Kampfsport Wie sich Rechtsextreme in "Active Clubs" organisieren
Sie gehen wandern und kämpfen. Sie trainieren für Überfälle und einen Umsturz. "Active Clubs" sind eine relativ neue Organisationsform von Rechtsextremisten. Dahinter stehen oft Aktivisten mit jahrelanger Szene-Erfahrung.
Im Oktober sorgte eine Razzia im Westerwald bundesweit für Schlagzeilen. Die Polizei löste in der sogenannten Fassfabrik in Hachenburg eine Kampfsportveranstaltung auf. Veranstalter war laut der Polizei die als rechtsextrem eingestufte Kleinpartei "Der III. Weg". Aus dem ganzen Bundesgebiet waren Teilnehmer angereist, die die Polizei teilweise dem rechtsextremen Spektrum zuordnet, auch aus Belgien und den Niederlanden.
In der rechtsextremen Szene sorgte die Razzia schnell für Unmut. Ein Tag nach der Polizeiaktion fällt auf Telegram ein kurzes Video auf: "Solidarität mit der Fassfabrik gegen Repressionen durch die Polizei". Zu sehen sind vier vermummte Personen, die brennende Bengalo-Fackeln in den Nachthimmel halten. Sie stehen hinter einem Banner, auf dem der Kopf von Otto von Bismarck mit Pickelhaube zu sehen ist. Daneben steht ein Zitat mit Kriegspropaganda des ehemaligen Reichskanzlers: "Wenn die Deutschen zusammenhalten, so schlagen sie den Teufel aus der Hölle". Dazu läuft Rechtsrock.
"Active Club Germania" gegen den "weißen Genozid"
Das Banner ist mit zwei Logos unterzeichnet: "Rheinlandbande" und "Freundeskreis Westerwald", kurz FKWW. Harmlos klingende Namen. Doch wer in dem Messengerdienst Telegram danach sucht, stößt schnell auf einen größeren Zusammenhang. So findet sich der FKWW als Punkt auf einer Deutschlandkarte in dem Telegramkanal "Active Club Germania".
Was es mit diesem neuen Schlagwort der politischen Rechten auf sich hat, hat die US-Politologin Jessa Mellea für den Berliner Thinktank CeMAS untersucht: "'Active Clubs' sind ein relativ neues Phänomen in der rechtsextremen Szene. Diese Gruppen organisieren sich um Kampfsport und Fitness herum, um einen angeblichen sogenannten weißen Genozid zu verhindern."
Die undatierte Karte des "Active Club Germania" stellt offenbar einen Überblick über vorhandene Gruppierungen dar: Zwischen Ostsee und Donau sind es 19 Punkte. Die Legende dazu nennt Namen wie "Active Club Taunus", "Active Club Leipzig" oder "Pforzheim-Revolte". Die Videos auf dem Kanal zeigen junge Männer beim Kampfsport, beim Wandern und beim Anbringen von Aufkleben mit rechten Inhalten: "Zecken Boxen", heißt es auf einem Aufkleber. Die Nähe dieser "Active Clubs" zu rechtsextremistischer Gesinnung drückt sich auch im Logo des Telegramkanals "Active Club Germania" aus, das ein Fahrtenmesser der Hitlerjugend abbildet.
"Freundeskreis Westerwald" und "Rheinlandbande"
"Wir interessieren uns vorrangig für Wanderungen und alle möglichen Sportarten, für Kultur und für das Wohlergehen Deutschlands", schreibt Melanie Dittmer auf Anfrage. Sie ist die sichtbarste Figur aus dem Freundeskreis Westerwald, der zusammen mit der Rheinlandbande das Solidaritätsvideo für die Fassfabrik veröffentlicht hat. Der FKWW bestehe seit 2018, schreibt Dittmer - "da gab es die sogenannten Active Clubs in Deutschland noch gar nicht." Dittmer selbst ist seit Jahrzehnten in der rechten und rechtsextremen Szene aktiv, war bei den Jungen Nationalisten und hat Islamfeindliche Demonstrationen organisiert.
Ihr Freundeskreis Westerwald zeigt auf Telegram eine große Nähe zur Rheinlandbande. Auch der geht es laut Selbstdarstellung um Gemeinschaft und Sport.
Ein Video, das eine Antifa-Gruppe namens "Antifaschistische Recherche Oberberg (Arob)" dem SWR überlässt, zeigt fünf junge Männer beim Besuch einer Burgruine. Einer von ihnen hält einen kurzen Vortrag über die Burg. Es soll Paul F. sein, ein 19-jähriger Handwerker aus der Gegend, so die Gruppe. Paul F. postet etliche Videos vergleichbarer Wanderungen. Und er postet Fotos, auf denen eine brennende Holzskulptur in Form eine Rune zu sehen ist.
Es sind Bilder, die auf einer Sonnwendfeier der Jungen Nationalisten entstanden sind, der Jugendorganisation der rechtsextremen Partei "Die Heimat", früher NPD. Paul F. ist auf einem Video eben dieser Sonnwendfeier zu sehen, dass die Antifa-Gruppe Recherche Nord dokumentiert hat - einschließlich der brennenden Rune.
Rekrutierung über Kampfsporttrainings
Wie funktioniert die Rekrutierung der "Active Clubs"? Die Gruppe "Active Clubs Germania" reagiert auf eine Nachfrage und verweist auf den "Active Club Taunus". Via Sprachnachricht werden die Daten übermittelt: "Das ist immer um halb neun - also recht spät - bis zehn, aber es gibt auch einen früheren Kurs um 18 Uhr. Das eine ist ein bisschen mehr Ringen, das andere ist ein bisschen mehr so klassisch Jiu-Jitsu."
Der Mann hinter der Sprachnachricht nutzt den Namen "Holmgangr". Recherchen in den sozialen Netzwerken und Fotovergleiche zeigen: Er trainiert in einem unauffälligen Kampfsportstudio im Taunus.
Wolf im Schafspelz?
Wenn der Mann mit dem Aliasnamen "Holmgangr" unter seinem echten Namen als scheinbar unpolitischer Sportler bei internationalen Wettkämpfen antritt, trägt er Kleidung, die seine Tattoos überdecken. Aber auf seinen Profilbildern auf einem Messengerdienst posiert er mit Sturmhaube, einer Gasmaske und mit dem Logo eines internationalen neonazistischen Netzwerks, der "Misanthropic Division". In seinen Nachrichten deutet nichts auf seine Gesinnung hin. Es gehe um Sport, Wandern, Zelten und politischen Aktivismus, schreibt Pascal W.
Für den Extremismus-Experten Alexander Ritzmann steckt genau dahinter die Strategie der "Active Clubs". "Gewalt orientierte Rechtsextreme trainieren, bereiten sich auf Gewalt vor, aber tun so, als würden sie nur Sport machen." Ritzmann arbeitet für die in den USA und Europa tätige Nicht-Regierungsorganisation "Counter Extremism Project", die sich mit extremistischen Strömungen weltweit befasst.
Seiner Einschätzung nach dienen die "Active Clubs" vor allem einem Ziel: ein Netzwerk von kampf- und gewaltbereiten Rechtsextremen aufzubauen. Laut Ritzmann werde sich erst noch zeigen, was die Rechtsextremen hinter der noch jungen "Active-Club"-Bewegung wirklich antreibt: "Bleibt es beim Faustkampf? Oder ist das eben vorgetäuscht, vorgeschoben und tatsächlich geht es um eine bewaffnete Miliz, eine bewaffnete Bürgerwehr."
Mehr zur SWR-Recherche "Rechtsextreme im Kampfsport - Trainieren für den Straßenkampf" gibt es hier.