Marsalek-Vertrauter Österreich fahndet offenbar nach Ex-Geheimdienstler
Ex-Geheimdienstler Weiss aus Österreich war ein Vertrauter des Wirecard-Managers Marsalek. Er soll ihm bei dessen Flucht geholfen haben. Nun soll die österreichische Justiz nach Weiss fahnden. Es geht um Spionagevorwürfe.
Martin Weiss war ein mächtiger Mann in Österreichs Sicherheitsapparat. Seit den 1990er-Jahren arbeitete er im Staatsschutz, vor allem in der Terrorismusabwehr. Im damaligen österreichischen Inlandsgeheimdienst, dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), stieg Weiss bis zum Abteilungsleiter auf. Er war ein Mann mit vielen Kontakten und einer beachtlichen Karriere. Jetzt aber wird Weiss offenbar selbst von der österreichischen Justiz gesucht.
Nach Recherchen von WDR, NDR, Süddeutscher Zeitung und dem österreichischen Magazin profil fahndet die Staatsanwaltschaft Wien offenbar mittlerweile mit einem internationalen Haftbefehl nach dem früheren Geheimdienstmann. Der Vorwurf lautet demnach: Verdacht der geheimdienstlichen Agententätigkeit zum Nachteil der Republik Österreich sowie Amtsmissbrauch.
Weiss soll dienstliche Informationen, unter anderem aus behördlichen Datenbanken beschafft haben, und zwar für Jan Marsalek, den flüchtigen Wirecard-Manager und mutmaßlichen Agenten im Dienste Russlands. Die zuständige Staatsanwaltschaft in Wien wollte sich auf profil-Anfrage nicht zu einem internationalen Haftbefehl äußern.
Weiss selbst hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe stets zurückgewiesen, wonach er Marsalek auf illegale Weise bei dessen Flucht geholfen oder davon gewusst haben soll. Eine Anfrage zu Vorwürfen der Spionagetätigkeit und des Amtsmissbrauchs beantwortete sein Anwalt nicht.
Private Daten abgefragt
Marsalek und der österreichische Verfassungsschützer sollen sich vor rund zehn Jahren kennengelernt haben. Kurz danach soll Weiss damit begonnen haben, in Datenbanken persönliche Informationen abfragen zu lassen. Das soll der ehemalige Vorgesetzte über seinen langjährigen Bekannten und Kollegen Egisto O. getan haben. Dazu zählten Wohnanschriften, Kfz-Kennzeichen, Reise- oder Passdaten von russischen Dissidenten, allerlei Geschäftsleuten, Diplomaten und Spionen.
Gegen Egisto O. gibt es deshalb bereits seit Jahren Spionagevorwürfe, die er stets von sich weist. Die Staatsanwaltschaft Wien ermittelt unter anderem wegen Amtsmissbrauchs gegen ihn, zeitweise saß O. auch in Untersuchungshaft. Er soll zum Beispiel Diensthandys von Beamten an den russischen Nachrichtendienst weitergeleitet haben. O. selbst hat die verschiedenen Vorwürfe stets zurückgewiesen - so wie auch jene, um die es in einem aktuellen Prozess in Wien geht: O. soll im Auftrag eines österreichischen Politikers versucht haben, über einen Beamten Informationen zu Teilnehmern eines Treffens europäischer Nachrichtendienste zu bekommen.
Abfragen offenbar ohne dienstlichen Grund
Die österreichischen Ermittler sehen die Rollen von Weiss und O. ziemlich kritisch: Sie gehen davon aus, dass die damaligen Abfragen keinen dienstlichen Grund hatten, und letztendlich im Auftrag von Marsalek erfolgten. Möglicherweise, um sie an russische staatliche Stellen weiterzugeben. O. soll dafür bezahlt worden sein, und zwar von Weiss.
Weiss schied 2018 aus dem österreichischen BVT aus und wurde anschließend Berater der IMS Capital, einer inzwischen insolventen Firma in München. Auch in dieser Zeit sollen im BVT Abfragen in Datenbanken erfolgt sein, mutmaßlich getätigt von Egisto O. Die Ermittler in Österreich gehen davon aus, dass Weiss auch nach seinem Ausscheiden seine Kontakte in die Sicherheitsbehörden genutzt hat, um für Marsalek Informationen zu beschaffen.
Bitte um Hilfe
Als Marsalek im Juni 2020, als der Finanzdienstleister Wirecard gerade zusammenbrach, verschwinden wollte, wandte er sich an Weiss. Es kam zu einem Treffen in einem italienischen Restaurant in München. Marsalek, so berichtete es Weiss später, habe ihm gesagt, er sei von Wirecard beauftragt worden, nach den angeblich verschwundenen Geldern auf den Philippinen zu suchen und müsse daher nun dringend reisen. Er habe Weiss um Hilfe gebeten.
Der Ex-Geheimdienstler organisierte daraufhin einen Charterflug vom kleinen Flughafen im österreichischen Bad Vöslau. Allerdings führte die Reise wohl nicht nach Südostasien, sondern zunächst nach Minsk und dann mutmaßlich weiter nach Russland. Dort soll sich Marsalek bis heute aufhalten.
Weiss wurde im Frühjahr 2021 wegen seiner Kontakte zu Marsalek und der mutmaßlichen Fluchthilfe in Österreich festgenommen, befragt, aber kurz darauf wieder freigelassen. Er soll damals zugesichert haben, für weitere Fragen jederzeit zur Verfügung zu stehen. Bereits da bestritt er, gewusst zu haben, dass sich Marsalek habe absetzen wollen. Tatsächlich war erst drei Tage nach dessen Flucht ein Haftbefehl gegen den Ex-Wirecard-Vorstand ausgestellt worden.
Aussage in München
Weiss blieb anschließend nicht in Österreich, sondern zog nach Dubai, wo er einen neuen Job als Sicherheitsberater eines dort ansässigen Unternehmens antrat. Mitte Juni 2022 hatte die Wiener Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen Weiss eingestellt.
Was man in Österreich zu diesem Zeitpunkt wohl nicht wusste: Der Ex-Geheimdienstler war im April 2022 nach Deutschland gereist und hatte sich dort gegenüber der Staatsanwaltschaft München auch zu seiner mutmaßlichen Fluchthilfe für Marsalek und nachfolgenden Kontakten zu dem flüchtigen Wirecard-Manager eingelassen. Die deutschen Ermittler ließen ihre österreichischen Kollegen darüber zunächst im Dunkeln. Weiss kehrte nach Dubai zurück.
Im Auftrag Russlands
Dass es sich bei Marsalek tatsächlich um einen Agenten im Auftrag Russlands handeln könnte, darauf deuten immer mehr Hinweise hin. In Großbritannien geht die Staatsanwaltschaft sogar eindeutig davon aus. In der Anklage zu einem aktuell in London laufenden Prozess wird mehreren Bulgaren vorgeworfen, dass sie zwischen August 2020 und Februar 2023 zusammen mit Marsalek Informationen zugunsten Russlands gesammelt haben sollen.
Der ehemalige Wiredcard-Manager, der in der Anklage konkret als "Agent" bezeichnet wird, habe dabei als Mittler zwischen russischen Geheimdiensten und den operativ tätigen Bulgaren agiert, wie die Staatsanwaltschaft zum Prozessauftakt Ende November erklärte. In dem Prozess geht es vor allem um die Auswertung von 78.747 Chatnachrichten, die Marsalek mit dem Bulgaren Orlin Roussev ausgetauscht hat. Im Zuge der Festnahmen der Bulgaren stellten die britischen Behörden umfassend technische Geräte sicher, zum Beispiel 221 Mobiltelefone, 258 Festplatten und elf Drohnen.
Im Auftrag Marsaleks sollen die Bulgaren Investigativjournalisten wie Christo Grozev und Roman Dobrochotow ausgespäht haben. In den Chats sollen auch Entführungs- oder Tötungspläne diskutiert worden sein. Der Gerichtsprozess konzentriert sich zudem auf eine Operation gegen die kasachische Botschaft in London sowie auf den Ausspähversuch von Ukrainern, die auf einer US-Militärbasis bei Stuttgart trainiert wurden. Mehrere Bulgaren, darunter Roussev, haben bereits gestanden. Weitere drei stehen nun vor Gericht.