"Sächsische Separatisten" Wie der Anführer die Terrorgruppe finanzieren wollte
Mehrere Männer sollen in Sachsen eine rechtsterroristische Vereinigung gegründet haben. Nun zeigen MDR-Recherchen: Der mutmaßliche Rädelsführer soll nicht nur mit Waffenteilen gehandelt haben - er scheint auch überzeugter Nationalsozialist zu sein.
Seit Anfang November weiß die Öffentlichkeit von der Existenz der sogenannten "Sächsischen Separatisten". Die Gruppe, bestehend aus 15 bis 20 Personen, soll sich laut Bundesanwaltschaft zu einer rechtsterroristischen Vereinigung zusammengeschlossen haben, um "mit Waffengewalt Gebiete in Sachsen zu erobern und mit Waffengewalt einen NS-Staat zu errichten", wie eine Behördensprecherin der tagesschau am Tag der Festnahme erklärte.
MDR Investigativ konnte nun Einsicht in vertrauliche Unterlagen nehmen. Sie zeigen erstmals das Ausmaß der Vorwürfe gegen den als Rädelsführer beschuldigten Jörg S. Demnach halten Behörden ihn nicht nur für einen Waffennarr, sondern auch für einen bekennenden Nationalsozialisten. Der 23-Jährige wurde in Sachsen geboren und ist der Sohn des 1995 wegen "nationalsozialistischer Wiederbetätigung" zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilten österreichischen Neonazis Hans-Jörg S. jun.
Schalldämpfer, Magazine und schusssichere Westen
Jörg S. soll nicht nur mit NS-Devotionalien, sondern auch mit Militärausrüstung gehandelt und dafür nicht nur Ebay-Kleinanzeigen, sondern auch einen Telegram-Kanal namens "Völkischer Flohmarkt" verwendet haben. Zuerst hatte die "Welt" darüber berichtet.
Zwei mutmaßliche Geschäfte des Beschuldigten sind den Ermittlern nach MDR-Informationen dabei besonders aufgefallen. Im Oktober 2023 soll S. zusammen mit seiner polnischen Freundin einen Schalldämpfer aus Polen erhalten und nach Österreich weiterverkauft haben.
Nur wenige Wochen später soll S. am Handel mit schusssicheren Westen für den militärischen Gebrauch, sogenannte militärische Plattenträger, beteiligt gewesen sein. Die Ermittler schätzen ihren Wert auf rund 50.000 Euro.
Zugang zu scharfen Waffen
Unklar ist, ob das Geschäft abgeschlossen wurde - und ob S. seine Aktivitäten möglicherweise sogar ausgeweitet hat. So soll er geplant haben, in Polen ein Lager für Schalldämpfer und Magazine für Maschinengewehre einzurichten. Einem weiteren Beschuldigten gegenüber soll S. von der Möglichkeit berichtet haben, 100 Stück der Magazine von einer polnischen Quelle kaufen zu können.
All das bringt die Ermittlungsbehörden zu der Einschätzung, dass S. Zugang zu scharfen Waffen hatte und für den "Ernstfall" sicherstellen wollte.
Die Unterlagen erhärten außerdem den Verdacht, dass Jörg S. in verschiedenen Chatgruppen auf dem Messengerdienst Telegram seine Gesinnung offen äußerte - darunter ein privater Kanal namens "NSB chat". "NSB" kurz für "National Socialist Brotherhood" - auf Deutsch etwa "nationalsozialistische Bruderschaft". Die Chatgruppe sollte offenbar der internationalen Vernetzung von Anführern rechtsextremer "Zellen" dienen. Inwiefern hinter jedem Mitglied auch eine aktive "Zelle" steckt, ist unklar.
Nationalsozialismus als "Lebenseinstellung"
Noch vor seiner Aufnahme in den "NSB Chat" wurde er von einem anderen Mitglied der Telegram-Gruppe offenbar auf seine Eignung geprüft. Nach seiner ideologischen Orientierung gefragt soll S. geantwortet haben, er sei Nationalsozialist, und ergänzt haben, das sei keine Ideologie, sondern eine Lebenseinstellung, die auf Verbundenheit zu einem Volk, einer Rasse und Ahnen basiere.
Nach Erkenntnissen der Ermittler soll Jörg S. zudem Mitglied des NSB-Ablegers "Deutsch Völkische Front" gewesen sein. Darin sollten sich vorrangig deutsche "Zellenleiter" miteinander vernetzen. In zugehörigen Chat-Gruppen soll S. auffällig aktiv gewesen sein und sich über militärische Ausrüstung und rechtsextreme Schriften ausgetauscht haben.
An einer Stelle unterhalten sich einzelne Mitglieder darüber, ob sie vom Konflikt zwischen der Ukraine und Russland betroffen seien, woraufhin Jörg S. geantwortet habe, dass Deutschland irgendwann das Gas abgestellt werden könnte. Dies kommentiert ein anderer Nutzer mit: "Hoffentlich bleibt genug Gas für die Juden übrig". Jörg S. habe darauf mit "LMAO" erwidert, der umgangssprachlichen Abkürzung für "Ich lach mich schlapp".
Sorge vor den Behörden
S. habe außerdem nicht nur Zustimmung für einen "White Jihad" geäußert, sondern seine Ansichten zu geeigneten Organisationsformen für Rechtsterrorismus geteilt. Mit Bezug auf die "Atomwaffen Division" soll er beispielsweise geschrieben haben, bei zu großer medialer Aufmerksamkeit würden Gruppen schnell ins Visier der Behörden geraten, weshalb "Zellen" oder "Einsame-Wolf-Taktiken" besser seien, um staatliche Repression zu unterlaufen.
Insgesamt gehen die Ermittler basierend auf den Unterlagen davon aus, dass S. für das Netzwerk als Mentor und Berater insbesondere im Hinblick auf militärisches Equipment und die Beschaffung von Ausrüstung fungierte. In den Chats habe er auch zu einzelnen Waffentypen gefachsimpelt.
Jörg S. soll anderen Chat-Mitgliedern des "NSB Chat" zudem reale Treffen vorgeschlagen haben, zum Beispiel eine Art "Camp" in Kroatien, auf dem trainiert und "über das Wichtige persönlich" gesprochen werden könne. Ob es tatsächlich zu diesem Camp kam, ist nicht bekannt. Bekannt ist den Ermittlern jedoch, dass einige der mutmaßlichen Mitglieder der "Sächsischen Separatisten" wenige Monate später eine Reise nach Kroatien antraten.
Üben bei "Nacht- und Gewaltmärschen"
Zu den "Sächsischen Separatisten" zählen die Ermittler neben Jörg S. und dessen Brüdern noch etwa 15 weitere Personen. Ein Teil von ihnen habe sich wiederholt in einem Wald nahe Brandis getroffen. Das legen verschiedene Fotos aus einer weiteren Chatgruppe nahe. Zu sehen: Personen in militärischer Ausrüstung. Mit dieser sollen sie in dem Wald unter anderem "Nacht- und Gewaltmärsche" geübt und mit Airsoftwaffen auf einem alten Flugplatz für den Häuserkampf trainiert haben. Die Ermittler sehen darin Belege für "paramilitärische Trainings", mit denen sich die Gruppe auf einen "Tag X" vorbereiten wollte.
Für Übungen mit scharfen Waffen wich ein Teil der Gruppe den Erkenntnissen der Ermittler zufolge wohl ins Ausland aus: Ein Schießtraining fand offenbar in Tschechien statt, mindestens ein weiteres sei in Polen geplant gewesen.
Polnisches Gericht stimmt Überstellung nach Deutschland zu
Anders als die übrigen Beschuldigten war Jörg S. nicht in Deutschland, sondern in Polen verhaftet worden. Über seine Auslieferung nach Deutschland muss ein polnisches Gericht entscheiden. MDR-Informationen zufolge hat das Gericht die Überstellung kürzlich bestätigt.
Jörg S. wird vom rechtsextremen Szeneanwalt Martin Kohlmann vertreten. Dieser ließ Anfragen zu den Vorwürfen unbeantwortet. Nach der Festnahme seines Mandanten hatte Kohlmann erklärt, bei der Gruppierung handele es sich um einen losen Freundeskreis, der sich gelegentlich zum Wandern und zum Paintball-Spielen getroffen habe.
Die Ermittler glauben nicht daran. An welchen Vorbildern sich Jörg S. stattdessen orientiert haben könnte, zeigt ein weiterer Post in dem Chat mit seinen Freunden aus Brandis. S. soll darin Fotos zweier Opfer eines rechtsextremen Anschlags geteilt haben. In Bratislava hatte ein Rechtsextremist sie 2022 bei einem Anschlag in einer queerfreundlichen Bar erschossen. Auch das Manifest des Täters habe Jörg S. gepostet. Ein weiteres Gruppenmitglied kommentiert den Post mit einem Meme. Darauf zu sehen: Ein lachender Heinrich Himmler.