zu unterstützen.

Ehemaliger Geheimdienstkoordinator als Lobbyist?

Nun zeigen Recherchen des SWR und "WELT", dass sich der frühere Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer offenbar als Lobbyist und Türöffner für "Intellexa" bei Bundesbehörden betätigt hat. Der ehemalige CDU-Politiker geriet zuletzt nach der Wirecard-Pleite in die Schlagzeilen. Informationen, die SWR und "WELT" vorliegen, zeigen, dass Schmidbauer nach seinem von Abgeordneten als "bizarr" bezeichneten Auftritt im Bundestag im August 2021 ins Kanzleramt zitiert wurde. Mit Blick auf die Berichterstattung erinnerte man ihn dort an seine weiterhin bestehenden Verschwiegenheitspflichten.

Nach diesem Termin trat der ehemalige Geheimdienstkoordinator wohl auch als Vertreter für die Produkte der "Intellexa" Firmengruppe auf. Die Recherchen ergaben, dass Schmidbauer den inzwischen entlassenen Präsidenten des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), Arne Schönbohm, im November 2021 telefonisch und per Mail kontaktierte, um ein Treffen mit der Firma "Intellexa" zu vereinbaren. Nach weiterem Mailverkehr, der an die zuständige Fachabteilung im BSI weitergeleitet wurde, soll es jedoch nie zu einem Treffen gekommen sein.

Im Februar 2022 gab es einen Kontakt zwischen Schmidbauer und dem Präsidenten der Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS). Anlass war die Vorstellung des Unternehmens "Intellexa". Ein Sprecher von ZITiS bestätigte gegenüber SWR und "WELT" den Termin mit Schmidbauer im Februar 2022 und erklärte schriftlich: "Darüber hinaus bestanden keine Kontakte zu Bernd Schmidbauer."

Im Mai 2022 gelang es Schmidbauer, den Vizepräsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz ans Telefon zu bekommen, in dessen Folge es Anfang Juli zu einem Treffen mit Mitarbeitern des BfV zur Vorstellung "einer Firma" gekommen sein soll. Eine schriftliche Anfrage von SWR und "WELT" an mehrere E-Mail-Adressen von Schmidbauer blieb bisher unbeantwortet.

Ein Regierungssprecher erklärte auf Anfrage: "Derartige Termine kommentieren wir grundsätzlich nicht. Damit ist keine Aussage getroffen, ob der Sachverhalt zutreffend ist oder nicht." Auf die Frage, ob es Pläne der Bundesregierung, gäbe, die Lobbytätigkeit von Schmidbauer einzuschränken, erklärte der Regierungssprecher: "Das öffentlich-rechtliche Amtsverhältnis als Staatsminister, in dessen Rahmen Herr Schmidbauer im Bundeskanzleramt tätig war, endete am 27. Oktober 1998. Nach seinem Ausscheiden aus dem Amt bleiben die Bestimmungen des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre (ParlStG) maßgeblich, das in Bezug auf die von Ihnen erbetene Information zur Einschränkung von Lobbytätigkeiten keine Regelung enthält."

Umstrittene Lobbytätigkeit

"Wenn Lobbyakteure hochrangige Beamte aus Sicherheitsbehörden anwerben, kann das hochproblematisch sein, denn so erhalten sie Zugang zu exklusivem Insiderwissen und Kontakten. Es kann zudem zu schwerwiegenden Interessenkonflikten kommen", sagt Timo Lange von Lobbycontrol.

"Ich finde es bemerkenswert, wie Herrn Schmidbauer weiterhin die Türen bei Sicherheitsbehörden offenstehen", sagt Fabio de Masi, der sich als Bundestagsabgeordneter intensiv mit der Wirecard-Affäre und Schmidbauer auseinandergesetzt hat, zu den Recherchen von "WELT" und SWR. "Wenn Herr Schmidbauer unseren Sicherheitsbehörden eine Cyberhackingfirma zugeführt hat, die gegen Oppositionspolitiker und Journalisten in Griechenland eingesetzt wurde, ist Gefahr für die Demokratie in Verzug. Sollten sich ähnliche Vorgänge in Deutschland erhärten, wäre das ein schwerwiegender Verfassungsbruch und müsste strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk Kultur am 10. Oktober 2022 um 18:30 Uhr.