Der Aktenordner des Bundestagsabgeordneten de Masi (Die Linke) mit Fahndungsfotos des früheren Wirecard-Finanzvorstands Jan Marsalek ist im Sitzungssaal zum Bilanzskandal Wirecard im Paul-Löbe-Haus zu sehen.
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Österreich Geheimdienste in Erklärungsnot

Stand: 24.06.2022 09:23 Uhr

Lange erschütterten Skandale den österreichischen Geheimdienst BVT. Ende 2021 trat eine neue Behörde an dessen Stelle. Auch um die könnte es jetzt Ärger geben, wegen des flüchtigen Ex-Wirecard-Vorstands Marsalek.

Von Arne Meyer-Fünffinger und Josef Streule, BR

Korruptionsvorwürfe, Vetternwirtschaft, undichte Stellen - jahrelang sorgte der österreichische Geheimdienst BVT für Negativschlagzeilen. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Kontakte ehemaliger Mitarbeiter des BVT zum Ex-Vorstand von Wirecard, Jan Marsalek. Darüber sollen Informationen abgeflossen sein. In Wien ermittelt deshalb die Staatsanwaltschaft.

Auch international hatte sich das BVT ins Abseits befördert. Im Dezember 2021 zog die österreichische Politik daher Konsequenzen: An die Stelle des BVT trat eine neue Behörde, die Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN). Doch wie vertrauenswürdig ist diese?

Millionenauftrag für Marsalek-Geschäftspartner

Nach Informationen von BR Recherche hat die österreichische Regierung für die DSN die Informationstechnik neu aufgestellt, ein hochsensibler und sicherheitsrelevanter Bereich. Dafür wurden im August 2021 zwei Aufträge vergeben: Die in Wien ansässige msg Plaut Austria GmbH sollte Leistungen beim "Projektcontrolling für ITK-Hochsicherheitsnetzwerke" erbringen. Volumen des Auftrags: Fast 190.000 Euro. Die RISE GmbH aus Schwechat nahe Wien erhielt den Zuschlag für Aufbau und Betrieb von Hochsicherheitsnetzen mit einem Auftragswert von rund 1,4 Millionen Euro.

Pikant: Das Führungspersonal beider Firmen pflegte jahrelang enge geschäftliche Beziehungen mit Wirecard, überwiegend direkt über den untergetauchten Marsalek. Warum wurden die beiden Firmen trotzdem beauftragt? Zumal im August 2021 längst bekannt war: Marsalek verfügte über enge Kontakte zu russischen Sicherheitskreisen und setzte sich wahrscheinlich in Richtung Moskau ab.

Russland-Dossiers für Wirecard

Eine zentrale Rolle in einer der Firmen spielt Wolfgang G., ein Duz-Freund von Marsalek. G. war bis 2007 stellvertretender Kabinettschef im österreichischen Bundesinnenministerium. Später gründete er die Unternehmensberatung Repuco. Die Firma lieferte Marsalek ab März 2016 über Jahre regelmäßig eine "strategische Marktanalyse Russland" - für zunächst 7000 Euro pro Monat. Wirecard bezahlte die entsprechenden Rechnungen. Man verfüge in Russland über „besonders langfristige Beziehungen zu vielen Entscheidungsträgern“, schreibt G. im September 2015 in einer E-Mail an Marsalek. G. war auch bei mehreren Treffen in München dabei, als der damalige Wirecard-Vorstand Marsalek mit Gesprächspartnern über Flüchtlingsprojekte in Libyen diskutierte.

Im Juli 2021, unmittelbar vor der Vergabe des Ministeriums-Auftrags, wurde Wolfgang G.s Firma Repuco Teil der msg Plaut Austria GmbH. G. blieb an Bord, als "Mitglied des Managementteams", so steht es in einer Presseerklärung. Dass G. jahrelang in Verbindung mit Marsalek stand, wurde spätestens im Juni 2021 durch den Wirecard-Untersuchungsausschuss im deutschen Bundestag öffentlich.

Trotzdem beauftragte das österreichische Innenministerium kurz darauf die Firma msg Plaut Austria. Für David Stögmüller, Abgeordneter der Grünen im Österreichischen Nationalrat, "ein riesengroßes Problem": "Marsalek steht in Kontakt mit Russland, mit Geheimdiensten in Russland und hier jemanden für den Aufbau dieser heiklen Infrastruktur in einem österreichischen Geheimdienst zu engagieren, der im Sold von Marsalek gestanden ist, das ist einfach unfassbar und gehört unbedingt aufgeklärt."

Das verantwortliche österreichische Innenministerium will sich zu dem Vorgang mit Verweis auf "ein laufendes Ermittlungsverfahren" bei der Causa Wirecard nicht äußern. Wolfgang G. lässt auf BR-Anfrage über einen Anwalt mitteilen, er sei seit Ende März 2022 nicht mehr Geschäftsführer von Repuco, weshalb er schon aus diesem Grund keine Erklärungen für die Firma abgeben könne.

Die Firma msg Plaut Austria betont, "dass wir in keinem unserer Projekte und bei keinem unserer Kunden Zugang zu Informationen haben, der (…) Auswirkungen auf die nationale Sicherheit Österreichs haben könnte".

Verbindungen zu russischer Rüstungsindustrie

Auch die RISE GmbH, ebenfalls seit August 2021 für Österreichs neuen Geheimdienst DSN tätig, kooperierte eng mit Wirecard. Thomas G., der Geschäftsführer von RISE, tauschte sich dabei häufig direkt mit Marsalek aus. Dies belegen fast 300 E-Mails, die BR Recherche vorliegen. Ein Projekt fällt dabei besonders auf: Ab Mitte 2016 wollte RISE gemeinsam mit Wirecard den Auftrag für ein Ticket-und Abrechnungssystem für den öffentlichen Nahverkehr in Sankt Petersburg gewinnen. Die Partnerfirma auf russischer Seite, mit der sich ein reger E-Mail-Verkehr entwickelte, heißt Skytech.

Bei Skytech handele es sich "de facto um ein Schwester-Unternehmen von Rostec", schrieb Marsalek im November 2015 an den Wirecard-Chefbuchhalter. Rostec, Russlands größter Rüstungskonzern, ist seit der Krim-Annexion 2014 mit Sanktionen belegt. Den damaligen Chefbuchhalter von Wirecard hatte stutzig gemacht, dass es sich bei dem Firmensitz von Skytech in der russischen Kleinstadt Dimitrovgrad um eine Disko handelt: "Die ist noch nicht einmal besonders gut. Haben wir hier Sicherheiten?", fragte er bei Marsalek nach.   

Skytech wurde im Frühjahr 2015 nach BR-Recherchen von Strohleuten gegründet - wohl mit dem Ziel, US-Sanktionen gegen Rostec zu umgehen. Diesen Schluss legen zahlreiche Dokumente nahe. Demnach lag Wirecard im April 2015 ein unterschriftsreifer Vertrag über den Verkauf von Software an eine russische Firma namens NIRS vor. Die Software sollte Russland beim Aufbau eigener Zahlungssysteme für die Luftfahrt-Branche helfen, auf Betreiben Marsaleks. An NIRS war eine Tochter von Rostec beteiligt. Marsalek ließ daher die "Sanktionssituation" nochmals prüfen. Die Folge: Wirecard verkaufte Ende 2015 die Software für rund vier Millionen Euro nicht an NIRS und somit an Rostec, sondern an Skytech.

Kannte das österreichische IT-Unternehmen RISE diese Verbindungen, als es mit Skytech kooperierte? Auf BR-Anfrage teilte RISE mit: "Die von Ihnen angeführten Hintergründe waren uns bisher nicht bekannt." Insgesamt erzielte RISE mit Projekten für Wirecard von 2014 bis 2017 nach eigenen Angaben einen Umsatz von 1,3 Millionen Euro. Die Software-Firma setzte das Innenministerium in Wien darüber im Vorfeld der Aufträge für den neuen Geheimdienst nicht in Kenntnis, so RISE auf Anfrage: "Es gab keine Information, die zu berichten gewesen wären."

Kein Kommentar vom Bundesinnenministerium in Wien

Ob das österreichische Innenministerium von den Projekten wusste, ist unklar: Konkrete Fragen zu den Verbindungen von RISE zu Wirecard beantwortet das Ministerium nicht. David Stögmüller von den österreichischen Grünen fordert jetzt Aufklärung: "Wenn diese Firmen engagiert worden sind, müssen die einem Background-Check unterliegen. Mich verwundert es sehr, dass der Geheimdienst das wohl nicht getan hat oder geklärt hat, oder, das ist die Alternative, ganz bewusst eingegangen ist."

Irritiert ist auch der Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz, Vorsitzender des für die deutschen Nachrichtendienste zuständigen Parlamentarischen Kontrollgremiums. Er reagierte mit Unverständnis auf das österreichische Vorgehen: "Es hat in den letzten Jahren immer wieder Fragezeichen gegeben hinter den Dingen, die in Österreich gelaufen sind, insofern gibt es da bedauerlicherweise offensichtlich Kontinuitäten. Wenn der Neuanfang glücken soll, dann darf es eben genau solche Kontinuitäten nicht geben", so der Grünen-Abgeordnete.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 24. Juni 2022 um 06:20 Uhr, 07:41 Uhr und 09:20 Uhr.