Teure Energieverträge Wie die Unsicherheit der Kunden ausgenutzt wird
Sie geben am Telefon vor, Mitarbeiter des Energieversorgers zu sein und tricksen Kunden in teure Verträge. Laut Verbraucherschützern stieg die Zahl untergeschobener Verträge deutlich. Report Mainz zeigt, wie die Masche funktioniert.
Für Ludwig Krompaß aus dem bayerischen Burgkirchen an der Alz beginnt alles mit einem Telefonat. Der Anrufer habe sich als sein Energieversorger ausgegeben und ihm einen günstigeren Tarif anbieten wollen, erzählt er im Interview mit Report Mainz. Doch nach ein paar Wochen erhält er ein Kündigungsschreiben seines Energieversorgers. "Da waren wir ganz baff. Wir wollten nicht kündigen, das hatten wir nie im Sinn." Etwa zeitgleich mit dem Kündigungsschreiben kam ein neuer Vertrag, von einem anderen Anbieter. Der Rentner ist fassungslos. "Wir haben keine Unterschrift geleistet", sagt er. "Wir haben nicht mal gesagt, wir wollen das machen." Was ihm passiert ist, kein Einzelfall.
Bundesweit häufen sich die Beschwerden
Report Mainz hat bundesweit mit zahlreichen Betroffenen gesprochen. Sie erzählen von ungewollten Abmeldungen, unbestätigten Verträgen, extremen Preiserhöhungen und bewusster Täuschung. Die Verbraucherzentrale Bundesverband schreibt auf Anfrage, dass sich die Zahl der Beschwerden zu untergeschobenen Verträgen in diesem Jahr fast verdreifacht hat.
Auch die Bundesnetzagentur verzeichnet infolge der "jüngst stark gestiegenen Energiepreise" einen überproportionalen Anstieg bei den Beschwerden über unerlaubte Werbeanrufe zu Energieversorgungsprodukten. Bis Ende August seien allein hierzu etwa 10.000 schriftliche Beschwerden bei ihr eingegangen.
Khaled Touzri kennt diese Masche. Er selbst habe bis Ende vergangenen Jahres für einen Energieversorger gearbeitet, der mit dubiosen Mitteln ahnungslosen Kunden Energieverträge untergeschoben habe. "Irgendwann habe ich mir dann gedacht, das geht nicht mehr so weiter", sagt der Insider. Jetzt hilft der 40-Jährige gegen ein Entgelt, Betroffenen aus solchen Verträgen wieder herauszukommen. Unzählige Dokumente liegen bei ihm, Verträge von Tausenden Kunden.
Dabei dürften Energieverträge gar nicht mehr so einfach am Telefon abgeschlossen werden. Denn seit dem 27. Juli 2021 gilt für telefonische Vertragsabschlüsse die Textform. Das sieht die Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes vor. Allerdings reichen als Bestätigung des Vertrags der Name und ein einfaches "Ja" als Text - etwa per SMS. Touzri hält diese Regelung für viel zu lasch.
Das Gesetz wird schamlos umgangen
Ein Mitschnitt eines Anrufs, der Report Mainz zugespielt wurde, macht deutlich, wie schamlos manche Vermittler von Energielieferverträgen diese Regelung ausnutzen. In der halbstündigen Aufzeichnung ist zu hören, wie der Kunde mehrfach deutlich macht, dass er keinen Vertrag abschließen möchte. Und wie er trotzdem durch Täuschungsmethoden unwissentlich zum Abschluss eines Vertrags gedrängt wird.
Rechtsanwalt Marc Nörig kritisiert das Energiewirtschaftsgesetz im Interview mit Report Mainz. Er verhandelt mehrere solcher Fälle vor Gericht. "Ich finde es dreist, wie diese Energieunternehmen vorgehen. Es soll verhindert werden, dass der Kunde während des Telefonats nicht da in irgendeiner Weise überrumpelt wird, sondern sich Gedanken machen kann, ob er tatsächlich diesen Vertrag so schließen möchte", sagt Nörig.
Ähnlich sieht es Felix Methmann von der Verbraucherzentrale Bundesverband: "Wichtig ist, dass jetzt da nachgeschärft wird, wo die Probleme bestehen. Und die bestehen eben darin, dass viele Verbraucherinnen und Verbraucher einen Vertrag haben, den sie nicht haben wollen. Es darf nicht möglich sein, Verträge per SMS zu schließen."
Schärfere Sanktionen gefordert
Report Mainz hat zudem mit Betroffenen von untergeschobenen Energielieferverträgen gesprochen, die während des Anrufs keine Bestätigung per SMS oder Mail zurückschickten und trotzdem neue Energielieferverträge erhielten. In einem Fall stellte sich heraus, dass die Unterschrift der Betroffenen unter einem vermeintlichen Vertrag nachweislich gefälscht wurde. Das Unternehmen fordert dennoch weiter Geld von der 86-Jährigen. In einem anderen Fall erhielt die Verbraucherin kurze Zeit nach Abschluss des Vertrags eine deutliche Preiserhöhung. Ihr Widerspruch wurde ignoriert.
Die Bundesverbraucherzentrale bemängelt, dass seit Jahren eine Handvoll Unternehmen durch derart dubiose Geschäftspraktiken auffällt. Der Bundesnetzagentur seien diese bekannt. Doch es passiere viel zu wenig. Die Bundesnetzagentur müsse viel schneller tätig werden, fordert Methmann. "Da müssen schon ein paar 100 Beschwerden reichen über die gleiche Firma und über das gleiche Problem, dass dann schon reagiert wird."
Die Bundesnetzagentur entgegnet Report Mainz gegenüber, sie sei an gesetzliche Rahmenbedingungen gebunden. Aus einer Stellungnahme von 2019 geht hervor, dass auch sie schärfer gegen die Unternehmen vorgehen möchte. Damals schlug sie vor, sich bei der Festsetzung von Bußgeldern "an den wirtschaftlichen Verhältnissen" der Unternehmen orientieren zu dürfen. Der aktuelle Höchstsatz von 300.000 Euro stelle "gerade bei leistungsfähigen Unternehmen keine spürbare Sanktion dar".
Allerdings sei, "im Gesetz etwas anderes verankert worden. Wir arbeiten mit den rechtlichen Möglichkeiten, die wir zur Verfügung haben. Das tun wir. Und alles Weitere habe ich heute an dieser Stelle nicht zu kommentieren", so der Pressesprecher der Bundesnetzagentur, Fiete Wulff. Das Bundesjustizministerium, welches für die Novellierung des Gesetzes zuständig war, hat bislang auf Fragen des ARD-Politikmagazins nicht geantwortet.
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