Wirecard-Skandal Einblicke in Marsaleks Welt
Ex-Wirecard-Manager Marsalek ist vermutlich in Russland untergetaucht. Geholfen hat ihm dabei wohl der frühere Verfassungsschützer Weiss - den Vorwurf der Fluchthilfe weist er jedoch zurück.
Seit fast zwei Jahren fehlt von Jan Marsalek jede Spur: Am Abend des 19. Juni 2020 hat sich der frühere Wirecard-Vorstand aus dem Staub gemacht - per Flugzeug vom österreichischen Kleinflughafen Bad Vöslau aus in Richtung Minsk. Bis heute ist unklar, wo Marsalek am Ende untergetaucht ist.
Einer, der Marsalek dabei unterstützt hat, ist Martin Weiss. Der heute 58-Jährige arbeitete bis zum Frühjahr 2018 für den mittlerweile aufgelösten österreichischen Verfassungsschutz BVT. Nach eigener Darstellung schied er aus gesundheitlichen Gründen aus. Danach war er bei einer inzwischen liquidierten Firma namens "IMS Capital" in München tätig. Ein Duz-Freund Marsaleks führte dort die Geschäfte.
Exklusives Treffen in Dubai
Weiss hat nach mehreren Monaten Bedenkzeit einem Treffen mit Reportern des Bayerischen Rundfunks und der "Welt am Sonntag" in seiner neuen Heimat Dubai zugestimmt. In der Millionen-Metropole in den Vereinigten Arabischen Emiraten hat er bei einem Finanzunternehmen einen neuen Job gefunden. Es ist sein erstes Interview.
Anfang April sitzt der frühere Nachrichtendienst-Mann im 33. Stock eines Hotels, dem Treffpunkt. Er trägt Jeans und ein hellblaues Hemd, in das seine Initialen eingestickt sind. Der hagere Mann klingt nicht nur abgekämpft, er sieht wegen der dunklen Augenringe auch so aus.
Kontakt zu Marsalek noch nach seinem Verschwinden
Weiss und Marsalek kennen sich seit 2015. Sie duzen sich, beide verbindet ein "freundschaftliches Verhältnis". Marsalek sei ein Mensch, mit dem man über alle Themen reden könne, "in vielen Sprachen", erinnert sich Weiss im Interview mit report München. Das klingt noch immer nach Bewunderung und nicht nach Groll: "Wenn Sie eine Ehe eingehen, da wissen Sie auch nicht am Ende des Tages, ob sie gut geht oder nicht." Für die Ermittlungsbehörden in Deutschland und in Österreich ist er eine Schlüsselfigur, um Licht in das rätselhafte Verschwinden des ehemaligen Wirecard-Vorstands zu bringen.
Tatsächlich hat Marsalek den Schilderungen von Weiss zufolge noch nach seinem Untertauchen Kontakt zu ihm gesucht. Meist habe Marsalek ihn über verschlüsselte Messenger-Dienste angeschrieben, "und ich habe ihn dann zurückgerufen, auf einer sicheren Leitung".
"Es ging immer darum, wie er mir helfen könne"
Ende Januar 2021 ließ die Wiener Staatsanwaltschaft Weiss festnehmen und verhören, im Anschluss daran musste er für längere Zeit ins Krankenhaus. Danach habe sich Marsalek noch einmal gemeldet, berichtet Weiss. Im Frühjahr 2021 sei das gewesen, also mehr als ein halbes Jahr nach seinem Verschwinden.
Nach seinem Aufenthaltsort und seinen Plänen will Weiss den früheren Wirecard-Vorstand nicht gefragt haben. Stattdessen habe der sich um ihn gesorgt: "Wie geht's dir jetzt? Kommst du über die Runden?" Weiter sagt Weiss: "Es ging immer darum, wie er mir helfen könne." Nachprüfen lassen sich diese Angaben nicht, da Weiss sämtliche Kommunikation mit Marsalek gelöscht haben will. Außerdem sei die Staatsanwaltschaft im Besitz der Handys, über die die Kommunikation gelaufen sein soll.
Weiss half Marsalek bei der Ausreise
Im Interview mit BR und "WamS" schildert Weiss auch die letzten Stunden vor Marsaleks Ausreise aus der EU: Am 18. Juni 2020 bat der Manager Vertraute demnach in ein italienisches Restaurant in der Münchener Innenstadt, darunter Weiss. "Da hat er uns gesagt, dass er von Wirecard beurlaubt wurde und dass der Aufsichtsrat ihn gebeten hätte, jetzt Nachforschungen zu machen."
Marsalek habe ihm erklärt, dazu über Minsk auf die Philippinen zu reisen. Deswegen habe er ihn um die Organisation eines Fluges gebeten. "Er hat mir seinen Reisepass gegeben, ich habe diese Unterlagen nach Österreich geschickt, mit der Bitte, dass man ein Flugzeug organisiert. Ich habe mir im ersten Ansatz gar nichts gedacht, es gar nicht irgendwie als verwerflich empfunden", erklärt Weiss.
Weiss organisiert den Flug nicht selbst, er delegiert die Aufgabe an einen früheren FPÖ-Politiker. Marsalek hebt schließlich mit dem Privatflieger von Bad Vöslau aus ab. Den von den Ermittlungsbehörden in Wien und München erhobenen Vorwurf der Fluchthilfe weist Weiss zurück: Marsalek sei offiziell und angemeldet ausgereist.
Haftbefehl erst drei Tage nach der Flucht
Auf Anfrage von BR und "WamS" bestätigt die Staatsanwaltschaft München, dass vor dem 22. Juni 2020 Marsalek nicht unter dringendem Tatverdacht gestanden habe. Auch ein Haftbefehl lag damals nicht vor. Diesen habe die Behörde erst am Morgen des 22. Juni beantragt.
Zu diesem Zeitpunkt sei aufgrund einer Wirecard-ad hoc-Mitteilung klar gewesen, dass es 1,9 Milliarden Euro, die auf philippinischen Treuhandkonten liegen sollten, nicht gegeben habe.
Für den parlamentarischen Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Florian Toncar, ist am Ende entscheidend, was Weiss über die Motive des Flüchtenden und über die kriminellen Taten, die dieser möglicherweise begangen hat, wusste. Der FDP-Politiker war in der vergangenen Legislaturperiode Mitglied im Wirecard-Untersuchungsausschuss.
Wo ist Marsalek?
Wo ist Marsalek heute? Seinen Aufenthaltsort kennt Weiss nicht, erklärt er im Interview in Dubai: "Ich habe auch keine Vermutung, habe ihn nicht danach gefragt." Bruno Kahl, Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND), hatte am 7. Mai 2021 als Zeuge im Wirecard-Untersuchungsausschuss hinter verschlossenen Türen gesagt: "Es liegen glaubwürdige Hinweise dafür vor, dass Herr Marsalek in Moskau ist."
Jüngste Medienberichte, wonach der russische Geheimdienst FSB dem BND ein Treffen mit Marsalek in Aussicht gestellt haben soll, sind nach Recherchen von BR und "WamS" so nicht zutreffend.
In Sicherheitskreisen heißt es, dass lediglich ein Kontaktmann mit angeblichen Verbindungen zum FSB in Moskau dem BND ein Treffen mit Marsalek angeboten habe. Die wiederholt vorgetragene Offerte sei schließlich als unseriös eingestuft worden. Um ein offizielles FSB-Angebot habe es sich nicht gehandelt. FDP-Politiker Toncar vermutet: "Je länger der Aufenthalt in Russland andauert, desto wahrscheinlicher wird aus meiner Sicht die These, dass dort kein Interesse da ist, dass er ausreisen darf."