Alice Weidel und Tino Chrupalla
analyse

Parteitag in Magdeburg Warum der AfD Katerstimmung droht

Stand: 28.07.2023 07:33 Uhr

Angesichts des Umfragehochs hätte die AfD beim heutigen Parteitag und der anschließenden Europawahlversammlung Grund zum Feiern. Doch Partystimmung kommt bisher nicht auf. Zu groß sind die Sorgen vor einem Desaster.

Von Martin Schmidt, ARD Berlin

Christina Brieskorn aus Schleswig-Holstein will für die AfD ins Europaparlament. Aus Neugierde, wie sie schreibt. Sie wolle die Erfahrung machen, "wie der Hase in Brüssel hoppelt". Auch das Finanzielle könne sie nicht außer Acht lassen, spielt sie auf die gute Bezahlung der EU-Parlamentarier an.

Sildi Celmeta aus Bayern dagegen sieht seine Motivation, sich um eine Kandidatur der AfD zu bewerben, darin, sich für ein Ende der "weltweiten Diskriminierung gegen das deutsche Volk" einzusetzen. Außerdem fordert er einen nicht näher beschriebenen "Friedensvertrag mit den USA".

Alles nachzulesen auf dem offiziellen Bewerberportal der Partei. Mitglieder können dort freiwillig schon vor der Europawahlversammlung am Wochenende in Magdeburg ihr Interesse an einer EU-Kandidatur anmelden. Sie teilen dort öffentlich mitunter radikale Aussagen, die zeigen, wie auch an der Basis gedacht wird. So will Johannes Normann aus Bayern "EU-Korruptionspräsidentin" Ursula von der Leyen bald "sitzen" sehen "und zwar sehr lange".

"Da wird plötzlich über deutlich mehr gesprochen", Martin Schmidt, ARD Berlin, zu AfD-Bundesparteitag in Magdeburg

tagesschau, 28.07.2023 12:00 Uhr

Erst Kandidatenwahl, dann Programm

Mehr als 70 Mitglieder haben ihre Absicht zur Kandidatur auf diese Weise schon kundgetan. Darunter sind allerdings nur wenige, die intern auch als aussichtsreich gehandelt werden. Dazu gehört etwa Irmhild Boßdorf aus Nordrhein-Westfalen. Für sie ist Europa "durch eine übergriffige EU zu einem Moloch verkommen". Zudem schicke sich die EU "unter dem Deckmantel des Klimaschutzes" an, die "heimischen Landwirtschaften zu vernichten".

Um sich bewerben zu können, müssen alle versichern, falls gewählt, das Europawahlprogramm der AfD "ohne jegliche Einschränkungen" anzuerkennen. Das Problem dabei: Sie können es noch gar nicht kennen, denn das Programm gibt es noch nicht. Geht es nach dem Willen von Bundesvorstand und Landesvorständen, dann wird es auch erst nach der Kandidatenwahl diskutiert und verabschiedet.

Das versteht auch in der Partei nicht jeder: "Da beschließen die Delegierten dann hinterher den Austritt aus der NATO oder dass Putin klasse ist", meint ein aussichtsreicher Kandidat und fügt hinzu: "Dann habe ich ein Problem."

Der Grund für die favorisierte Reihung liegt darin, dass in der AfD persönliches Misstrauen über inhaltlichen Fragen steht: Was, wenn unliebsame Kandidaten die Programmdebatten zu intensiv zur Eigenwerbung nutzen? Zudem hat die Partei eigens zwei Wochenenden infolge für die Wahlen angesetzt - trotzdem könnte es zeitlich eng werden.

Umfragehoch weckt Begehrlichkeiten

30 Kandidaten wollen sie mindestens auf ihre Liste wählen, so heißt es aus der Bundesspitze. Bei den aktuell hohen Umfragewerten seien bis zu 20 Sitze im EU-Parlament möglich. Und das hat Begehrlichkeiten geweckt. Von vielen "Glücksrittern" spricht ein Delegierter, die sich nach nur wenigen Monaten in der Partei nun die Taschen voll machen wollten. "Möchtegern-Kandidaten" oder "Zeitfresser" sagen andere, was anders klingt als das basisdemokratische Grundverständnis, das in der AfD wie eine Monstranz vor sich hergetragen wird.

Ein Mitglied des Bundesvorstandes beschreibt das Problem so: Jeder Bewerber soll sieben Minuten Redezeit zur Vorstellung bekommen, dazu noch Pflichtfragen beantworten müssen. Außerdem wird per Handzettel gewählt, um einer möglichen Anfechtung vorzubeugen. "Bei zehn Bewerbern kann schon die Wahl einer einzigen Kandidatur gut zwei Stunden lang dauern", erklärt er.

So ist auch von großer Umfragehoch-Partystimmung vor dem Treffen keine Rede. Vielmehr machen sich einige Landesvorsitzende Sorgen vor einem Desaster. Schaffen sie es überhaupt, an den fünf Tagen auch nur 20 Personen zu wählen? Ein Problem: Der Versuch, sich im Vorfeld untereinander abzustimmen und im großen Stil Absprachen für wichtige Listenplätze zu treffen, ist gescheitert.

Dünne Personaldecke

Ganz wie in anderen Parteien auch wird in der AfD längst offen über Proporzfragen diskutiert - den Regional- und den Lagerproporz. Jahrelang hatte man das an der politischen Konkurrenz kritisiert. So gab es viele Telefonkonferenzen, sogar persönliche Treffen, um eine Liste auszutarieren. Am Ende jedoch scheiterte der Versuch vor allem, weil mancher Landesverband auch trotz unbekannter Kandidaten auf einen vorderen Listenplatz bestanden habe. Außerdem sollen sich selbst rechtsextreme langjährige "Flügel"-Freunde wie Björn Höcke und Hans-Thomas Tillschneider in der Kandidatenfrage überworfen haben.

Dass die Personaldecke, gerade was das AfD-Spitzenpersonal angeht, derzeit noch sehr dünn ist, wissen alle in der Partei. So kommt es auch, dass ausgerechnet in der Frage des Spitzenkandidaten für die Europawahl große Ratlosigkeit besteht. Die meisten gehen davon aus, dass der Europaabgeordnete Maximilian Krah auf diesen Posten knapp gewählt werden wird.

Umstrittener Favorit für Platz 1

Doch kaum jemand freut sich so recht darüber. Krah ist seit Februar von seiner Fraktion im EU-Parlament schon zum zweiten Mal suspendiert, nachdem er anonym angezeigt worden war. Laut dieser Anzeige sollen Krah und dessen Assistent ein Vergabeverfahren zugunsten einer Berliner Agentur manipuliert haben. Es geht um ein Auftragsvolumen von mehr als 60.000 Euro.

Auf Anfrage bezeichnet Krah die Anschuldigungen als "frei erfunden". Was aber, wenn hierzu mitten im Wahlkampf schlechte Neuigkeiten folgen? In allen Lagern hätten Delegierte ohnehin Sorgen, was über Krah noch alles an die Öffentlichkeit kommen könnte, sagt einer, der der AfD-Führung sehr nahe steht. Er hält die Wahrscheinlichkeit für "sehr sehr hoch", dass sich die Partei daher schon bei der Wahl des ersten Listenplatzes blamieren könnte.

Maximilian Krah

Maximilian Krah gilt als Favorit für den Posten des Spitzenkandidaten.

Ein eigener Kanzlerkandidat?

Bevor es damit aber morgen losgeht, kommt die AfD heute für einen Tag erst noch zu einem Bundesparteitag zusammen. Den muss es laut Satzung jedes Jahr geben. Dabei soll es etwa um die Aufstellung eines Kanzlerkandidaten gehen. Große inhaltliche Auseinandersetzungen werden heute nicht erwartet, zu sehr dürften die Mitglieder auf die EU-Kandidatenfrage fixiert sein. Unstimmigkeiten gab es im Vorfeld darüber, dass der Bundesvorstand den Beitritt zur Europapartei "Identität und Demokratie" beschließen lassen will. Es geht dabei vor allem um Geld und die Vernetzung mit der europäischen Rechten.

Doch einige in der AfD sorgen sich um die Parteisouveränität. Die meisten sollen jedoch mit dem Argument wieder eingefangen worden sein, wer sich auf EU-Ebene nicht mit den anderen engagieren wolle, der könne ja auch kaum bei der EU-Wahl antreten. Etwas überraschend wird der Thüringer Landeschef und Strippenzieher Höcke bei dieser Diskussion wohl noch nicht dabei sein. Er habe seine Teilnahme erst ab Samstag für die Europawahlversammlung angekündigt, heißt es intern. Manch ein West-Landeschef vermutet, er wolle sich gerade vor der Souveränitätsdiskussion drücken.

Brause statt Alkohol

Etwas Partystimmung soll es am großen AfD-Wochenende übrigens doch noch geben - schließlich ist die Partei in diesem Jahr zehn Jahre alt geworden. Gleich am ersten Abend sollte das gefeiert werden - allerdings etwas anders, als es sich die meisten Delegierten wünschen. "900 Gäste, Rekordumfragen und der Bundesvorstand gibt eine Fanta aus", sagte ein Landesvorsitzender belustigt.

Denn auf Ansage der Bundeschefs Tino Chrupalla und Alice Weidel sollte auf kostenlosen Alkoholausschank verzichtet werden. Möglicherweise gibt es noch ein paar Wertmarken, hieß es vorher. Die zähen Kandidatenwahlen könnten schon für ausreichend Katerstimmung sorgen.

Jim-Bob Nickschas, ARD Berlin, zzt. Magdeburg, tagesschau, 28.07.2023 07:36 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 28. Juli 2023 um 09:00 Uhr.