FFP2-Schutzmasken werden in einer Produktionsstätte hergestellt.
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Masken-Affäre Korruptionsverdacht bei Emix-Deal

Stand: 14.06.2022 18:01 Uhr

Bei einem der teuersten Verträge des Bundesgesundheitsministeriums zur Maskenbestellung häufen sich die Ungereimtheiten. Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt - auch wegen des Verdachts einer möglichen Bestechung.

Am 22. April 2020 rechtfertigte der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) im Gesundheitsausschuss des Bundestages die Maskenbeschaffung seines Hauses zu Beginn der Pandemie. Einen Monat zuvor hatte der Bund ein so genanntes Open-House-Verfahren gestartet. Dabei konnte jeder Maskenhändler, der wollte, FFP2-Masken zum garantierten Abnahmepreis von 4,50 Euro an den Bund liefern.

Laut Spahn sei dies ein Preis gewesen, "der über dem üblichen Marktpreis gelegen habe". Laut dem nicht-öffentliche Wortprotokoll der Ausschusssitzung hat Spahn gesagt: "Die Lieferung von 100 Millionen FFP2-Masken sei bereits als Erfolg des Verfahrens zu werten, da damit das Gesundheitswesen in den nächsten Monaten gut versorgt wäre."

Nur wenige Stunden vor der Sitzung, am Abend des 21. April 2020, saß Jens Spahn an seinem iPad und las eine E-Mail seines Abteilungsleiters, der für die Masken-Beschaffung im Ministerium zuständig war. "Ich bitte um Zustimmung, 100 Millionen FFP2-Masken anzukaufen", schrieb er dem Minister. Um 20.52 Uhr antwortete Spahn an seinem iPad mit nur einem Wort: "Einverstanden".

Dieses "Einverstanden" löste eine Bestellung von mehr als einer halben Milliarde Euro aus. Denn bestellt wurde die enorme Menge bei Emix, der Firma von zwei Jungunternehmern in der Schweiz, zum Preis von 5,40 Euro pro Stück. Das Ministerium bestätigt heute: "Der damalige Minister hat das Angebot von Emix gebilligt."

Preisgestaltung wirft Fragen auf

Doch wie kam der Preis zustande? Während die Regierung im Jahr 2020 nach Berechnungen des Bundesrechnungshofes für eine FFP2-Maske im Schnitt 2,31 Euro ausgegeben hatte, bestellte Spahns Ministerium bei Emix die 100 Millionen Masken für mehr als den doppelten Preis. Der Preis ist auch deshalb verwunderlich, weil es zwei Wochen vorher noch in einer Emix-internen Chatgruppe hieß, die deutschen Ministerien würden nicht mehr als 4,50 Euro pro Maske bezahlen. Die Frage, warum das Gesundheitsministerium Ende April trotzdem noch einen derart hohen Preis bei Emix akzeptiert hatte, beantwortete das Ministerium nicht.

Ob der Bund zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch so dringend Masken brauchte, und dann noch zu diesem Preis, erscheint inzwischen fragwürdig. Das lag vor allem an den Open-House-Lieferanten. Ursprünglich hatte der Bund für diesen Beschaffungsweg mit Ausgaben von 500 Millionen Euro kalkuliert.

Doch weil schon die angebotenen 4,50 Euro pro Maske ein so attraktiver Preis waren, überfluteten die Händler den Bund förmlich mit Lieferzusagen. Das Ministerium verkürzte deshalb die Angebotsfrist auf den 8. April 2020. Doch bereits zu diesem Zeitpunkt hatte das Ministerium feste Lieferzusagen über 1,05 Milliarden FFP2-Masken erhalten zu Gesamtkosten von 4,7 Milliarden Euro. Ob alle diese Lieferanten am Ende auch tatsächlich liefern konnten, war nicht abzusehen - doch es gab auch eine Lieferfrist: den 30. April 2020. Wer bis zu diesem Datum seine Masken nicht abgeliefert hatte, bekam auch kein Geld.

Warum also haben Spahn und sein Ministerium nicht wenigstens diesen 30. April abgewartet, anstatt nur sechs Tage vorher, am 24. April, den sehr teuren Emix-Deal über weitere 100 Millionen FFP2-Masken zu unterzeichnen? Das inzwischen von Karl Lauterbach (SPD) geleitete Ministerium, beantwortet diese Frage nicht.

Emix will sich nicht äußern

Bereits vor einem Jahr kritisierte der Bundesrechnungshof den Maskengroßauftrag an Emix vom 24. April 2020, da "zu diesem Zeitpunkt die Liefermengen aus dem Open-House-Verfahren noch nicht abzuschätzen und auf den übrigen Beschaffungswegen bereits Verträge über mehr als 350 Millionen (FFP2-Masken) geschlossen waren."

Für Emix jedenfalls war der Deal ein Glücksfall. Die beiden Jungunternehmer sollen mit der Spahn-Bestellung vom 24. April und weiteren kleineren Bestellungen aus Spahns Ministerium einen Gewinn von rund 300 Millionen Euro gemacht haben - so jedenfalls die Berechnungen der Staatsanwaltschaft München. Emix bestreitet die Höhe des Gewinns, will sich zu den Verhandlungen mit dem Spahn-Ministerium und den Verträgen aber "grundsätzlich nicht äußern". Gegen Emix selbst wird in der Sache nicht ermittelt.

Staatsanwaltschaft prüft Schmiergeld-Verdacht

Doch nicht nur die Emix-Jungs profitierten: Andrea Tandler, Tochter des ehemaligen CSU-Generalsekretärs Gerold Tandler, die einen Kontakt zu Spahn gesucht hatte, kassierte für die Vermittlung zusammen mit ihrem Partner Darius N. insgesamt 48 Millionen Euro Provision von Emix. Haben die beiden das ganze Geld für sich behalten - oder haben sie möglicherweise jemanden Schmiergeld bezahlt, damit der Deal zustande kommt? Diesem Verdacht jedenfalls geht die Staatsanwaltschaft Berlin nach.

Die Münchner Polizei hatte in einem dort laufenden Verfahren wegen des Verdachts der Geldwäsche heimlich die Telefongespräche von Frau Tandler und ihrem Partner mitgehört. Als die beiden mal wieder über ihre millionenschwere Emix-Provision sprachen, soll Darius N. gesagt haben, man sei zu dritt in einem Boot. Doch wer soll dieser ominöse Dritte sein, fragen sich die Staatsanwälte heute? In einem anderen Telefonat soll Darius N. gesagt haben, wenn man alles summiere, habe man am Ende acht Millionen Euro. Auch diese Rechnung würde zur Existenz einer dritten Person passen: Denn wenn man davon ausgeht, dass bei 48 Millionen Euro Provision, die Hälfte für Steuern und Abgaben wegfällt und man die restliche Summe durch drei teilt, kommt man ebenfalls auf acht Millionen Euro.

Paar weist alle Vorwürfe zurück

Die CSU-Europaabgeordnete Monika Hohlmeier, die im Auftrag von Andrea Tandler den Kontakt zum Spahn-Ministerium hergestellt hat, beteuerte mehrfach, dass sie keinerlei finanzielle Vorteile aus der Vermittlung gezogen hat. Gegen sie wird auch nicht ermittelt. Doch wer könnte dann die dritte Person sein?

Tandler und N. weisen über Anwälte alle Vorwürfe entschieden zurück. In den Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft München hätte es keine Hinweise auf entsprechende Geldtransfers oder sonstige Sondervorteile z.B. an Mitarbeiter:innen des Bundesgesundheitsministeriums oder andere Amtsträger gegeben. Der Sprecher von Gesundheitsminister Lauterbach teilt mit, dass dem Haus "keine Hinweise" auf Bestechlichkeit vorliegen und man weder etwas von Rückvergütungen noch von anderen Kick-Backs wisse.

In der SPD-Fraktion gibt es mittlerweile gewichtige Stimmen, die die Emix-Angelegenheit aufklären wollen. "Wir werden uns ganz genau die Ergebnisse der Ermittlungsverfahren in Deutschland und auch in der Schweiz anschauen", sagt der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Fechner. Danach wolle die SPD "prüfen, ob auch auf Bundesebene ein Untersuchungsausschuss notwendig sein wird". Jedenfalls sei es "krass", wie viel Steuergeld "nahezu blind und zu völlig überhöhten Preisen" bei der Maskenbeschaffung ausgegeben. Hier seien "einige Dinge im Gesundheitsministerium schiefgelaufen".

Jens Spahn selbst lässt auf Anfrage von NDR, WDR und SZ ausrichten, "dass sich Ihre Fragen in ihrer Detailtiefe der Nachvollziehbarkeit bzw. Erinnerung entziehen". Außerdem habe er zu einigen der genannten Unterlagen keinen Zugang mehr.